Aber: Ist eine militärische Antwort der richtige Weg? Versuch einer Analyse.
Von Jürgen Adriaans
Wer jetzt entsetzt ist von der Brutalität des Krieges, soll sich doch einmal fragen wo er/sie in den letzten Jahren hingeschaut hat. Wer glaubt, ein Krieg sei weniger schlimm, wenn er weit weg von uns geschieht, zeigt nur wes Geistes Kind er/sie ist.
Wenn Baerbock und Scholz wirklich überrascht waren von dem Einmarsch, dann frage ich mich mit Recht, was sie bei ihren diplomatischen Verhandlungen eigentlich getan haben. Was haben sie angeboten, wenn sie doch eh der Meinung waren, seitens der russischen Regierung sei das alles nur eine leere Drohung gewesen? Was ist das für eine Diplomatie, die ohnehin die Gefahr nicht sieht?
Wir können nur annehmen, dass es sich um eine Scheindiplomatie gehandelt hatte, um im eigenen Land guten Eindruck zu machen. Das großmäulige Auftreten der Außenministerin in Moskau war nicht geeignet, auf diplomatischem Wege einen Krieg abzuwenden. Die Diplomatie Willi Brandts und Genschers war noch eine echte Diplomatie, weil sie wirklich den Krieg verhindern wollte.
Wenn Friedensbewegte Abrüstung fordern und sich gegen Säbelrasseln und Muskelspiele wehren, dann doch nicht, weil sie nicht glaubten, dass es zu Kriegen käme.
Im Gegenteil, gerade weil sie das fürchten, und eine Vorstellung von dem haben, was Krieg für alle bedeutet, sind sie friedensbewegt und wollen eine wirkliche aufrichtige Diplomatie.
Jetzt werden die Warner in den Medien hämisch als „Russlandversteher“ diskreditiert. Es wird ganz bewusst „Verstehen“ mit „Akzeptanz“ verwechselt. „Putin verstehen“ ist aber nicht schon Sympathie oder Rechtfertigung! Es ist wie Schach-Verstehen. Ich nehme dir den Läufer, du nimmst mir den Turm.
Angenommen, die deutsche Regierung habe bisher gutgläubig gehandelt, dann hätte ein wenig „Russlandverstehen“ vielleicht Schaden abwehren können.
Wenn wir uns etwas von der Logik der (beidseitigen) Propaganda lösen, kommen wir vielleicht zum Punkt: „Ist die Militarisierung der Politik richtig, weil notwendig?“
Die Militaristen argumentieren: „Nur mit einer starken Streitmacht kann man bösen Diktatoren Einhalt gebieten, um die Freiheit zu schützen. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen“.
Es ist eine altbekannte Tatsache, dass Diktaturen nicht von außen, sondern von innen her zerbrechen. Druck von außen schweißt die Völker zusammen, verwischt die inneren Widerstände und stärkt die regierenden Eliten; immer! Häufig haben schwache, kippende Regierungen, demokratisch oder nicht, Kriege begonnen, um dem eigenen Sturz zuvor zu kommen. Krieg stärkt die Regierungen.
Das gegenwärtige System der postkommunistischen Elite oder Oligarchien in Russland ist anachronistisch. Alle Akteure der Anti-Putin-Koalition wissen: es kann sich ohnehin nicht mehr lange halten. Das Putin-System wird noch künstlich über Wasser gehalten, mit Meinungsunterdrückung und den Erdgas- und Erdölexporten. Kein Experte bezweifelt, dass das System implodieren wird durch die wachsenden Widerstände im eigenen Land. Das System kann auf keinen Fall nach Putin überleben.
Aber jetzt kommt der wirklich interessante Punkt: Ein Volk, das sich selbst befreit, das selbst seinen eigenen Weg findet, bleibt unabhängig! Und das ist genau das, was die Eliten der USA nicht gern sehen. Die Politik der USA hat so etwas immer und überall zu verhindern gesucht. Gerade deshalb, in Erwartung des imminenten Zusammenbruchs des Putin-Regimes, muss die US-Führung jetzt militärisch reagieren, um den Zusammenbruch Putins als eigenen Erfolg zu verkaufen. Das ukrainische Volk mit derselben Determination, im Vertrauen auf die eigene Kraft statt durch Vertrauen auf die Waffen, hätte eine Revolution auslösen können, die ganz Russland mit sich zöge.
Bevor ich weiter darauf eingehe, noch ein paar Vorbemerkungen:
Fragen wir uns: Wie demokratisch ist das Militär?
Die Liste mehr oder weniger blutrünstiger Diktatoren ist lang. Da stechen Hitler, Stalin, Pol Pot und einige afrikanische Diktatoren als besonders blutrünstig heraus. Mussolini in Italien, Franco – Spanien, Salazar – Portugal, Pinochet – Chile, Videla – Argentinien, Militärjunta – Griechenland, Idi Amin – Uganda, Mugabe – Zimbabwe, Kim Jong Un – Nordkorea, Militärjunta – Myanmar, Ghadafi, Assad, Hussein, haben eines gemeinsam: sie stützen sich auf das Militär. Viele gelangten durch einen Militärputsch an die Macht, sind also selbst obere Militärs. Die Geschichte zeigt, dass das auch in hochkultivierten demokratischen Ländern passiert.
