Von der Geburt über die Kinderbildung und -betreuung, die ambulante, mobile oder stationäre Pflege und Betreuung beeinträchtigter, kranker oder älterer Personen bis zur Palliativbegleitung: Die Baustellen professioneller, institutioneller Care-Arbeit ziehen sich über alle Lebensphasen, in denen die Gesellschaft diese benötigt. Die Versäumnisse der Politik werden in diesen Bereichen immer deutlicher. Schlechte Rahmenbedingungen und unzureichende Personalausstattung führen dazu, dass immer weniger Personen in diesen Bereichen arbeiten möchten und können. Ein Systemversagen droht.
Von Heidemarie Staflinger und Sophie Hötzinger (A&W-Blog)
Zwischen Fürsorgeethos und Ökonomisierung
Care-Work, im deutschen Sprachraum auch als Care-Arbeit oder Sorgearbeit bezeichnet, umfasst alle Tätigkeiten des Pflegens und Sich-Kümmerns. Entstanden in der Diskussion um unbezahlte, aber gesellschaftlich notwendige und insbesondere von Frauen geleistete Arbeit, wird der Begriff Care-Work mittlerweile sowohl für unbezahlte als auch für bezahlte, institutionalisierte Arbeit, wie z. B. im Bereich der Pflege und der Kinderbetreuung, verwendet.
Eine gewisse Fürsorgeethik liegt allerdings auch heute noch dem Bereich der institutionellen Care-Arbeit zugrunde. Menschen in diesen Berufen stellen häufig die Arbeit mit Menschen und die Beziehungspflege und -arbeit in den Mittelpunkt. Grundsätzlich wird die Arbeit als sehr sinnstiftend erlebt, wie z. B. neun von zehn Beschäftigten im Bereich der Kinderbildung und -betreuung bestätigen. Die Art der Tätigkeit mit einer immer noch hohen Sinnstiftung trägt oft dazu bei, dass eine besondere Beziehung zum Beruf aufgebaut wird. Menschen in besonderen Lebensphasen qualitativ hochwertig vom Beginn des Lebens bis zum Tod und darüber hinaus zu begleiten zeichnet Care-Berufe aus. Gerade hier lauert eine große Gefahr: Lange Zeit herrschte das Bild der oft ehrenamtlichen Pflege und Kinderbetreuung durch Frauen, teils auch in Ordensberufen vor. Das Bild der aufopfernden Pflegerin, die hingebungsvoll „Dienst an den Armen, Kranken und Schwachen“ leistet, hat Österreich geprägt. Helfende Hände werden auf Abbildungen in den Vordergrund gerückt und immer noch sind in manchen Regionen Kindergartenpädagoginnen „Tanten“.
In der derzeitigen Situation wird oft der Anschein erweckt, dass die Politik immer noch auf dieses Bild von Care-Arbeit vertraut und wenig investiert, um Rahmenbedingungen für professionelle Care-Arbeit sinnvoll zu gestalten. Berufsethos und Engagement der Beschäftigten geraten unter den Tendenzen der Ökonomisierung und Austeritätspolitik jedoch unter Druck. Derzeit herrschen in vielen Bereichen der Care-Arbeit, wie z. B. Kinderbildung und -betreuung, Heimen, Mobilen Diensten, Krankenhäusern, und auch in der Sozialen Arbeit Rahmenbedingungen vor, die schon lange nicht mehr zeitgemäß sind. Ungünstige Arbeitsbedingungen und die oft fehlende Zeit für Emotionsarbeit führen dazu, dass Beschäftigte schon lange nicht mehr so arbeiten können, wie sie gerne möchten.
Laufend neue und zusätzliche Aufgaben, hohe Qualitätsanforderungen, Ansprüche von Klient*innen und Angehörigen, aber auch nicht auf dem aktuellen Erkenntnisstand der Pflege und Kinderbildung und -betreuung arbeiten zu können, führen dazu, dass Beschäftigte immer mehr unter Druck sind. Pflegekräfte z. B. sind in allen Bereichen höher belastet als andere Berufsgruppen.
Der enorme Arbeitsdruck wirkt sich auch auf den Gesundheitszustand aus. Mehr als andere Berufsgruppen klagen Beschäftigte in Care-Berufen über psychische und physische Erschöpfung. 35,9 Prozent der befragten Beschäftigen in der oö. Kinderbildung und -betreuung fühlen sich immer oder oft emotional erschöpft. Angst- und Depressionssymptome bei Gesundheits- und Sozialbetreuungsberufen steigen. Über drei Viertel der Befragten zeigen zumindest eine geringe Belastung im Bereich Depression, und fast die Hälfte hat Angstsymptome.
