Außenministerin Baerbock reist zum Ausbau der Kooperation nach Ägypten. Das Land soll Deutschland „grünen“ Wasserstoff liefern. Menschenrechtler schlagen Alarm.

Ungeachtet schwerer Vorwürfe von Menschenrechtlern stellt Außenministerin Annalena Baerbock einen weiteren Ausbau der deutschen Kooperation mit der ägyptischen Militärregierung in Aussicht. Baerbock, die morgen in Kairo Gespräche führt, will dort nicht nur über regionale Themen wie etwa die Entwicklung in Libyen verhandeln, sondern auch eine intensivere Zusammenarbeit in der Klimapolitik anbahnen. Ägypten gilt mit seinem gewaltigen Potenzial an erneuerbaren Energien als aussichtsreicher Lieferant von „grünem“ Wasserstoff, den Deutschland für seine Energiewende braucht. Menschenrechtsorganisationen werfen den Repressionsbehörden des Landes seit je schwerste Menschenrechtsverletzungen vor; so wurde die Zahl der politischen Gefangen zuletzt auf 65.000 geschätzt – mehr als die Zahl inhaftierter Krimineller –, während mutmaßlich Tausende Regierungsgegner verschwunden sind und Folter an der Tagesordnung ist. Ägypten gehört seit dem Putsch in Kairo am 3. Juli 2013 zu den bedeutendsten Abnehmern deutscher Rüstungsexporte; Berlin sagte ihm allein 2021 Rüstungslieferungen im Wert von 4,34 Milliarden Euro zu.

Gemeinsame Flüchtlingsabwehr

Die Bundesrepublik arbeitet seit je eng mit Ägypten zusammen. Ursache ist zum einen, dass dem Land eine Schlüsselrolle im Nahen Osten zugeschrieben wird. Hinzu kommt, dass es mit dem Suezkanal einen der wichtigsten Seewege der Welt kontrolliert, dessen Bedeutung mit dem rasanten Wachstum des deutschen Asienhandels weiter zugenommen hat. Kairo arbeitet darüber hinaus seit Jahren mit Berlin und der EU eng in der Flüchtlingsabwehr zusammen – insbesondere, seit 2016 die Zahl der Flüchtlinge, denen es gelang, mit Booten aus Ägypten nach Europa einzureisen, deutlich stieg. Die in Kairo herrschenden Militärs haben das seither unterbunden, erwarten aber im Gegenzug Kooperation.[1] Die Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsabwehr kann auf deutscher Seite auch daran anknüpfen, dass die Beziehungen, die die deutschen Repressions- und Geheimdienstbehörden zu ägyptischen Partnerorganisationen unterhalten, als eng gelten.[2] Nicht zuletzt ist Ägypten ein wichtiger Absatzmarkt für die deutsche Exportindustrie – der zweitgrößte auf dem afrikanischen Kontinent nach Südafrika. Auch als Investitionsstandort der deutschen Wirtschaft in Afrika liegt Ägypten, gemeinsam mit Marokko, nach Südafrika auf Rang zwei.

Top-Rüstungskunde

Zusätzlich zur allgemeinen Kooperation verkauft die Bundesrepublik Ägypten Kriegsgerät – besonders seit dem dortigen Putsch am 3. Juli 2013. Der Wert der Genehmigungen für Rüstungslieferungen, die die Bundesregierung erteilte, schnellte im Jahr 2016 auf knapp 400 Millionen Euro in die Höhe, erreichte 2017 mehr als 700 Millionen Euro, um nach einer kurzen Unterbrechung im Jahr 2018 auf über 800 Millionen Euro 2019 zu steigen. Ging der Wert im Jahr 2020 leicht auf 760 Millionen Euro zurück, so erreichte er im vergangenen Jahr den bemerkenswerten Rekordwert von 4,34 Milliarden Euro. Die hohen Werte resultierten vor allem aus der Belieferung der ägyptischen Marine, die Kaufverträge unter anderem für vier U-Boote, vier Fregatten und neun Patrouillenboote abschließen konnte.[3] Darüber hinaus segnete die Bundesregierung beispielsweise die Ausfuhr von Torpedos und anderen Waffen für die ägyptische Marine sowie von Hunderten Luft-Luft-Lenkraketen für Ägyptens Luftstreitkräfte ab, hergestellt von Diehl Defence (Überlingen). Die Genehmigungen für die Rüstungslieferungen wurden erteilt, obwohl Ägypten nicht nur mitten in einem Krisengebiet liegt, sondern sich aktiv am Krieg im Jemen beteiligte.[4]

