Ein Ausschluss Russlands vom globalen Zahlungsverkehr ist Berichten zufolge vom Tisch. Der Grund: Die Schäden für die westlichen Staaten wögen zu schwer.
In der Debatte um westliche Russland-Sanktionen ist das Abschneiden des Landes vom globalen Zahlungsdienstleister SWIFT laut einem Bericht vom Tisch. Hieß es kürzlich noch, man ziehe es in Betracht, Russland im Fall einer weiteren kriegerischen Eskalation des Ukraine-Konflikts faktisch vom globalen Zahlungssystem auszuschließen, so gilt dies laut Regierungsquellen nun nicht mehr als realistische Option; allzu schwer wögen die zu erwartenden Schäden für den Westen selbst. So könnten die Staaten der EU, darunter Deutschland, Erdgaseinfuhren aus Russland nicht mehr bezahlen; mit einem Lieferstopp wäre zu rechnen. Zudem verfügen Moskau und Beijing inzwischen über eigene Zahlungssysteme, die sich bei einem Ausschluss Russlands schnell zur Konkurrenz für SWIFT entwickeln könnten; damit geriete die Dominanz des Westens über das weltweite Zahlungssystem in Gefahr. Bestätigt sich der Bericht, wäre das ein schwerer Dämpfer für die Sanktionspolitik des Westens, der seine wohl schärfste Finanzwaffe verlöre. Alternativ sind nun Sanktionen gegen russische Banken im Gespräch.
Erdgasversorgung in Gefahr
Auf die gravierenden Risiken, die mit einem Abschneiden Russlands von dem globalen Zahlungsdienstleister SWIFT verbunden wären, weisen Experten bereits seit geraumer Zeit hin. Dabei geht es zum einen um unmittelbare ökonomische Gefahren. So schulden Russen bzw. russische Unternehmen europäischen Banken insgesamt rund 56 Milliarden US-Dollar; würde Russland vom internationalen Zahlungssystem faktisch ausgeschlossen, könnten die Kredite nicht mehr bedient werden.[1] Umgekehrt haben Firmen und Finanziers aus der EU 310 Milliarden Euro in Russland angelegt; dessen Ausschluss vom Finanzsystem hätte entsprechend direkte Auswirkungen auch auf europäische Unternehmen. Hinzu kommt, dass Russlands Erdgaslieferungen in die EU bezahlt werden müssen; ist das nicht mehr möglich, dann wäre die Erdgasversorgung der Union in Gefahr. Zudem wäre weltweit mit einem dramatischen Anstieg des Erdgaspreises zu rechnen – in einer Zeit, in der die Energiepreise ohnehin erheblich in die Höhe geschossen sind.
Alternative Zahlungssysteme
Zum anderen droht ein Abschneiden Russlands von SWIFT zu einer Schwächung der US-Dominanz über das globale Finanzsystem zu führen. Moskau hat, seit Washington ihm 2014 erstmals mit einem SWIFT-Ausschluss drohte, ein eigenes Zahlungssystem (SPFS) entwickelt; SPFS wird in Russland bereits genutzt, hat zwar noch Einschränkungen, ließe sich aber wohl ohne prinzipielle Probleme ausbauen. Von Belarus etwa wird berichtet, es sei bereits dabei, schrittweise von SWIFT aus SPFS umzustellen.[2] Darüber hinaus hat auch China ein eigenes Zahlungssystem entwickelt (CIPS), das inzwischen schon Finanztransfers mit einem Wert von einem Achtel der SWIFT-Transfers abwickelt – mit rasch steigender Tendenz.[3] Die Regierungen Russlands und Chinas haben im vergangenen Jahr angekündigt, sich gegen Angriffe mit heftigen US-Finanzsanktionen zusammenzutun; beide verfügen mit SPFS und CIPS Mittel, die es ermöglichen, einen Ausschluss aus SWIFT zu überstehen. Hinzu kommt, dass beide damit auch Zahlungssysteme für andere Staaten zur Verfügung stellen können, die ihrerseits in Konflikt mit dem Westen geraten. Dessen Sanktionswaffen würden damit zunehmend stumpf.
