Kurz vor dem Jahreswechsel schauen viele Menschen noch mal auf das ausgehende Jahr zurück und reflektieren ihre Erlebnisse. In Peru ware ein einschneidendes Ereignis des zurückliegenden Jahres die Wahl von Pedro Castillo zum neuen Präsidenten. Das Portal Inforegión hat dies zum Anlass genommen, um mit drei Expert*innen über die bisherigen Umweltschutzmaßnahmen der neuen Regierung zu sprechen sowie Fortschritte, Lücken und Herausforderungen für die kommenden Jahre aufzuzeigen. Entwaldung, illegaler Bergbau, Müllentsorgung und die Schaffung von Naturschutzgebieten waren die zentralen Themen, anhand derer Fabiola Muñoz, ehemalige Umweltministerin, César Ipenza, auf Umweltfragen spezialisierter Anwalt, und Sandro Chávez, ehemaliger Nationaldekan des Biologenkollegiums Peru, die neue Regierung kritisch bewerteten. Vornweg fasst Ex-Ministerin Muñoz zusammen: „Der Übergang zu einer neuen Regierung bedeutet immer auch Verzögerungen. Eine neue Regierung muss sich erst einarbeiten.“ Allerdings findet sie, die neuen Amtsträger*innen hätten dafür zu lange gebraucht, und die Konsequenzen müsse nun das ganze Land tragen. Chávez sieht das ähnlich: „Wir haben bis jetzt keine Neuerungen gesehen. Aus dem Umweltministerium kam in den fünf Monaten seit der Neubesetzung kein nennenswerter Reformvorschlag. Möglicherweise sind sie noch mit der Erfassung des Ist-Zustandes beschäftigt. Umgesetzt werden bislang nur die Pläne der Vorgängerregierung.“
Illegaler Bergbau
Hinsichtlich der Bergbauaktivitäten betont Muñoz: „Leider sind jegliche Bemühungen, die Pampa und das Naturschutzgebiet Tambopata zu bewahren, gescheitert. Die Minenarbeiter sind zurückgekehrt. Unter keinen Umständen hätte dies geschehen dürfen, denn die Bewahrung der Gebiete ist keine Aufgabe einer gerade amtierenden Regierung, sondern des Staates. Hier hat es Rückschritte gegeben, die wir nicht erlauben dürfen.“ Chávez erinnert daran, wie Präsident Castillo bei seiner Antrittsrede forderte, für die Umweltqualität gewisse Standards einzuhalten. „Trotz allem ist der Bergbau zurück in der Pampa. Das bedeutet, es gibt keinerlei Strategie, um diese illegalen Aktivitäten aufzuhalten“, sagt der Biologe mit Blick auf die Region Madre de Dios.
Anwalt Ipenza weist darauf hin, dass der Bergbau sich während der Pandemie sogar noch intensiviert hat. Seiner Ansicht nach kann die Antwort nicht sein, „den Prozess der Legalisierung von Minen voranzutreiben [wie in einem Gesetz von 2002 festgeschrieben. Anm. d. Ü.]. Die Minenarbeiter halten sich kaum an die darin festgelegten Regeln, und der Staat kontrolliert sie auch kaum. Das versuchen wir bereits seit 19 Jahren vergeblich.“ Das Gesetz sei durch die Lobbyarbeit von Beratern der Minenbetreiber auf den Weg gebracht worden, die mittlerweile auch im Staatsdienst arbeiten. „Das ist natürlich in jeglicher Hinsicht fragwürdig. Dieses Gesetz sollte wir genauer unter die Lupe nehmen, denn es trägt nichts zur nachhaltigen Entwicklung unseres Landes bei“, kritisiert er und ergänzt, Peru habe zwar die rechtlichen Möglichkeiten, die Einfuhr von Quecksilber zu unterbinden, die neue Regierung mache davon aber keinen Gebrauch. In den zurückliegenden Monaten sei der Import von 70 Tonnen Quecksilber genehmigt worden. Ein Teil davon komme zwar in der Industrie zum Einsatz, allerdings sei eine größere Menge für den Kleinbergbau bestimmt. Von dort gelange es aufgrund mangelnder staatlicher Kontrolle auch zu den illegalen Minen.
