Eine der populärsten – und gefährlichsten – Annahmen ist, dass wir durch Gewalt unsere Sicherheit erhalten.
Ich lebe in den Vereinigten Staaten, einem Land, in dem wir weniger in Sicherheit leben, je mehr Waffen wir haben. Das hilft mir, irrationale Annahmen zu erkennen, die kreatives Denken verhindern.
Die Entscheidung der ukrainischen Regierung, ihr Militär zur Verteidigung gegen Russland einzusetzen, erinnert mich an den starken Kontrast zwischen den Entscheidungen der dänischen und norwegischen Regierungen, als sich diese der Bedrohung durch die Kriegsmaschinerie Nazideutschlands gegenübersahen. Wie auch die ukrainische Regierung entschied sich die norwegische Regierung für den militärischen Kampf. Deutschland fiel in das Land ein und die norwegische Armee leistete Widerstand bis zum Polarkreis. Das Resultat war großes Leid und weitreichende Verluste. Und selbst nach dem Ende des 2. Weltkrieges dauerte es viele Jahre, ehe sich die Norweger davon erholt hatten. Als ich 1959 in Norwegen studierte, gab es immer noch Rationierungen.
Die dänische Regierung hingegen, in der gleichen Gewissheit wie die Norweger, dass sie militärisch unterlegen wären, entschied sich gegen den Kampf. Im Ergebnis dessen konnte das Land im Vergleich mit Norwegen seine politischen und wirtschaftlichen Verluste minimal halten, so wie auch das unmittelbare Leid der Bevölkerung.
Die Flamme der Freiheit brannte während der Zeit der Besatzung weiter hell in beiden Ländern. Zusammen mit einer Untergrundbewegung, die auch Gewalt anwendete, entstand an verschiedenen Fronten gewaltfreier Widerstand, der beiden Ländern alle Ehre machte. Die Dänen konnten den größten Teil ihrer jüdischen Bevölkerung vor dem Holocaust bewahren, die Norweger erhielten sich die Integrität ihres Bildungssystems und die Staatskirche.
Sowohl Dänemark als auch Norwegen standen einer überwältigenden militärischen Macht gegenüber. Die Dänen entschieden sich gegen den Einsatz ihrer Armee und setzten stattdessen größtenteils auf gewaltfreien Widerstand. Die Norweger setzten ihr Militär ein, bezahlten dafür einen hohen Preis und wendeten sich danach größtenteils dem gewaltfreien Widerstand zu. In beiden Fällen führte die Gewaltfreiheit – ohne Vorbereitung, mit improvisierter Strategie und ohne vorheriges Training – zu Siegen, die die Integrität ihrer Länder bewahrte.
Viele Ukrainer sind offen für gewaltfreien Widerstand
Es gibt eine bemerkenswerte Studie zu den Ansichten der ukrainischen Bevölkerung zu den Chancen für eine gewaltfreie Verteidigung und ob sie an einem bewaffneten oder gewaltfreien Widerstand gegen eine gewaltsame Invasion teilnehmen würden. Vielleicht liegt es an dem bemerkenswerten Erfolg, die Diktatur in ihrem Land gewaltfrei gestürzt zu haben, dass ein überraschender Teil nicht davon ausgeht, dass Gewalt die einzige Option ist.
Maciej Bartkowski, leitender Berater des International Center on Nonviolent Conflict bewertet die Ergebnisse, als dass „eine klare Mehrheit sich für verschiedene gewaltfreie Methoden des Widerstands entschieden hat – von symbolischen Akten bis hin zu Störaktionen und konstruktivem Widerstand gegen die Besatzer – anstelle für gewaltsame Aktionen.“
Gewalt ist mitunter effektiv
Ich will nicht behaupten, dass die Androhung oder Anwendung von Gewalt nie zu positiven Resultaten führt. In diesem kurzen Artikel möchte ich nicht auf die umfassendere philosophische Diskussion zu diesem Thema eingehen und stattdessen auf Aldous Huxley’s bemerkenswertes Buch „Ends and Means“ für diejenigen verweisen, die sich ausführlicher damit befassen möchten. Was ich hingegen sagen möchte ist, dass ein fester Glauben an Gewalt die Menschen irrational handeln lässt und wir uns damit immer und immer wieder schaden.
Ein Ausdruck dieser Schädigung ist eine verkümmerte Kreativität. Warum geschieht es nicht automatisch, dass, wenn jemand Gewalt propagiert, andere vorschlagen, das Problem zu ergründen und zu schauen, ob es nicht auch eine gewaltfreie Lösung geben kann?
Während meines eigenen Lebens wurde ich oft mit Gewalt konfrontiert. Nachts wurde ich auf der Straße von einer feindseligen Gruppe umstellt, wurde drei Mal mit dem Messer bedroht, ich habe eine Waffe abgewehrt, die auf eine andere Person gerichtet war und war gewaltfreier Bodyguard für Menschenrechtsaktivisten, die von Schlägertruppen bedroht wurden.
Ich bin groß und stark, und ich war auch mal jung. Ich habe erkannt, dass in bedrohlichen Situationen, wie auch bei den weiter gefassten Konfrontationen, in die wir aktiv eingebunden werden, die Chance bestanden hätte, dass ich taktische Siege mit Gewalt hätte erringen können. Ich wusste aber auch, dass ich die Chance gehabt hätte, mit gewaltfreien Methoden zu gewinnen. Ich glaube, dass die Chancen mit Gewaltfreiheit besser stehen und kann dafür einige Beispiele belegen. Doch wer kann das in den einzelnen Situationen genau wissen?
Da wir das nicht genau wissen können, bleibt uns die Frage, wie wir uns entscheiden. Das könnte für den Einzelnen als auch für politische Führer eine Herausforderung sein – egal ob sie Norweger, Dänen oder Ukrainer sind. Es hilft nicht, wenn mich eine gewaltliebende Kultur mit ihrer reflexhaften Antwort in Bedrängnis bringt. Um der Verantwortung gerecht zu werden, muss ich eine reale Wahl treffen können.
Sollte ich Zeit haben, kann ich mich kreativ betätigen und mögliche gewalttätige und gewaltfreie Optionen untersuchen. Das könnte sehr hilfreich sein und ist das Mindeste, was wir von Regierungen, die Entscheidungen für ihre Bürger treffen, verlangen können. Und doch kann man mit dem Aufzeigen kreativer Optionen nur schwer ins Geschäft kommen, da jede Situation einmalig ist und es schwierig ist, Ergebnisse vorherzusagen.
Ich habe eine solide Entscheidungsgrundlage gefunden. Ich kann den Ausgang des Einsatzes gewaltfreier oder gewaltsamer Mittel nicht vorhersagen, ich kann aber den ethischen Aspekt des eingesetzten Mittels bewerten. Es gibt einen klaren ethischen Unterschied zwischen gewaltsamen und gewaltfreien Mitteln des Kampfes. Auf dieser Grundlage kann ich meine Wahl treffen und mich mit ganzer Kraft für diese Wahl einsetzen. Im Alter von 84 bereue ich nichts.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!