- Die Ukraine gab ihre Atomwaffen auf und wurde angegriffen. Deshalb sollte jedes Land über Atomwaffen verfügen.
- Die Ukraine, die angegriffen wurde, wurde nicht in die NATO aufgenommen. Deshalb sollte jedes Land oder zumindest viele von ihnen in die NATO aufgenommen werden.
- Russland hat eine schlechte Regierung. Deshalb sollte sie gestürzt werden.
- Diese Lehren sind weit verbreitet, logisch – in vielen Köpfen sogar uneingeschränkte Wahrheit – und katastrophal und nachweislich falsch.
Die Welt hat unglaublich viel Glück gehabt und eine lachhaft hohe Anzahl von Beinaheunfällen mit Atomwaffen. Allein der Lauf der Zeit macht eine nukleare Apokalypse äußerst wahrscheinlich. Die Wissenschaftler, die die Weltuntergangsuhr betreuen, äußern, dass das Risiko jetzt größer ist als je zuvor. Die Verschärfung der Situation durch weitere Verbreitung von Atomwaffen erhöht nur noch das Risiko. Für diejenigen, die das Erhalten von Leben auf der Erde über jeden Aspekt dessen stellen, wie dieses Leben aussieht (denn du kannst keine Flagge schwenken und keinen Feind hassen , wenn es dich nicht gibt), muss die Abschaffung von Atomwaffen oberste Priorität haben, ebenso wie die Vermeidung klimaschädlicher Emissionen.
Aber was, wenn jedes Land, das seine Atomwaffen aufgibt, angegriffen wird? Das wäre tatsächlich ein hoher Preis, aber das ist nicht der Fall. Auch Kasachstan hat seine Atomwaffen aufgegeben. Ebenso Weißrussland. Südafrika hat seine Atomwaffen aufgegeben. Brasilien und Argentinien haben sich gegen Atomwaffen entschieden. Südkorea, Taiwan, Schweden und Japan haben es vorgezogen, keine Atomwaffen zu haben. Nun stimmt es, dass Libyen sein Atomwaffenprogramm aufgegeben hat und angegriffen wurde. Und es ist richtig, dass zahlreiche Länder, die keine Atomwaffen haben, angegriffen wurden: Irak, Afghanistan, Syrien, Jemen, Somalia usw. Aber Atomwaffen halten Indien und Pakistan nicht vollständig davon ab, sich gegenseitig anzugreifen, sie beenden nicht den Terrorismus in den USA oder Europa, sie verhindern nicht einen großen Stellvertreterkrieg mit den USA und Europa, das die Ukraine mit Waffen gegen Russland ausrüstet, sie stoppen nicht eine große Anstrengung für einen Krieg mit China, sie verhindern nicht, dass Afghanen, Iraker und Syrer gegen das US-Militär kämpfen und sie haben genauso viel mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine zu tun, wie sie damit zu tun haben, dass er nicht verhindert wurde.
Die kubanische Raketenkrise führte dazu, dass die USA Einwände erhoben gegenüber den sowjetischen Raketen in Kuba, und die UdSSR gegen die US-Raketen in der Türkei und Italien. In den vergangenen Jahren sind die USA aus zahlreichen Abrüstungsvereinbarungen ausgestiegen, haben Atomraketen in der Türkei (und in Italien, Deutschland, den Niederlanden und Belgien) aufrechterhalten und in Polen und Rumänien neue Raketenstützpunkte eingerichtet. Zu den Ausreden Russlands für den Einmarsch in die Ukraine gehörte das Positionieren von Waffen näher an der Grenze als je zuvor. Vorwände sind natürlich keine Rechtfertigungen, und die Lektion, die man in Russland gelernt hat, dass die USA und die NATO auf nichts anderes als auf Krieg hören werden, ist genauso falsch wie die Lektion, die man in den USA und in Europa gelernt hat. Russland hätte das Rechtsstaatsprinzip befürworten und einen Großteil der Welt für sich gewinnen können. Es hat sich dagegen entschieden.