Ipenza verweist zudem auf den Nachholbedarf der neuen Regierung beim Thema Waldschutz. Allein im Jahr 2020 seien mehr als 200.000 Hektar Wald vernichtet worden, der höchste Wert der letzten 20 Jahre. Leider sei noch niemand zum Vorsitz des Nationalagentur für Forst und Wildleben (Servicio Nacional Forestal y de Fauna Silvestre – SERFOR) ernannt worden; die Behörde sei somit weiterhin ohne Leitung. Gegen eine richterliche Anordnung, den 2020 willkürlich abgesetzten Leiter Alberto Gonzales-Zúñiga wieder einzusetzen, hat die neue Regierung sogar Berufung eingelegt. Ein Urteil steht immer noch aus. Ipenza vermutete daher, der höheren Regierungsebene fehle der Wille, tatsächlich etwas gegen die Abholzung zu tun.
Der traurige Abholzungsrekord von 2020 sollte nach Ansicht der ehemaligen Umweltministerin Muñoz Anlass sein, darüber nachzudenken, wie denn nachhaltige Entwicklung im Amazonasregenwald aussehen könnte. Ein Prozess, bei dem das Umweltministerium eine wichtige Rolle spiele, ebenso der Agrarsektor und die Regionalregierungen. Doch ihrer Einschätzung nach hat die Regierung ihre Prioritäten anders gesetzt. „Sie ignoriert, dass dadurch enorm wichtiges Naturkapital verloren geht“, so Muñoz.
Chávez erinnert abermals an die Antrittsrede des Präsidenten, in der dieser verkündet hatte, das Umweltministerium müsse fähig sein, die Umweltzerstörung, die Abholzung und die Folgen des Klimawandels zu bremsen. Anschließend seien jedoch keine nennenswerten Maßnahmen erfolgt. Nach Auffassung von Chávez hätte es nach der massiven Abholzung in 2020 einer Gegenmaßnahme, etwa in Form einer Notstandserklärung vonseiten der Regierung geben müssen. Vor diesem Hintergrund sei eine neue Strategie im Kampf gegen Abholzung und andere illegale Aktivitäten, etwa das Pflanzen von Kokasträuchern, zwingend notwendig.
Naturschutzgebiete
Doch es gibt auch gute Nachrichten. In den vergangenen Jahren seien für die Verwaltung von Naturreservaten gute Rahmenbedingungen geschaffen worden, erklärt Muñoz. Als Leiter der Nationalagentur für Naturschutzgebiete (Servicio Nacional de Áreas Naturales Protegidas por el Estado, SERNANP) habe Pedro Gamboa in allen Reservaten ein sehr gutes Management etabliert. Seinen Weggang bedauert sie daher sehr: „Ich hoffe, dass die erreichte Qualität mit der neuen Leitung der SERNANP erhalten bleibt.“ Dem neuen Chef der Agentur wolle sie zunächst einen Vertrauensbonus einräumen und die Ergebnisse seiner Arbeit abwarten.
Auch Ipenza betont die Politik der Kontinuität bei der Etablierung und Erhaltung solcher Gebiete. Den Staat Peru beglückwünscht er zur Gründung des Nationalreservats Illesca, schließlich habe dieser Prozess mehr als zehn Jahre gedauert. Auch in Huancavelica ist mit dem Regionalpark Bosque Nublado Amaru- Huachocolpa-Chihuana ein neuer Schutzort entstanden, der erste in dieser Region. Allerdings kritisiert Ipenza auch, dass eine frühere Fehlentscheidung bis heute nicht korrigiert wurde: Im Gebiet des Meeresrücken von Nazca sei immer noch industrielle Fischerei erlaubt. „Damit wurde ein schwerwiegender Präzedenzfall geschaffen“, kommentiert er. Außerdem gebe es auch keinen Fortschritt beim Schutz des Tropenmeeres an den nördlichen Küsten Perus.
Zwar bewertet auch Chávez die Schaffung neuer Schutzgebiete positiv, jedoch sei noch viel zu tun. Die Ausweisung des Nationalreservats Mar Tropical de Grau ist immer noch nicht erfolgt, weil mehrere Unternehmen dies verhindert hätten. Wichtig wäre es auch deshalb, weil es den prozentualen Anteil maritimer Schutzgebiete erhöhen würde. Bei der Gesetzgebung sieht er ebenso Handlungsbedarf. Die derzeitigen Regelungen für Naturschutzgebiete müssten aktualisiert und verbessert werden. Auch die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für eine Ranger-Ausbildung bleibt seit mehr als zehn Jahren unerfüllt.
