Die Kulisse ist historisch und imposant, ihr Anblick davor in den Notzelten ist verstörend. Rechts neben dem Lager, bestehend aus 4 Zelten, ein Dixi-Häuschen. Vor den Zelten ein Klapptisch mit einer Spendendose.

Bei grünen Ampeln rauscht der Verkehr vorbei, rechts und links; ein Tourist stellt sein Stativ mit dem Rücken zu ihnen gedreht ein paar Meter vor ihnen entfernt auf. Manche Passanten und Autofahrer werfen einen kurzen Blick hin, andere gar nicht. Sie werden kaum wahrgenommen, obwohl sie nicht durchsichtig sind und ihr Anliegen dramatisch ist.

Der erste Schnee ist inzwischen gefallen und sie hocken immer noch draußen. Seit Wochen schlagen sie ihr Lager von einem Platz zum anderen in der bayerischen Hauptstadt auf. Nun sind sie schon länger am Königsplatz. Frauen sind mittlerweile woanders untergebracht und Männer wechseln sich ab, damit nicht immer die Gleichen der Witterung ausgesetzt werden.

Kein Mensch ist illegal, das ist keine Floskel

Anfangs schliefen sie direkt auf Paletten, mit der Feuchtigkeit und der Kälte, die von unten krochen und von oben fielen, denn eine Seite des Zeltes darf nicht geschlossen werden: Vorschriften. Klar, Organisationen und Ehrenamtliche kümmern sich um sie. Durch spontane Hilfe wurden Matratzen herbei geschafft, warme Decken ebenso: Tagsüber alles sauber gefaltet und ordentlich gestapelt. Warme Kleidungsstücke wurden verteilt: „It’s cold!“ Es wird gekocht in der Küche von Bellevue di Monaco. Zumindest eine warme Mahlzeit am Tag. Nichts zu tun ist aber auch furchtbar nervzerrend. Sie freuen sich über jeden – wenn auch nur kurzen – Besuch, der die Monotonie einen Augenblick unterbricht. Sind sie von der Obrigkeit vergessen worden? Sollen sie auf Dauer dort bleiben? Anderseits sind sie noch frei. Illegal, aber frei. Wie kann überhaupt ein Mensch illegal sein?! Wenn es Bewegung in der Angelegenheit gibt, ist zu befürchten, dass sie alle abgeschoben und in eine unsichere Zukunft entlassen werden.

Asylsuchenden aus Sierra Leone schlafen am Königsplatz

Die Kälte der Herzen

Zugegeben, die Lage an der Grenze zu Belarus ist noch schlimmer. Zugegeben starben wieder Fluchtsuchende im Ärmelkanal. Zugegeben vermehren sich die Lager auf der ganzen Welt. Zugegeben gibt’s auch hier Obdachlose, die an der Kälte sterben. Unter uns: Was macht das für ein Unterschied? Das ist doch die gleiche Kälte des Herzens, die der Liedermacher Heinz Ratz vor Jahren in seinem „Moralischen Triathlon“[1] schon angeprangert hatte. Mit seiner Gruppe Strom und Wasser feat. The Refugees[2] hat er wieder einen unglaublichen Kraftakt geschafft, damals mit Zufluchtsuchenden. Und dann später mit dem Fluchtschiff für Flüchtlingsfrauen.

Jeder Mensch ist mehr als seine Herkunft

Es geht mir hier nicht um Hintergründe, um Asylverfahren, um Recht und Rechte. Es geht mir darum, dass diese Menschen meine Brüder und Schwester sind, weil wir alle zusammen gehören auf diesem einen Planeten. Es geht mir darum, dass diese Menschen die gleichen Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche und die gleiche Würde haben wie wir. Und dass wir alles haben und sie von unseren Almosen leben. Es geht mir um Menschlichkeit unter Menschen. Es geht mir darum, dass es unerträglich ist und dass ich mir zu Weihnachten innig wünsche, dass wir nicht mehr hinnehmen und ertragen, was unerträglich ist. Es geht mir darum, dass dieser unvorstellbare Irrsinn endlich aufhört, egal wo.

Text und Bilder von Laurence Wuillemin


[1] https://www.filmstarts.de/kritiken/208481.html
[2] https://www.youtube.com/watch?v=LPCABhMK3vw