Eine von den Beschäftigten empfundene zu niedrige Entlohnung für ihre Leistungen trägt zudem dazu bei, dass Care-Bereiche für viele Menschen unattraktiv erscheinen. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen wird es immer schwieriger, Menschen für Care-Berufe zu begeistern bzw. im Beruf zu halten. 2021 haben – auch unter dem Einfluss der COVID-Arbeitsbedingungen – 13 Prozent der Pflegekräfte täglich daran gedacht, ihren Beruf zu verlassen. Nur vier von zehn Pflegekräften und zwei Drittel der Beschäftigten in der institutionellen Kinderbildung und -betreuung können sich derzeit vorstellen, ihren Beruf bis zur Pension auszuüben. Was nun droht, kann als Systemversagen bezeichnet werden. Für den Gesundheitsbereich wurde im Dezember beim Gesundheitsministerium eine Gefährdungsanzeige eingebracht, um auf die Situation hinzuweisen.
Steigende Bedarfe – qualitativ und quantitativ
Ein jahrelanges Ignorieren der Großbaustellen im gesamten Care-Bereich durch die Politik bringt nicht nur schlechte Arbeitsbedingungen, sondern hat auch Auswirkungen für die betreuten älteren Personen, kranken Personen, Kinder und deren Angehörige.
Bereits jetzt berichten Pflegekräfte darüber, dass eine Pflege über die klassische Grundpflege mit „warm satt sauber“ hinaus nur noch schwer machbar ist. Im Bereich der Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen schildern Beschäftigte ihre Sorge, von Bildungseinrichtungen zu „bloßen Aufbewahrungsstätten“ zu werden. Die Qualität in allen Care-Einrichtungen ist schon derzeit nur unter höchster Anstrengung zu halten, wie man schon vor Beginn der Pandemie wusste. Die letzten beiden Jahre haben noch deutlicher gemacht, wo die Problematiken liegen – reagiert wird seitens der Politik trotzdem nicht.
Die Versäumnisse werden immer deutlicher, das Ende der Fahnenstange ist allerdings längst nicht erreicht, denn die Bedarfe steigen in den kommenden Jahren zunehmend. Dass eine immer älter werdende Gesellschaft mit international vergleichsweise wenigen gesunden Lebensjahren und steigenden Demenzzahlen immer größere Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegebereich mit sich bringt, ist hinreichend bekannt. Vorsichtigen Prognosen zufolge braucht Österreich bis 2030 über 76.000 zusätzliche Pflegekräfte, allein um die demografischen Entwicklungen und die Pensionierungswellen abzudecken. Mehr Personal, damit mehr Zeit für die Pflege verfügbar ist, ist da noch gar nicht berücksichtigt. Prognosen für Hebammen und die Medizinisch-Technischen Dienste zeichnen ein ähnliches Bild. Dass ein flächendeckender Ausbau des Kinderbildungs- und -betreuungsbereiches hinsichtlich Barcelona-Zielen und ViF-Kriterien dringend notwendig ist, um Vereinbarkeit für die Eltern und insbesondere für Frauen zu gewährleisten, ebenso. Nimmt der Sozialstaat den Ausbau der sozialen Infrastruktur zu wenig wahr, sind es wieder Familien und hier insbesondere Frauen, die – oft unbezahlt und nebenbei – in Care-Aufgaben gedrängt werden. Arbeitnehmer*innen erwarten sich hier ein verstärktes Aktivwerden der Politik.
Ausbildung
Deutlich wird, es braucht eine echte Ausbildungsoffensive in allen Bereichen. Neben der Schaffung von mehr kostenlosen Ausbildungsplätzen mit einem existenzsichernden Qualifizierungsgeld braucht es auch Initiativen zur Verbesserung der Praktika und der Arbeitsbedingungen generell. Viele beschließen, nachdem sie die Bedingungen im Praktikum selbst erleben, die Arbeit im Bereich zur gegenwärtigen Bezahlung nicht aufzunehmen. So steigen in Oberösterreich zum Beispiel nur rund ein Drittel der BAFEP-Absolvent*innen in den Beruf als Elementarpädagog*in ein, wie eine Erhebung des Städte- und Gemeindebundes ergab. Viele junge Beschäftigte verlassen den Bereich kurz nach Abschluss der Ausbildung wieder, insbesondere deswegen, weil sie die sinnstiftenden Tätigkeiten, wegen denen sie eine Arbeit im Care-Bereich angestrebt hätten, unter den derzeitigen Bedingungen nicht umsetzen können.