Entsorgung von festen Abfällen
Zum Thema Abfallentsorgung sagt Muñoz, die jetzige und die vorherige Regierung hätten beim Thema Müllentsorgung viel versäumt. Während Martín Vizcarras Amtszeit habe es zwar den Vorschlag für ein Gesetz zum Abfallmanagement gegeben, in Kraft getreten sei es allerdings nie. Das Gesetz hätte Bürger*innen dazu verpflichtet, Müll zu trennen, die Gemeinden hätten den Auftrag erhalten, den Müll tatsächlich abzuholen. Es hätte außerdem Arbeitsplätze in der Recyclingwirtschaft geschaffen. Nach Ansicht von Muñoz eine vertane Chance, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Knappheit von Rohstoffen, die auch aus recyceltem Material gewonnen werden könnten. Stattdessen würden bereits Forderungen laut, den erst am 20. Dezember verbotenen Gebrauch von expandiertem Polystyrol (Schaumstoff) wieder zu erlauben. „Das ist eines der wichtigsten Themen, die die Regierung angehen sollte“, sagt Muñoz.
Das neue Gesetz beinhaltet ein generelles Verbot von Einwegplastik. Doch könne man beim Einkaufen beobachten, dass Lebensmittel nach wie vor in solchen Verpackungen verkauft werden, kritisiert Ipenza. Er fragt sich daher, welche Kontrollfunktion das Umweltministerium einnehmen sollte, damit das Verbot auch durchgesetzt wird. Es sei wichtig, dass das Ministerium hier eine verbindliche Politik verfolge und in Zusammenarbeit mit den regionalen Verwaltungen tätig werde. Denn auf regionaler Ebene kämen die Gemeinden kaum ihrer Verantwortung nach. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Distrikt José Leonardo Ortiz in der Provinz Lambayecano ein immenses Müllproblem hat. Immerhin lasse das Umweltministerium nicht nach in seiner Forderung, dem Problem auch mit der Errichtung von Verwertungsanlagen zu begegnen, schloss der Anwalt.
Chávez merkt an, eine neue Kampagne zur Einhaltung des neuen Gesetzes sei allein deshalb notwendig, weil der Gebrauch von Einwegplastik während der Pandemie noch zugenommen habe. „Wir müssen energischer dafür sorgen, dass Plastik sich nicht weiter verbreitet“, meint der Biologe.
Handel mit Wildtieren
Ein weiteres Thema, das nach Chávez’ Ansicht von der Regierung dringend angegangen werde muss, ist die Etablierung eines gesetzlichen Rahmens zur Überwachung und Eindämmung des illegalen Wildtierhandels. Fälle wie der des Andenfuchses „Run Run“, den eine Familie in Lima gekauft hatte im Glauben, es handele sich um einen Hund, zeigten, welche Ausmaße der Handel bereits angenommen hat, so Chávez. Die Übertragung des Corona-Virus vom Tier auf den Mensch habe außerdem deutlich gemacht, wie der Handel mit Wildtieren die Gesundheit des Menschen gefährde. Dabei spiele allerdings auch eine Rolle, dass sich Wildtiere immer mehr den urbanen Zentren annähern, weil ihr Lebensraum immer kleiner wird.
Schutz von Umweltaktivist*innen
Da in Peru viele engagierte Menschen und indigene Aktivist*innen bedroht und manche sogar ermordet werden, ohne dass es funktionierende Mechanismen zu deren Schutz gibt, geht Anwalt Ipenza davon aus, dass das Land für Umweltschützer*innen einer des gefährlichsten Orte der Welt ist. Peru habe immer noch nicht das Abkommen von Escazú aus dem Jahr 2018 ratifiziert, in dem es auch um den Schutz von Aktivist*innen geht. Dafür sei sowohl der Kongress als auch die Regierung zuständig.
Sozial-ökologische Konflikte
In diesem Zusammenhang kritisiert Ipenza auch die zuständigen Behörden, die „bei den großen Konflikten nicht interveniert haben. Obwohl es deren Aufgabe ist, haben sie nicht sichergestellt, dass wirtschaftliche Vorhaben sich im Rahmen unseres Allgemeinen Umweltgesetzes bewegen und das grundsätzliche Recht aller Menschen auf eine intakte Umwelt gewährleistet bleibt.“ Eine Statistik der staatlichen Ombudsstelle (Defensoría del pueblo) vom November 2021 verdeutlicht diese Aussage: Von allen Regionen in Peru hat Loreto die meisten sozialen Konflikte (29) zu verzeichnen. Davon haben mehr als die Hälfte (19) sozialökologischen Charakter.