Mehr politische Gefangene als inhaftierte Kriminelle

Die ägyptische Militärregierung ist seit je wegen ihrer brutalen Repression berüchtigt. Schon bei der Niederschlagung von Protesten gegen den Putsch kamen im Sommer 2013 vermutlich über 3.000 Menschen zu Tode. Besonders betroffen ist bis heute die Muslimbruderschaft, gegen deren Mitglieder hunderte Todesurteile verhängt wurden; die genaue Zahl ist unbekannt.[5] Zu Tausenden inhaftiert wurden in der Vergangenheit Ägypter, die lediglich gegen Korruption demonstrierten; es genügt laut Angaben von Amnesty International unter Umständen bereits, sein Streikrecht wahrzunehmen, um festgenommen und ins Gefängnis geworfen zu werden.[6] Entsprechend hoch ist die Zahl der politischen Gefangenen. Das Arabic Network for Human Rights Information (ANHRI) bezifferte sie auf der Grundlage detaillierter Recherchen vor rund einem Jahr auf etwa 65.000; demnach sind in Ägypten mehr Personen wegen politischer Aktivitäten in Haft genommen worden als wegen gewöhnlicher Kriminalität (54.000). Um die immense Zahl der Gefangenen bewältigen zu können, sind laut Angaben des ANHRI im vergangenen Jahrzehnt zusätzlich zu den 43 bereits bestehenden großen Gefängnissen in Ägypten 35 weitere neu errichtet worden.[7]

„Stabilität“ in Gefahr

Dennoch sind in den ägyptischen Haftanstalten Zellen oft überbelegt; die Haftbedingungen sind katastrophal. Regelmäßig wird von mangelhafter Hygiene und mangelndem Zugang zu sanitären Einrichtungen berichtet, zudem von unzureichender Versorgung mit Wasser und Nahrung. Folter ist verbreitet, nicht zuletzt auch in Einrichtungen, in denen Personen informell festgehalten werden.[8] Amnesty International zufolge verstarben mindestens 35 Menschen in Haft oder unmittelbar nach ihrer Entlassung aufgrund der Haftbedingungen. In vielen Fällen lassen die Behörden Regierungsgegner „verschwinden“; allein für die Zeit von 2015 bis September 2020 konnte die Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF) 2.723 Fälle dokumentieren.[9] Die Repression nimmt ein solches Ausmaß an, dass die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im August vergangenen Jahres warnte, die „Sicherheitslage und Stabilität des Landes“ gerieten ernsthaft in Gefahr. Gefangene müssten sich ihre Zellen nicht selten mit IS-Anhängern teilen, die „leichtes Spiel“ hätten, „für ihre radikale Ideologie zu werben“.[10] „Außerhalb der Haftanstalten“ trügen „Wut und Verzweiflung im sozialen Umfeld der Gefangenen wenn nicht zur Radikalisierung, dann zumindest zur Ablehnung staatlicher und politischer Institutionen“ bei. Insbesondere „junge, gut ausgebildete Ägypterinnen und Ägypter, die sich sozial engagieren“, müssten „staatliche Repression auch in Form von Haftstrafen fürchten“ und verließen daher oft das Land.

„Grüner“ Wasserstoff

Außenministerin Annalena Baerbock, die am morgigen Samstag in Kairo Gespräche führen will, hat vorab darauf hingewiesen, Ägypten sei „nicht nur für den Nahostkonflikt“, sondern „auch für etliche regionale Herausforderungen … ein wichtiger Ansprechpartner“, zum Beispiel für „den Konflikt in Libyen“.[11] Es gebe „ein enormes Interesse der Ägypterinnen und Ägypter an der deutschen Sprache und Kultur“: „Darauf möchte ich für die Zukunft aufbauen“. Während die Bundesregierung politische Attacken auf rivalisierende und gegnerische Staaten regelmäßig mit empört vorgetragenen Vorwürfen in puncto Menschenrechte legitimiert, ist davon vor Baerbocks Reise nach Kairo nichts zu hören; mit Ägypten sucht Berlin schließlich eine enge Kooperation. Diese soll ausgeweitet werden: Die Bundesregierung hat das Land als Lieferanten von „grünem“ Wasserstoff im Blick. Dortige Photovoltaikanlagen und Windparks sollen genutzt werden, um Wasserstoff zu produzieren, der dann unter anderem nach Deutschland geliefert werden soll, um der Bundesrepublik die Energiewende zu ermöglichen. Siemens hat bereits ein Pilotprojekt vereinbart.[12] Baerbock kündigt nun an, sie wolle gemeinsam mit ihrem ägyptischen Amtskollegen „den Vorsitz für den Petersberger Klimadialog“ übernehmen, der im Juli stattfinden soll.

 

[1] S. dazu Mubarak 2.0 (II).

[2] S. dazu Sisi in Berlin (III).

[3] bicc Länderinformation: Ägypten. Bonn, Dezember 2021.

[4] S. dazu Die Militarisierung des Mittelmeers.

[5] Jannis Hagmann: Abrechnung mit den Muslimbrüdern. de.qantara.de 05.08.2021.

[6] Egypt 2020. amnesty.org.

[7] Waiting for you; 78 prisons, including 35 built after the January Revolution. On the difficult conditions of prisoners and prisons in Egypt. anhri.info 11.04.2021.

[8] Egypt 2020. amnesty.org.

[9] Enforced disappearances persist in MENA amidst unaddressed impunity. ifex.org 30.08.2021.

[10] Patricia Jannack, Stephan Roll: Politische Gefangene in Sisis Ägypten. SWP-Aktuell 2021/A55. Berlin, 30.08.2021.

[11] Außenministerin Annalena Baerbock vor ihrer Abreise in den Nahen Osten. auswaertiges-amt.de 09.02.2022.

[12] Branchencheck Ägypten: Energiewirtschaft. gtai.de 06.01.2022.

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