Wegen der Zuspitzung der Lage in der Ukraine und als Reaktion auf die Anerkennung der selbsternannten “Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ durch Russland am 21. Februar hat die Bundesregierung neue Sanktionsmaßnahmen unternommen und unter anderem die Zertifizierung der Gasleitung „Nord Stream 2“ ausgesetzt. Ohne diese Zertifizierung durch Bundesnetzagentur in Deutschland kann die Pipeline nicht in Betrieb genommen werden.
Von Alexander Männer
Gleichzeitig ist die Debatte um die deutsche und europäische Energiesicherheit neu aufgeflammt. Russland, dessen Erdgaslieferungen mittlerweile rund 40 Prozent aller Erdgasimporte der EU und rund 55 Prozent der Gasimporte der Bundesrepublik ausmachen, betonte, auch weiterhin vertragskonform Gas nach Europa zu liefern. Trotzdem, und insbesondere in Folge der am 24. Februar gestarteten russischen Militärintervention in der Ukraine, wurden Befürchtungen vieler Politiker und Experten laut, die Russen könnten ihre Gaslieferungen einstellen. Denn sie interpretieren die zuletzt niedrigen russischen Lieferungen als Druckmittel Moskaus gegen Berlin und Brüssel im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise.
Flüssiggas als Alternative zum russischen Pipeline-Gas?
Insofern geht es bei der Frage der Energiesicherheit primär um Alternativen zum russischen Gas und darum, dass Deutschland und andere europäische Länder ihre Energieimporte diversifizieren. Als Option kommt das verflüssigte Erdgas LNG (Liquified Natural Gas) in Betracht, das längst in großen Mengen unter anderem aus Nordamerika und dem Nahen Osten nach Europa geliefert wird und etwa 20 bis 25 Prozent der Nachfrage innerhalb der EU ausmacht.
Die Bedeutung von Flüssiggas hat in Europa neuerdings zugenommen, nachdem die enorme Erhöhung der Gaspreise Ende des vergangenen Jahres den Kontinent vorübergehend zu einem attraktiven Markt für amerikanische LNG-Produzenten gemacht hatte. So soll die Europäische Union nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters im vergangenen Jahr ein Rekordvolumen aus den USA importiert haben.
Laut der US-Energieinformationsverwaltung setzte sich der Trend im neuen Jahr fort: Im Januar importierten die EU-Länder die bislang größte monatliche Menge an Flüssiggas. Gleichzeitig sind die russischen Gaslieferungen in die EU weiter zurückgegangen.
So gesehen kommt verflüssigtes Erdgas als eine Alternative zum Pipeline-Gas aus Russland durchaus in Frage, allerdings haben die Europäer diesbezüglich bislang offenbar nicht viel erreicht. Experten verweisen darauf, da das LNG derzeit nicht entscheidenden dazu beitragen kann, das russische Gas vollständig oder wenigstens zum großen Teil zu ersetzen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wohl wichtigste ist die Tatsache, dass große Flüssiggas-Mengen, die benötigt werden und theoretisch auf dem Markt gekauft werden könnten, einfach fehlen.
Unzureichendes LNG-Angebot angesichts der hohen Nachfrage
So konstatieren Experten, dass es weltweit kein zusätzliches langfristiges LNG-Angebot gibt, um russische Gaslieferungen nach Europa zu ersetzen. Das liegt zum einen daran, dass die weltweite Flüssiggas-Produktion vorerst an ihre Grenzen gestoßen ist und die Exporteure daher nicht mehr Mengen bereitstellen können.
Da wären beispielsweise die Vereinigten Staaten, die als der weltgrößte LNG-Produzent ihr Produktion im vergangenen Jahr zwar steigern konnten, aber angesichts der Nachfrage trotzdem deutlich mehr liefern müssten. Wie das Handelsblatt schreibt, ist das aber eher unwahrscheinlich, da die Kapazität für die Kühlung von Erdgas zu Flüssigerdgas dort begrenzt ist und im vergangenen Dezember in der Nähe der maximalen Auslastung lag.
Ein anderes Beispiel der LNG-Großproduzent und Weltmarktführer Katar, das die zusätzlichen Mengen ebenfalls nicht liefern kann, die Europa benötigt. Davon geht das katarische Energieministerium US-Medien zufolge angesichts der Eskalation in der Ukraine aus. Der Behörde zufolge ist derzeit kein Land dazu in der Lage, zusätzliche Exporte in großen Mengenzu realisieren.
Zum anderen gibt es da noch die langfristigen Lieferverträge für Flüssiggas, die bereits abgeschlossen wurden. Und zwar hauptsächlich mit Staaten aus Asien, die fast die gesamte LNG-Exportmenge für die kommenden Jahre beanspruchen, was auch der Mineralölkonzern Shell in seiner aktuellen LNG-Marktprognose bestätigt. Demnach wurden 2021 etwa 87 Prozent der langfristigen Lieferverträge mit asiatischen Ländern abgeschlossen. Allen voran mit China, das mit 79 Millionen Tonnen LNG bzw. 109 Milliarden Kubikmeter Gas den Löwenanteil des weltweiten LNG-Imports des vergangenen Jahres ausmacht.
Shell geht zudem davon aus, dass Mitte der 2020er Jahre eine Lücke zwischen LNG-Angebot und -Nachfrage entstehen wird. Deshalb seien Investitionen nötig, um das Angebot zu erhöhen und die steigende Nachfrage zu decken.
Langfristig wird prognostiziert, dass die weltweite Nachfrage nach Flüssiggas bis 2040 um etwa 90 Prozent, von heute knapp 400 Millionen Tonnen pro Jahr auf über 700 Millionen Tonnen, zunehmen wird. Bislang sind aber nur Produktionskapazitäten von etwas über 400 Millionen Tonnen LNG weltweit in Betrieb oder in Planung. Deshalb ist es fraglich, dass das künftige LNG-Angebot die gesamte Nachfrage – selbst ohne die zusätzliche europäische Nachfrage – decken kann.
Damit könnte der Zug für die Europa in puncto neue langrfristige LNG-Importe bereits abgefahren sein. Und wenn nicht, dann muss die EU trotzdem so schnell wie möglich dafür sorgen, eigene Lieferverträge abzuschließen, andernfalls wird das meiste Flüssiggas auch weiterhin nach Asien gehen. Dafür müssten die Europäer dann aber dem Preiswettbewerb mit den asiatischen Importeuren standhalten, was sehr stark von der künftigen Preisentwicklung auf dem LNG-Markt abhängen wird.