Bioläden und Biohandel
Was den Handel mit Bioprodukten angeht, stellt Muñoz fest, dass es Fortschritte gibt, jedoch mehr staatliche Unterstützung nötig ist: „Die Produzent*innen betreiben einen enormen Aufwand, um unsere Biodiversität zu bewahren, doch die Politik hat bis jetzt keine Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Unternehmen weiter wachsen können. Das ist ein Fehler.“ Auch hier habe das Umweltministerium Handlungsmöglichkeiten, schließlich gebe es dort mit der Generaldirektion für Umweltökonomie und -finanzierung eine eigene Abteilung für derartige Förderungen. Dass Luis Marino als Abteilungsleiter kürzlich ausgeschieden ist, bedauert sie sehr, denn er habe die Wichtigkeit solcher Prozesse erkannt.
Kreislaufwirtschaft
Bei der Etablierung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft hält Muñoz es für falsch, wenn die Regierung sich mit Auflagen zurückhält aus Angst vor hohen Kosten für die Unternehmen, die sich nach der Pandemie wieder rasch erholen sollen. „Im Gegenteil, die Kreislaufwirtschaft ist eine besondere Gelegenheit“, sagt sie. Die Müllverwertung und die bessere Verzahnung von Herstellungsschritten würden die gesamte Produktionskette aufwerten, alles effizienter machen und auch für die Unternehmen einen Gewinn bedeuten. „Der Staat könnte doch bei Corona-Neustarthilfen für Bemühungen im Bereich Kreislaufwirtschaft zusätzliche Förderungen ausweisen. Hier gab es einfach zu viel Stillstand, und jetzt besteht die Gelegenheit, da wieder anzusetzen.“
Treibhausgas-Emmission
Auch bei der Reduzierung des Co2-Ausstoßes muss sich nach Ansicht von Muñoz noch einiges bewegen: „Die Elektromobilität muss weiter ausgebaut werden. Da sehe ich gute Möglichkeiten, aber es wurde zuletzt zu wenig getan. Da müssen wir wieder weitermachen.“ Als Umweltministerin habe sie dahingehend auch schon mit dem Ministerium für Energie und Bergbau zusammengearbeitet.
Chávez erinnert in dem Zusammenhang abermals an die Antrittsrede des Präsidenten, in der dieser eine Reduzierung des Treibhausgasausstoßes um 40% bis 2030 angekündigt hatte. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der größte Teil der Emissionen nicht aus der Industrie kommt, sondern auf Abholzung zurückzuführen ist. „Und da sind wir wieder zurück beim selben Problem“, konstatiert er.
Staatliche Strukturen
Was die politische Handlungsfähigkeit angeht, kommt Chávez zu dem Schluss, es müsse ein neues staatliches Instituts für Biodiversität gegründet werden, das dem Umweltministerium untersteht. Momentan gebe es nur eine Generaldirektion, die vom Haushalt des Umweltministeriums abhängig sei. „Wir brauchen dafür aber eine eigenständige Einheit wie die SERNANP oder die Nationalagentur für Meteorologie und Hydrologie (Servicio Nacional de Meteorología e Hidrología, SENAMHI, Anm. d. Ü.). Diese neue Einheit muss dann alle Kenntnisse zur Biodiversität bündeln. Momentan ist das noch auf zu viele kleinere Einheiten verteilt“, fasst er zusammen.
Auch über eine Zusammenlegung der SERFOR mit dem Waldschutz-Programm (Programa Nacional de Conservación de Bosques) müsse nachgedacht werden. Denn die SERFOR untersteht dem Ministerium für landwirtschaftliche Entwicklung und Bewässerung, das Waldschutz-Programm hingegen gehört zum Umweltministerium. „Wir brauchen eine Instanz, die sich mit einem ganzheitlichen Blick dem Waldschutz widmet. Wir brauchen eine einheitliche Strategie und eine einheitliche Politik“, so Chávez abschließend.
Übersetzung: Patrick Schütz