Arbeitsmarkt und Investitionen
Care-Berufe werden oft als Zukunftsberufe bezeichnet. Bereits jetzt gibt es viele Arbeitsplätze in diesem Bereich, Bedarf steigend. So arbeiten österreichweit bereits derzeit knapp 62.000 Menschen in der Kinderbildung und -betreuung, knapp 100.000 Menschen in Gesundheitsberufen (Pflege, Medizinisch-Technische Dienste, Hebammen usw.) im Krankenhaus und 60.000 Menschen in der Langzeitpflege.
International betrachtet werden in Österreich vergleichbar wenig Mittel für den Care-Bereich ausgegeben. Österreich gibt 0,7 Prozent des BIP für Kinderbildung und -betreuung aus, womit es damit weit unter dem Durchschnitt der Industriestaaten von knapp einem Prozent liegt (OECD). Die Gesundheitsausgaben inklusive Langzeitpflege machen derzeit 10,4 Prozent des BIP aus. Bei den Ausgaben für die Langzeitpflege befindet sich Österreich mit 1,5 Prozent im westeuropäischen Vergleich im Bereich der Pflegeausgaben in Prozent des BIP im unteren Drittel. Skandinavische Länder – oder auch die Niederlande – wenden bereits heute so viel für Pflege auf, wie dies für Österreich erst 2050 prognostiziert ist.
Die Aufwertung der Care-Arbeit und Investitionen in die Rahmenbedingungen und die Beschäftigung in sinnstiftenden Arbeitsplätzen muss der öffentlichen Hand mehr wert sein. Unmittelbare Beschäftigungseffekte durch Schaffung von Arbeitsplätzen in einem grundsätzlich krisensicheren, sinnstiftenden Bereich ebenso wie Beschäftigungseffekte durch vermehrte Beschäftigung jener Personen, die die Care-Arbeit ansonsten informell und unbezahlt verrichten. Das wiederum führt zu Kaufkrafteffekten bei beiden Gruppen ebenso wie zu zusätzlichen Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen. Gleichstellungseffekte und mehr Chancengerechtigkeit gehen damit einher. Investitionen in die Kinderbildung und -betreuung bedeuten darüber hinaus auch einen langfristigen Gewinn für die Zukunft, indem sie den Grundstein für Bildungschancen und somit die Chance auf höhere Einkommen, besseres Gesundheitsverhalten etc. legen. Rund 70 Prozent der Investitionen in Kinderbildung und -betreuung kommen durch diese Effekte als Return on Investment retour. Laufend wird auf die Pflege als Wirtschaftsmotor hingewiesen. Ein Euro Investition in die Pflege bringt Berechnungen des IHS zufolge 1,7 Euro volkswirtschaftliche Wertschöpfung.
Fazit
Es sind dringend Verbesserungen der Rahmenbedingungen und der Entlohnung notwendig, um zukünftig wieder mehr Personen für diesen Bereich gewinnen zu können. Die derzeit schleppend laufende Pflegereform auf Bundesebene muss endlich an Tempo gewinnen. Der gerade entstehende Ausbildungsfonds für Pflegeberufe ist ein erster wichtiger Schritt, wird aber nicht ausreichen, um den aktuellen Pflegepersonalbedarf zu decken. Die zeitgemäße Personalberechnung, verbunden mit einer Personalaufstockung für die Pflege, ist hier ein zentraler Baustein.
Eine Investitionsoffensive und eine Ausbildungsoffensive ist auch im Bereich der Kinderbildung und -betreuung notwendig, um fehlende Personalressourcen langfristig abzudecken, einen vollzeittauglichen Ausbau garantieren zu können und den Personal-Kind-Schlüssel im Sinne einer qualitätsvollen Bildung und Betreuung und einer Entlastung der Beschäftigten zu senken. Genug der schönen Worte für die Beschäftigen im Care-Bereich, Bund und Länder sind gefordert, rasche Reformen auf den Weg zu bringen. Die Verbesserung der Care-Situation in allen Lebensbereichen ist eine zentrale Aufgabe des Sozialstaates.