Christian Bernhart für die Online-Zeitung INFOsperber
Es sollte ein grosser Befreiungsschlag gegen die hohen Kosten im Gesundheitswesen werden. Die zahlreichen Massnahmen, die der Bundesrat 2018 dazu bündelte, waren den Volksvertretern derart umfangreich, dass sie daraus zwei Pakete schnürten. Paket 1 hat nun nach dem Nationalrat auch der Ständerat fertig behandelt. Es ist wenig übriggeblieben. Bei den Medikamentenpreisen nur eine von den Krankenkassen lancierte Motion, die Apothekern und Ärzteschaft die Margen anknabbern soll.
Die Lösung, die wirklich etwas bringen würde, hatte der Ständerat letzte Woche verworfen, nämlich den vom Nationalrat eingebrachten erleichterten Parallelimport für Generika. Damit ist es weiterhin ausgeschlossen, dass solche Nachahmerpräparate aus dem EU/EWR-Raum importiert werden können, ohne dass diese ein erneutes Zulassungsverfahren durch die Swissmedic durchlaufen, obschon sie in Europa ein solches Verfahren bereits erfolgreich absolviert haben.
Vorauseilende Angst vor der Pharmalobby
Daraus folgt: Die Schweiz hat weiterhin ein geringes Sortiment an Generika, die zudem anderthalb Mal so teuer sind wie im übrigen Europa. Dagegen hatte der Bundesrat ein Referenzpreissystem ins Rennen geschickt. Eines jedoch, das auf der Angst aufbaute, die Pharma könnte mit den Generika einen grossen Bogen um die Schweiz machen. Vorsorglich hätten Generika höchstens 20 Prozent weniger kosten müssen als Originale mit wenig Umsatz – 70 Prozent weniger, falls die Originale einen grossen Umsatz erzielten. Der Preisüberwacher hatte sich mit dem System noch angefreundet, Nationalrat und Ständerat verwarfen es als zu kompliziert. Bei beiden Räten sitzt jedoch weiterhin die Angst im Nacken, die Pharma könnte die Schweiz piesacken, sollte sie die Preisschraube drehen.
Da verwies Bundesrat Alain Berset vergeblich auf Schweden, das etwa gleich viele Einwohner hat wie die Schweiz, wo aber beispielsweise das Schmerzmittel Ibuprofen nur ein Viertel soviel kostet wie in der Schweiz. Vergeblich wies er auch auf Dänemark mit bloss drei Millionen Einwohnern hin. Die Dänen können ihre Mägen mit einem Säureblocker beruhigen, der in der Schweiz 568 Prozent mehr kostet.
Dass die Schweiz bei den Medikamentenpreisen so viel schlechter fährt als die Länder der EU liegt weder am fehlenden Referenzsystem, noch allein an den beachtlichen Vertriebsmargen für die Apotheken und Ärzteschaft, die nun bei den Originalen nach der unverbindlichen Vorstellung der beiden Kammern etwas gekürzt werden sollen.
Was Berset nicht erwähnte: Dänemark kommt ohne Referenzpreissystem aus.
Worüber der Bundesrat ebenfalls nicht orientierte: Die Dänen überprüfen alle zwei Wochen, welche Generika zum besten Preis offeriert und nur zu diesem Preis von den Krankenkassen auch entgolten werden. Die Schweiz kontrolliert die Preise nur alle drei Jahre.
Prekäres Pokerspiel
Der Hauptgrund der Hochpreisinsel Schweiz ist deren Abschottung: Das Verbot, Medikamente aus dem Ausland importieren zu können. Das bestätigt eine Recherche des «Beobachters».1 Mit Parallelimporten gelingt es Ländern der EU und dem EWR, das schädliche Pokerspiel der Pharmaindustrie zu durchbrechen. Diesem Pokerspiel leisten die USA Vorschub, indem sie zulassen, dass die Pharmakonzerne Medikamentenpreise in ihrem Land beliebig hoch ansetzen dürfen. Diese Höchstpreise gelten dann als Benchmark für die Preise in Europa.
Zur Preisminderung lädt die Pharmaindustrie zum Pokerspiel mit Rabatten ein. Jedes Land verhandelt einzeln und spielt mit der Hoffnung, besser als andere verhandelt zu haben. Es gehe dabei zu wie beim Teppichhandel auf einem orientalischen Basar, berichtet ein Kadermitglied des Bundesamtes für Gesundheit dem «Beobachter». Simon Wieser, Gesundheitsökonom der Zürcher Hochschule, der auch schon im Auftrag der Pharma geforscht hat, lässt wissen, dass je mehr Staaten bei diesem Pokerspiel mitmachten, desto weniger wisse man, wie viel global für Medikamente bezahlt wird.