In der Tat sind die Vereinigten Staaten und Russland keine Parteien des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Vereinigten Staaten bestrafen andere Regierungen für die Unterstützung des IStGH. Die Vereinigten Staaten und Russland setzen sich über die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs hinweg. Der von den USA unterstützte Putsch in der Ukraine in 2014, die jahrelangen Bemühungen der USA und Russlands, die Ukraine für sich zu gewinnen, die gegenseitige Bewaffnung im Konflikt im Donbass, und der russische Einmarsch im Jahre 2022 beleuchten ein Problem in der weltweiten Führungsposition.
Von 18 wichtigen Menschenrechtsverträgen ist Russland nur 11 Verträgen beigetreten und die USA nur 5, so wenige wie kein anderes Land der Erde. Beide Nationen verstoßen willkürlich gegen Verträge, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, des Kellogg-Briand-Paktes und anderer Gesetze gegen den Krieg. Beide Nationen weigern sich, wichtige Abrüstungs- und Anti-Waffen-Verträge, die von den meisten Ländern der Welt aufrechterhalten werden, zu unterstützen und setzen sich offen darüber hinweg. Beide unterstützen nicht den Vertrag über das Atomwaffenverbot. Beide halten sich nicht an die Abrüstungsverpflichtung des Atomwaffensperrvertrags, und die USA lagern tatsächlich Atomwaffen in fünf anderen Ländern und tragen sich mit dem Gedanken, sie in weitere Länder zu verlegen, während Russland davon gesprochen hat, Atomwaffen in Weißrussland aufzustellen.
Russland und die Vereinigten Staaten stehen als Schurkenstaaten außerhalb des Antipersonenminenvertrages, des Abkommens über Streumunition, des Waffenhandelsvertrags und vieler anderer. Die Vereinigten Staaten und Russland sind die beiden größten Waffenhändler für den Rest der Welt, zusammen sind sie für einen Großteil der verkauften und ausgelieferten Waffen verantwortlich. Inzwischen werden an den meisten Orten, an denen Kriege stattfinden, überhaupt keine Waffen mehr hergestellt. Waffen für den größten Teil der Welt werden nur aus einigen wenigen Orten importiert. Die Vereinigten Staaten und Russland setzten das Vetorechts im UN-Sicherheitsrat bei weitem am häufigsten ein, mit dem sie oft die Demokratie mit einer einzigen Stimme lahmlegen.
Russland hätte den Einmarsch in die Ukraine verhindern können, indem es nicht in die Ukraine einmarschiert wäre. Europa hätte den Einmarsch in die Ukraine verhindern können, indem es den USA und Russland mitgeteilt hätte, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten. Die Vereinigten Staaten hätten den Einmarsch in die Ukraine mit Sicherheit durch einen der folgenden Schritte verhindern können, vor deren Notwendigkeit US-Experten warnten, um einen Krieg mit Russland zu vermeiden:
- Abschaffung der NATO nach Auflösung des Warschauer Pakts
- Verzicht auf die NATO – Erweiterung
- Verzicht auf Unterstützung von Farbrevolutionen und Putsche
- Unterstützung von gewaltfreien Aktionen, Ausbildung in unbewaffneten Widerstand und Neutralität
- Abkehr von fossilen Brennstoffen
- Verzicht auf die Bewaffnung der Ukraine, die Bewaffnung Osteuropas und die Durchführung von Kriegsübungen in Osteuropa
- Akzeptanz der vollkommen angemessenen Forderungen Russlands im Dezember 2021
Im Jahr 2014 machte Russland den Vorschlag, dass sich die Ukraine weder auf den Westen noch auf den Osten ausrichten, sondern mit beiden zusammenarbeiten sollte. Die USA lehnte diese Idee ab und unterstützte einen Militärputsch, der eine prowestliche Regierung einsetzte.
