Deutschland gehört seit Jahren zu den weltweit wichtigsten Rüstungslieferanten. Die Bundesregierung spricht dennoch gerne davon, eine „restriktive“ Rüstungsexportpolitik zu betreiben. Doch die Zahlen widersprechen den offiziellen Ansagen. Im Jahr 2021 wird der Gesamtumfang der Rüstungs-Exporte auf den Rekordwert von 9,04 Milliarden Euro steigen. Für moralische Nachdenklichkeit ist da kein Platz.
Von Helmut Ortner
Durch eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag war an den Weihnachtsfeiertagen öffentlich geworden, dass die Exporte von Waffen und anderen Rüstungsgütern vom 1. Januar bis zum 14. Dezember sich auf einen Wert von knapp 9,043 Milliarden Euro beliefen. Das teilte das Bundeswirtschaftsministerium der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen mit.
Damit steigt der Gesamtumfang der Exporterlaubnisse im Jahr 2021 auf den Rekordwert von 9,04 Milliarden Euro. Der bisherige Höchstwert der Rüstungsexportgenehmigungen von 2019, als Deutschland Waffen und militärische Ausrüstung für 8,015 Milliarden Euro in alle Welt lieferte, wurde um mindestens eine Milliarde Euro übertroffen. Allein in den letzten neun Tagen ihrer Amtszeit hat die frühere Bundesregierung von Union und SPD mehr als die Hälfte, nämlich Exporte im Wert von fast fünf Milliarden, praktisch in letzter Minute erlaubt. Ein ebenso ungewöhnlicher, wie brisanter Vorgang.
Besonders Genehmigungen über gut 4,339 Milliarden Euro für den Export nach Ägypten sorgen für große Irritation. Das Land, das sich im kurzen arabischen Frühling der jahrzehntelanges Mubarak-Regimes entledigen konnte, wird seit dem Militärputsch von General al-Sisi 2013 mit großer Brutalität regiert. Rüstungsgüter für eine Diktatur, wo Folter und politische Haft Alltag sind.
Ägypten ist auch im Jemen und in Libyen in den Kriegen verwickelt. Dennoch wurde der Export von Fregatten und Luftabwehrsystemen aus den Rüstungsschmieden Thyssenkrupp Marine Systems und Diehl Defence vom Bundessicherheitsrat genehmigt, einem Kabinettsausschuss, dem neben Merkel sieben Minister angehörten. Darunter ist auch der Finanzminister, der damals Olaf Scholz hieß.
Die Linken-Außenpolitikerin Dagdelen kritisierte das Verhalten des heutigen Kanzlers scharf. «Olaf Scholz hat sich in der nur noch geschäftsführenden Regierung ein wahres Gaunerstück geleistet und eindrücklich demonstriert, wie folgenlos die Kritik der SPD an skrupellosen Waffenexporten gerade an Diktaturen und autoritäre Regime letztlich bleibt», sagte sie der dpa.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter indes verteidigte die Last-Minute-Genehmigungen. »Das Handeln der geschäftsführenden Bundesregierung geschah innerhalb des gültigen Rechtsrahmens. Deshalb sind die kritischen Stimmen von Grünen und Linken nichts anderes als Krokodilstränen.« Deutschlands sicherheitspolitischen Interessen seien bei der anstehenden Reform der Rüstungsexportkontrolle zu berücksichtigen, fordert der CDU-Mann.
Die heimische Rüstungsindustrie jedenfalls kann zufrieden sein. Die Lobbyisten haben ihren Job ordentlich erledigt. Deutsche Wertarbeit von Firmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann und Heckler & Koch ist weltweit gefragt. Auch wenn es sich bei den Begünstigten der zahlreichen Millionen-Deals um – freundlich formuliert – ziemlich undemokratische, autoritäre Regime handelt, in denen Menschenrechte nicht sonderlich geachtet werden, die Geschäfte laufen glänzend. Für moralische Nachdenklichkeit ist kein Platz.
Das soll sich unter der jetzigen Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP ändern. Sie hat sich – wieder einmal – eine «restriktive« Rüstungsexportpolitik auf die Fahnen geschrieben. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass die bisherigen Richtlinien dafür in ein Gesetz gegossen werden sollen. Ziel ist es, vor allem die Exporte in Länder außerhalb von EU und Nato zu beschränken.
Grünen-Minister und Vizekanzler Robert Habeck, ließ seinen parlamentarischen Staatssekretär und Parteifreund Sven Giegold auf die Anfrage Dagdelens antworten. Er distanzierte sich von den Exportgenehmigungen der Vorgänger-Regierung Merkel/Scholz. «Es wird darauf hingewiesen, dass die Werte der unten stehenden Tabellen auf Entscheidungen der Vorgängerregierung zurückzuführen sind», heißt es in seinem Schreiben. Und Giegold weist zum Vergleich auch gleich darauf hin, dass die neue Regierung in den ersten Tagen ihrer Amtszeit nur Rüstungsexportgenehmigungen gerade mal im Wert von 3.679 Euro erteilt hat.
Freilich: Das Jahr 2022 noch nicht begonnen. Es ist zu befürchten, dass auch die Ampel-Regierung milliardenschwere Rüstungsexporte »im deutschen Interesse« genehmigen wird. Politik-Rhetorik contra Wirklichkeit: ein weiteres Rekordjahr ist zu befürchten. Die deutschen Waffenschmieden können optimistisch sein: auch im neuen Jahr warten Bombengeschäfte.