Auf Sanktionen vorbereitet
Zu den kurz- wie auch langfristig schädlichen Auswirkungen für den Westen kommt hinzu, dass Russland mittlerweile laut Berichten relativ gut auf westliche Sanktionen vorbereitet ist und die Schäden wohl begrenzen könnte. So hat es seine Zentralbankreserven seit 2015 um über 70 Prozent auf mehr als 620 Milliarden US-Dollar aufgestockt. Davon werden nur noch 16,4 Prozent in US-Dollar gehalten, wenig mehr als in chinesischen Yuan (13,1 Prozent) sowie deutlich weniger als in Euro (rund ein Drittel) oder in Gold (21,7 Prozent).[4] Darüber hinaus hat Moskau aus überschüssigen Erdöl- und Erdgaseinnahmen einen Staatsfonds (National Wealth Fund) aufgebaut, dessen Volumen bis zum dritten Quartal 2021 auf rund 190 Milliarden US-Dollar gestiegen war und bis 2024 300 Milliarden US-Dollar erreichen soll. Die Staatsschulden liegen bei nur 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; bis 2023 sollen sie auf 18,5 Prozent sinken. Zudem sind die Kredite bei ausländischen Gläubigern deutlich zurückgegangen – von 150 Milliarden US-Dollar im März 2014 auf 80 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr –, während auch russische Staatsanleihen nur noch zu 20 Prozent in ausländischem Besitz sind: ein Resultat von US-Sanktionen aus dem Jahr 2019, das Moskau heute weniger angreifbar macht.[5]
„SWIFT unangetastet lassen“
Seit Jahresbeginn warnen zunehmend Politiker und Funktionäre staatlicher Organisationen, ein Abschneiden Russlands von SWIFT könne sich für die westlichen Mächte zum Bumerang entwickeln. So wurde der ehemalige US-Botschafter in der Ukraine und jetzige Vizepräsident des U.S. Institute of Peace (USIP), Bill Taylor, kürzlich mit der Feststellung zitiert, die Maßnahme würde zwar der russischen Wirtschaft schwer schaden, aber auch Unternehmen in Europa empfindlich treffen.[6] Anfang der Woche äußerte der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die eindringliche Warnung, Russlands SWIFT-Ausschluss „könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte und auch für die Waren- und Dienstleistungsbeziehungen“ sein: „Ich würde massive ökonomische Rückschläge auch für unsere Volkswirtschaften sehen“, erklärte Merz; „wir würden uns selbst erheblich schaden“.[7] Schlimmstenfalls werde die Maßnahme SWIFT „das Rückgrat brechen“. Der CDU-Politiker forderte: „Wir sollten SWIFT unangetastet lassen.“
Sanktionen gegen Banken
Trifft ein Bericht zu, den das Handelsblatt jetzt veröffentlicht hat, dann ist ein Ausschluss Russlands von SWIFT mittlerweile vom Tisch. Unter Berufung auf nicht näher beschriebene „Regierungsquellen“ heißt es, die Maßnahme könne „kurzfristig zu einer Destabilisierung der Finanzmärkte führen und mittelfristig den Aufbau einer alternativen, nicht mehr westlich dominierten Zahlungsinfrastruktur befördern“.[8] Deshalb werde sie nun nicht mehr verfolgt. Während es in Washington heißt, man halte sich unverändert alle Optionen offen, berichtet das Handelsblatt, alternativ setzten die westlichen Mächte nun auf die Drohung mit gezielten Sanktionen gegen russische Banken. Allerdings bestehe die Bundesregierung darauf, es müsse Ausnahmen geben, die es möglich machten, russische Erdgaslieferungen in die EU zu bezahlen. Details sind demnach Gegenstand von Gesprächen, die US-Außenminister Antony Blinken auf einer kurzfristig anberaumten Reise nach Kiew und Berlin am Donnerstag mit Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz führen wird.
„Bereit, sich selbst zu schädigen“
Unabhängig von der Frage, wie die Sanktionen im Detail ausgestaltet werden, warnen Experten, ohne ernste Schäden auch für die westlichen Staaten seien Strafmaßnahmen gegen Russland nicht zu haben. Sollten sie „wirken“, dann wären „die ökonomischen Folgen zuhause – besonders in der EU – sicherlich bedeutend“, urteilt Tom Keatinge, Finanzexperte des Royal United Services Institute (RUSI) aus London.[9] Keatinge will dies nicht als ein Argument gegen die Verhängung von Sanktionen verstanden wissen, sondern lediglich als Hinweis darauf, der Westen müsse, „parallel zum Schaden“, den er „Russland zufügen“ wolle, bereit sein, „sich selbst zu schädigen“.
[1] The hidden costs of cutting Russia off from SWIFT. economist.com 18.12.2021.
[2] Belarus Banks Readying for SWIFT Shutdown – Reports. themoscowtimes.com 14.12.2021.
[3] The hidden costs of cutting Russia off from SWIFT. economist.com 18.12.2021.
[4], [5] Max Seddon, Polina Ivanova: Moscow’s sanction-proofing efforts weaken western threats. ft.com 18.01.2022.
[6] Konflikt mit Moskau: Optionen des Westens. zdf.de 05.01.2022.
[7] Merz nennt Swift-Ausschluss Russlands „Atombombe für Kapitalmärkte“. tagesspiegel.de 16.01.2022.
[8] Martin Greive, Moritz Koch: Swift-Sanktionen vom Tisch: EU und USA rücken vom Ausschluss Russlands aus globalem Finanzsystem ab. handelsblatt.com 17.01.2022.
[9] Tom Keatinge: Sanctioning Russian Aggression: The West Must Accept Economic Self-Harm. rusi.org 15.12.2021.