Laut Ted Snider:
„Im Jahr 2019 wurde Wolodymyr Zelenskij in einem Wahlbündnis gewählt, das den Friedensschluss mit Russland und die Unterzeichnung des Minsker Abkommens vorsah. Das Minsker Abkommen ermöglichte den Regionen Donezk und Lugansk im Donbass, die nach dem Putsch für die Unabhängigkeit von der Ukraine gestimmt haben, Eigenständigkeit. Es bot die vielversprechendste diplomatische Lösung. Angesichts des innenpolitischen Drucks würde Zelensky jedoch die Unterstützung der USA benötigen. Er bekam sie nicht und wurde, mit den Worten von Richard Sakwa, Professor für russische und europäische Politik an der Universität von Kent, „von den Nationalisten ausgebremst“. Zelensky verließ den Weg der Diplomatie und weigerte sich, mit den Führern des Donbass zu sprechen und die Minsker Vereinbarungen umzusetzen.
„Nachdem es Washington versäumt hatte, Zelensky bei einer diplomatischen Lösung mit Russland zu unterstützen, gelang es ihm auch nicht, ihn unter Druck zu setzen, um zur Durchführung des Minsker Abkommens zurückzukehren. Sakwa berichtete diesem Autor, dass “ bezüglich Minsk weder die USA noch die EU ernsthaften Druck auf Kiew ausgeübt haben, um seinen Teil des Abkommens zu erfüllen.“ Obwohl die USA dem Minsker Abkommen offiziell zugestimmt haben, sagte Anatol Lieven, Forschungsbeauftragter für Russland und Europa am Quincy Institut für verantwortliche Staatsführung, gegenüber diesem Verfasser, haben sie nichts unternommen, die Ukraine dazu zu drängen, es tatsächlich umzusetzen.“ Die Ukrainer erteilten Selenskyj einen Auftrag für eine diplomatische Lösung. Washington hat sie weder unterstützt noch gefördert.
Während sogar US-Präsident Barrack Obama die Bewaffnung der Ukraine ablehnte, wurde sie von Trump und Biden befürwortet, und jetzt hat Washington sie dramatisch verstärkt. Nach acht Jahren der Unterstützung der ukrainischen Seite in einem Konflikt im Donbass, und nachdem Abteilungen des US-Militärs wie der RAND Corporation Berichte vorgelegt haben, wie Russland in einen schädlichen Krieg gegen die Ukraine verwickelt werden kann, haben die USA jegliche Schritte abgelehnt, die zu einem Waffenstillstand und zu Friedensverhandlungen führen könnten. Wie mit ihrer ewigen Überzeugung, dass der Präsident von Syrien jeden Augenblick gestürzt wird und ihren mehrfachen Ablehnungen von Friedensvereinbarungen für dieses Land, befürwortet die US-Regierung gemäß Präsident Biden den Umsturz der russischen Regierung, egal wie viele Ukrainer dabei sterben. Und die ukrainische Regierung scheint dem weitgehend zuzustimmen. Berichten zufolge lehnte der ukrainische Präsident Selenskyj wenige Tage vor dem Einmarsch ein Friedensangebot zu den Bedingungen ab, die mit ziemlicher Sicherheit letztendlich von denjenigen akzeptiert werden, die – wenn überhaupt – am Leben blieben.
Es ist ein sehr gut gehütetes Geheimnis, aber der Frieden ist nicht brüchig oder schwierig. Einen Krieg zu beginnen ist äußerst schwierig. Es erfordert eine konzertierte Maßnahme, um Frieden zu verhindern. Zu den Beispielen, die diese Behauptung belegen, gehört jeder vergangene Krieg auf der Erde. Das am häufigsten angeführte Beispiel im Vergleich mit der Ukraine ist der Golfkrieg von 1990-1991. Aber dieses Beispiel hängt davon ab, dass wir die Tatsache aus unserem kollektiven/korporativen Gedächtnis löschen, dass die irakische Regierung bereit war, über einen Rückzug aus Kuwait ohne Krieg zu verhandeln und schließlich anbot, sich einfach innerhalb von drei Wochen ohne Bedingungen aus Kuwait zurückzuziehen. Der König von Jordanien, der Papst, der Präsident von Frankreich, der Präsident der Sowjetunion und viele andere drängten auf solch eine friedliche Einigung, doch das Weiße Haus bestand auf seinem „letzten Mittel“, dem Krieg. Russland hat schon vor Kriegsbeginn aufgeführt, was nötig wäre, um den Krieg gegen die Ukraine zu beenden – Forderungen, denen man mit anderen Forderungen entgegentreten sollte, nicht mit Waffen.
