Ein schönes Buch für alle, die nie wirklich an den in unserem Medien-Mainstream tausendfach behaupteten „Vergewaltigungsverdacht“ gegen den Wikileaks-Gründer glauben konnten.
Wikileaks und die Westliche Wertegemeinschaft
London, Juni 2021. Im Hochsicherheitsgefängnisses Belmarsh, dem „britischen Guantánamo“, wird der wohl bislang bedeutendste Journalist des 21. Jahrhunderts, Julian Assange, im dritten Jahr gefangen gehalten. Er ist auch inhaftiert, weil er die Foltermethoden des echten Gefangenenlagers Guantánamo enthüllte, jenem US-Gulag also, den der ehemalige US-Präsident Barack Obama eigentlich schliessen wollte. Aber nicht die Verantwortlichen in den USA, sondern Assange wurde angeklagt: wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente – gutes Recht von Enthüllungsjournalisten – und wegen angeblicher Verstösse gegen das Anti-Spionage“-Gesetz, eines Relikts aus Zeiten des Ersten Weltkriegs. Der Schauprozess dauert an, das Unrechtsregime in London hat gerade, wie erwartet, den US-Anklägern die Auslieferung des politisch Verfolgten genehmigt.
Durch systematisch verwirrende Berichterstattung über die Assange-Enthüllungen des UN-Sonderberichterstatters zum Thema Folter, Nils Melzer, droht der Kern seiner Botschaft unterzugehen: Die schwedische Justiz hat 2010 gezielt Beweise gefälscht und Zeugenaussagen manipulierte, um einen Vergewaltigungsverdacht gegen Julian Assange überhaupt erst zu konstruieren.
Der Schweizer Melzer spricht fliessend Schwedisch und arbeitete sich durch die schwedischen Akten zum Fall Assange. Doch sein Fazit wollte in den Leitmedien kaum jemand hören. Erst mühsam kämpfte er sich durch Netzmedien wenigstens an den Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jetzt legte er ein Buch vor, das seine Arbeit akribisch beschreibt, „Der Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung“, und folgert auf den Seiten 320 und 3
«Der eigentliche Zweck der Verfolgung von Assange ist nicht in erster Linie die persönliche Bestrafung von Assange, sondern die Etablierung eines Präzedenzfalles mit globaler Abschreckungswirkung für andere Journalisten, Publizisten und Aktivisten, um künftig weltweit jeden strafrechtlich verfolgen zu können, der es wagen sollte, die schmutzigen Geheimnisse der Regierungen ans Licht der Öffentlichkeit zu ziehen.»
Melzer kritisiert die Leitmedien. Zwar würden einige Meinungsbeiträge halbherzig Partei für Assange ergreifen und auch die Gefahr für die Pressefreiheit anerkennen, „doch kein einziges Medienhaus protestiert gegen die den ganzen Fall durchziehende Justizwillkür“ (S.312). Die Justizwillkür zeige sich in der britischen Willfährigkeit gegenüber der US-Anklage vor dem Londoner Gericht:
«Schritt für Schritt wurden auch die abwegigsten Argumente der USA kritiklos bestätigt. Gleichzeitig, fast wie im Vorbeigehen, wischte Bezirksrichterin Baraitser sowohl die rechtlichen Einwände als auch die entlastenden Gutachten und Zeugenaussagen der Verteidigung ohne viel Federlesens vom Tisch.» (Der Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung, S.318)
Melzer kommt in seinem Bericht, der sich wie ein Justizthriller liest, also zu Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit dem decken, was Assange-Anhänger seit zehn Jahren skandalisieren: Der WikiLeaks-Gründer wurde Opfer einer Intrige, einer gnadenlosen Rufmordkampagne sowie politischer Verfolgung.
Es handelt sich also um ein Staatsverbrechen, für das die Verantwortlichen der beteiligten Staaten – der USA, Grossbritannien, Schweden und zuletzt auch Ecuador – vor Gericht gehören. Gegen Assange konnten die USA vor Gericht, anders als die Londoner Richterin in ihrem Urteil behauptet, aus Melzers Sicht nichts strafrechtlich Relevantes vorweisen. In einem rechtsstaatlichen Verfahren wäre er schon lange ein freier Mann. Das läuft schliesslich auf den Vorwurf der Justizwillkür hinaus.