Falscher Abgleich
Diesem Pokerspiel hat sich die Schweiz angeschlossen. Für rund 20 hochpreisige Medikamente, darunter solche gegen Brustkrebs, bleiben die Preise und ihre Rabatte geheim. Patrick Durisch, Gesundheitsexperte bei Public Eye, prangert dieses intransparente Preismodell an, da sich dadurch die Schweiz der Pharmaindustrie völlig ausliefere. Für die Krankenkassen und Konsumenten- oder Patientenorganisationen ändert sich allerdings nichts: Sie verfügen – anders als die Pharmakonzerne – über kein Beschwerderecht gegen Preisverfügungen des Bundesamts für Gesundheit.
Um die Preise für Medikamente festzusetzen, macht das BAG einen Preisvergleich mit neun wohlhabenden europäischen Ländern, darunter Deutschland, Dänemark, Schweden. Die «Billigländer» Italien, Portugal oder Spanien berücksichtigt das BAG für den Vergleich nicht. Für den Vergleich berücksichtigt das BAG nicht etwa die Preise, welche die Krankenkassen in den verschiedenen Ländern zahlen müssen, sondern die Fabrik-Listenpreise der Hersteller. Das sind angesichts der generellen Rabattpolitik Phantasiepreise. An diesen Preisen von Originalmedikamenten richtet das BAG auch die Preise von Generika aus.
Parallelimport als Preisdrücker
Innerhalb der EU mit ihrem Prinzip des Freihandels seit 1957 wissen die EU-Länder, wie sie die Pharma unter Druck setzen können. Über den Grosshandel importieren sie niedrigpreisig angesetzte Medikament aus den südlichen Ländern in den begüterten Norden. Es ist ein Markt, der sich vor zwei Jahren gemäss einer Marktforschung bereits auf 5,7 Milliarden Euro belief; gut die Hälfte davon ging nach Deutschland. Laut dem Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands, so der «Beobachter», spart unser nördlicher Nachbar damit jährlich 330 Million Euro. Indirekt sogar 4,4 Milliarden Euro, da die Pharma auf Höchstpreise, wenn möglich verzichtet, im Wissen, dass es sonst zu mehr Parallelimporten kommt.
Sonderfall Schweiz
Den Freihandel hat die Schweiz mutwillig eingeschränkt, als das Bundesparlament 2009 im neuen Patentgesetz für Produkte einen Riegel schob, deren Preise staatlich geregelt sind. Damit wollte man die eigene Pharmaindustrie schützen, obschon diese nur etwa 2 Prozent ihres Umsatzes in der Schweiz tätigt, bei den Originalpräparaten sogar nur 0,9 Prozent. Darauf hatte die damalige Ständerätin Simonetta Sommaruga während der Debatte hingewiesen.
Somit können sich Pharmafirmen vor Importen schützen, sobald sie ihre Patente in der Schweiz registriert haben. Vergeblich hatte Rudolf Strahm 2004 in seinem ersten Jahr als Preisüberwacher gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen für die Öffnung des Patentschutzes und für eine Angliederung an die Europäische Arzneimittelagentur EMA gefordert, damit Swissmedic nicht jedes in Europa zugelassen Medikament erneut prüfen muss.
Bei der aktuellen Vorlage ging es nicht einmal um Originalpräparate mit Patentschutz, sondern nur um Generika, die nicht mehr patentgeschützt sind. Doch vor allem Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP, FDP und Mitte, deren Parteien Spenden der Pharmaindustrie entgegennehmen, übernahmen die Argumente der Pharmaindustrie: Sie warnten vor der Gefahr fataler Fälschungen und beschwörten die Angst vor Engpässen bei Medikamenten herauf.
In der Konsequenz übermitteln die Standesvertreter in Bern die Saga, die Schweiz sei alleinige Hüterin von wirklich geprüften Medikamenten, während die EU-Bewohner ständig dem Risiko gepanschter und verunreinigter Medikament ausgesetzt seien.
In der kommenden Session beugt sich dann das Bundesparlament über das Paket 2 der bundesrätlichen Massnahmen. Darin will der Bundesrat die neue Praxis des BAG und der Pharmaindustrie mit den geheim gehaltenen Preisen auch gesetzlich legitimieren. Blieben bisher die Rabatte und effektiven Preise von über 20 Medikamenten im Ausnahmeverfahren geheim, so soll diese Praxis in Zukunft noch ausgeweitet werden.