Das Militär auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten war nie demokratischen Gedanken zuträglich. Selbst heute ist in der Bundeswehr demokratisches Gedankengut nicht das hervorstechende Merkmal.
Das Militär hat weltweit, aufgrund seiner ureigenen Struktur, eine ihm innewohnende Abneigung gegen freiheitliche demokratische Elemente und beugt sich eher widerwillig der zivilen Führung.
Nur in einem Falle, bei der Nelkenrevolution in Portugal, haben Militärs maßgeblich geholfen, einen Diktator abzusetzen und eine Demokratie aufzubauen.
Einmal an die Macht geputscht, suchen Militärs in der Regel kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten, um ihre Position im Inland zu stärken.
Die Armee im eigenen Land als Organ der Staatsführung ist deshalb eine denkbar schlechte Garantie für eine freiheitliche Demokratie. Die Demokratie muss vom Volk selbst kommen und immer wieder vom Volk eingefordert werden. Man kann eine Demokratie nicht mit militärischen Mitteln in ein Land bringen! Libyen, Irak, Somalia, Syrien und Afghanistan sind lebhafte Beispiele.
Aber, kann man denn eine Demokratie in einem anderen Land mit militärischen Mitteln schützen? Ich wäre nicht aufrichtig, das grundsätzlich ausschließen, obwohl es extrem unwahrscheinlich ist.
Auf jeden Fall sind, im Falle eine militärischen „Befreiung“, die Kosten für die Menschen schon deshalb sehr hoch, weil, wie oben beschrieben, die Diktatoren durch Angriffe von außen im Inneren gestärkt werden. Die Bevölkerungen leiden dann nicht nur unter der Unterdrückung durch den eigenen Diktator, sondern auch durch die Auswirkungen des Krieges.
Freiheit muss sich jedes Volk im politischen und gewerkschaftlichen Kampf gegen die eigenen Unterdrücker erkämpfen. Diese Unterdrücker sind aber niemals einzelne Personen, wie uns die „westliche“ Propaganda glauben machen will, sondern immer eine Klasse, Führungsclique, Oligarchie. Erkämpfte Rechte und Freiheiten werden niemals freiwillig gewährt. Sie müssen, einmal erreicht, dann eifersüchtig gehütet werden. Gerade die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, wie leicht sie wieder weggenommen werden können.
Wenn das ukrainische Volk wirkliche Freiheit haben will, dann soll es für Freiheit und Rechte kämpfen. Wer jetzt in der Ukraine im Guerrillakrieg stirbt, sichert vor allem der korrupten Oligarchie einen Staat.
Der Nationalstaat ist nur eine Illusion von Freiheit. Was hilft es, wenn der Unterdrücker dieselbe Nationalität hat? Garibaldi hat Italien von den Franzosen befreit und das Ergebnis:
– ein italienischer König! Dann mussten zigtausende junge Männer sterben im Kampf gegen Österreich, – um dafür Mussolini und Hitler zu haben.
Alle Rechte und Freiheiten, die das italienische Volk bis heute hat, wurden nicht durch Krieg gewonnen, sondern der eigenen Führungsklasse im politischen, gewerkschaftlichen Kampf abgetrotzt.
Wer verspricht, dass mit dem Nationalstaat Freiheit und Demokratie einzögen, lügt. Das ist die Lüge derer, die die Könige und Diktatoren beerben wollen, und an die Stelle der Freiheit den Nationalismus setzen.
Ich fürchte, dass sich jetzt in ganz Europa das US-amerikanische Narrativ durchsetzt, das wir aus Hollywoodfilmen kennen: Das mutige Militär erkämpft die Freiheit gegen die Bösen und der Präsident schafft dann die gerechten Gesetze.
Dem Zuschauer bleibt die Befriedigung, zu den Gewinnern zu gehören, und die Toten und Leidenden sind schon vergessen, bevor der Film zu Ende ist.
Weltweit ziehen die geblendeten Völker in den Krieg, damit die Oligarchien ihren eigenen Nationalstaat haben.
Ja, wahrscheinlich gelingt es der Anti-Putin-Koalition, Russland in die Knie zu zwingen. Dann werden die Militaristen bestätigt sein und wir werden eine gefährliche Militarisierung der Gesellschaften haben. Der jahrzehntelange weltweite Konsum von Hollywood-Kriegsfilmen hat eine gefährliche Logik hinterlassen.
1,96 Billionen US-Dollar wurden im Jahr 2020 weltweit für das Militär ausgegeben.
Die USA haben 2020 mehr als das Zehnfache für Rüstung ausgegeben, als Russland. Deutschland steht schon auf Nr. 4 in der Weltrangliste der Waffenexporteure.
Hollywood wird real!