Melzer zeigt sich in seinem Buch überzeugt, die westlichen Medien hätten sich mit ihrer willfährigen Beteiligung an der Anti-Assange-Rufmordkampagne zu Gehilfen einer perfiden psychischen Folter gemacht – er spricht von „öffentlichem Mobbing“ (S.109). Der UN-Funktionär kritisiert auch das anhaltende Ausbleiben medialer Aufmerksamkeit für den Fall Assange. Würden westliche Leitmedien die Justizwillkür angemessen skandalisieren, so seine These, würde das windige Verfahren rasch eingestellt: „Denn wenn Regierungen eines fürchten, dann ist es das gebündelte Scheinwerferlicht und die kritischen Fragen der Massenmedien.“ (S.312)
Beides bleibt jedoch aus. Stattdessen greifen westliche Leitmedien Nils Melzer an, den Überbringer der unbequemen Botschaft: dass im Westen ein Dissident gefoltert wird, von den eigenen Regierungen, nicht im feindlichen Ausland.
Wie es aussieht, wenn Medien funktionieren, zeigt Melzer am Beispiel des kritischen Journalisten Iwan Golunow. Der Russe brachte 2019 in seinem Land Behördenkorruption ans Licht und wurde prompt wegen angeblicher Drogenvergehen inhaftiert. Doch im Gegensatz zu unseren Leitmedien im Fall Assange stellte sich die russische Mainstream-Presse mutig auf die Seite des Dissidenten, schreibt Melzer:
«‘Wir sind Iwan Golunow‘ titeln unisono die Frontseiten der drei führenden russischen Tageszeitungen… Die Blätter hinterfragen offen die Rechtmässigkeit von Golunovs Verhaftung und verlangen eine gründliche Untersuchung. In flagranti ertappt und vom Scheinwerferlicht der Massenmedien blossgestellt, rudern die russischen Behörden wenige Tage später zurück. Präsident Putin ordnet sogar persönlich die Freilassung Golunovs und die Entlassung zweier hochrangiger Vertreter des Innenministeriums an.» (Der Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung, S. 311)
Melzer reibt unseren stereotyp gegen Putin und Russland hetzenden Mainstream-Journalistinnen unter die Nase: So funktioniert eine freie Presse – zumindest im Fall Golunow – in Russland! Die Staatschefs in London und Washington könnten sich im Fall Assange ein Beispiel daran nehmen und den Justizbehörden auf die Füsse treten. Wenn doch unsere Presse ebenso mutig wäre, wie die der Russen -und nicht etwa den Buchautor Nils Melzer totschweigen und sogar mit an den Haaren herbei gezogener Miesmacherei belästigen würde. Doch der Mainstream hat lieber noch kleinste und selbst konstruierte Verfehlungen von Julian Assange (seine angeblich hungernde Katze usw,) zehn Jahre mehrheitlich breitgetreten und ihn zu einem Aussenseiter stigmatisiert. Rückgratlose Propaganda-Trompeter sehen bei Melzer ihre Erbärmlichkeit bestätigt -von derart autorisierter Stelle, dass sie nur peinliches Schweigen darüber breiten können.
Einer der grössten Justizskandale aller Zeiten
Mit dem „Afghan War Diary“ veröffentlicht WikiLeaks 2010 das grösste Leak der US-Militärgeschichte, mitsamt Beweisen für Kriegsverbrechen und Folter. Kurz danach verdächtigt Schweden WikiLeaks-Gründer Julian Assange der Vergewaltigung, und ein geheimes US-Schwurgericht ermittelt wegen Spionage. Als ihn Ecuador nach jahrelangem Botschaftsasyl der britischen Polizei überstellt, verlangen die USA sofort seine Auslieferung und drohen mit 175 Jahren Haft. Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, will sich zunächst gar nicht auf den Fall einlassen.
Erst als er Assange im Gefängnis besucht und die Fakten recherchiert, durchschaut er das Täuschungsmanöver der Staaten und beginnt den Fall als das zu sehen, was er wirklich ist: die Geschichte einer politischen Verfolgung. An Assange soll ein Exempel statuiert werden – zur Abschreckung aller, die die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen ans Licht ziehen wollen. Dieses packende Buch erzählt erstmals die vollständige Geschichte von Nils Melzers Untersuchung. (Verlagstext)
Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung. Piper Verlag 2021. 336 Seiten, ca. 35.00 SFr, ISBN 978-3-492-07076-8