Wer Zeit hat, sich mit der Geschichte zu befassen und zu begreifen, dass Frieden durchaus möglich ist, für den kann es einfacher sein, die Schwachstelle bei der sich selbst erfüllenden Idee zu erkennen, dass die NATO erweitert werden muss, selbst wenn sie damit Russland bedroht, und selbst wenn Russland angreift, um es zu verhindern. Die Überzeugung, dass die russische Regierung überall angreifen würde, und sie ungestraft davonkommen könnte, selbst wenn sie in die NATO und die EU aufgenommen würde, oder selbst wenn die NATO abgeschafft würde, ist nicht zu beweisen. Aber wir müssen es nicht für falsch halten. Es könnte durchaus richtig sein. Allerdings scheint das gleiche wahrscheinlich auch für die USA und einige andere Regierungen zu gelten. Aber der Verzicht auf die NATO-Erweiterung hätte Russland nicht davon abgehalten, die Ukraine anzugreifen, weil die russische Regierung ein großmütiges, menschenfreundliches Unternehmen ist. Es hätte Russland daran gehindert, die Ukraine anzugreifen, weil die russische Regierung keine gute Ausrede gehabt hätte, die sie den russischen Eliten, der russischen Öffentlichkeit oder der Welt hätte verkaufen können.
Während des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert gab es Beispiele – einige davon werden in Andrew Cockburns neuestem Buch besprochen – von aufsehenerregenden Zwischenfällen des amerikanischen und sowjetischen Militärs, gerade dann wenn die andere Seite eine zusätzliche Waffenfinanzierung durch ihre Regierung anstrebten. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat für die NATO mehr bewirkt, als die NATO jemals hätte von sich aus erreichen können. Die Unterstützung der NATO für die Militarisierung in der Ukraine und in Osteuropa in den letzten Jahren hat mehr für die russische Militarisierung getan, als jemand in Russland hätte zustande bringen können. Die Vorstellung, dass jetzt mehr davon benötigt wird, was den aktuellen Konflikt verursacht hat, läuft darauf hinaus, Vorurteile zu bestätigen, die dringend hinterfragt werden müssen.
Den Gedanken zu äußern, dass Russland eine schlechte Regierung hat und deshalb gestürzt werden sollte, ist für US-Beamte eine schreckliche Sache. Überall auf der Welt gibt es eine schlechte Regierung. Sie sollten alle gestürzt werden. Die US-Regierung bewaffnet und finanziert fast alle der schlechtesten Regierungen der Welt, und der einfache erste Schritt, damit aufzuhören, ist sehr zu befürworten.
Aber der Sturz von Regierungen ohne eine massive populäre und unabhängige lokale Bewegung, die nicht von äußeren und elitären Kräften behindert wird, ist ein unendlich bewährtes Rezept für eine Katastrophe.
Aber der Sturz von Regierungen ohne eine massive, breite und unabhängige lokale Bewegung, die frei ist von äußeren und elitären Kräften, ist ein endlos bewährtes Rezept für eine Katastrophe. Mir ist immer noch nicht klar, wodurch George W. Bush rehabilitiert wurde, aber ich bin alt genug, mich daran zu erinnern, als sogar gelegentliche Nachrichtenzuschauer gelernt hatten, dass das Stürzen von Regierungen schon für sich genommen eine Katastrophe war, und dass die beste Idee zur Verbreitung der Demokratie darin besteht, mit gutem Beispiel voranzugehen und es im eignen Land auszuprobieren.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!