Ende Oktober 2021 fand im Schweizerischen Genf die siebte Verhandlungsrunde zu dem sogenannten Binding Treaty statt – oder genauer gesagt: die Verhandlungsrunde der Zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zu Transnationalen Konzernen und Sonstigen Unternehmen. Die Arbeitsgruppe wurde auf Initiative von Ecuador und Südafrika im Jahr 2014 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Ecuador hatte am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, Unternehmen für ihre Verbrechen haftbar zu machen. Das Ölunternehmen Chevron/Texaco verseuchte über Jahrzehnte Teile des Regenwaldes, weigert sich aber aber bis heute, Entschädigungen zu zahlen. Verschiedene Länder der Globalen Südens, unterstützt von zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit, haben es sich zur Aufgabe gemacht, dass so etwas zukünftig nicht mehr möglich ist.
Ambitionierte Ziele
Wird das Treaty eines Tages verabschiedet, sollen Unternehmen dazu verpflichtet werden, in der gesamten Wertschöpfungskette menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten und dies auch bei Zulieferern und Tochterunternehmen zu gewährleisten. „Und ein wesentlicher Punkt ist natürlich auch, dass dann der Zugang zu Recht für Betroffene verbessert wird“, erklärt Carolin Seitz, Koordinatorin der Treaty-Alliance. Die Organisation ist ein Zusammenschluss von 28 deutschen NGOs, die sich für den erfolgreichen Abschluss der Treaty-Verhandlungen einsetzen.
Der Unterschied zu anderen existierenden Regulierungsansätzen besteht darin, dass das Abkommen tatsächlich völkerrechtlich verbindlich sein soll. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, da die Einhaltung der Menschenrechte ja eigentlich weltweit verpflichtend ist, egal, ob für Einzelpersonen, Staaten oder Unternehmen. Doch in der Praxis zählt das bisher meist nicht viel – dementsprechend ambitioniert sind die Forderungen der Treaty-Alliance. Und drastische Fälle von Umweltverbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Unternehmenshandeln, vor allem im Globalen Süden, machen immer wieder deutlich, dass Lösungen gefunden werden müssen.
Vaca Muerta in Argentinien
Die argentinische Vaca Muerta (~Tote Kuh) ist ein Beispiel dafür. Die Region erstreckt sich über 30.000 Quadratkilometer und über die Provinzen Neuquén, Río Negro, La Pampa und Mendoza. Schätzungen gehen davon aus, dass sich dort eine der weltweit größten Vorkommen von nicht-konventionellem Öl und Gas befinden. Gefördert werden sie seit 2013 mit der umstrittenen Fracking-Methode.
Für die Gewinnung mit Fracking-Technologie werden mehrere Kilometer tiefe Löcher in den Boden gebohrt, bis die Schiefergasschichten erreicht werden. Mit Hilfe großer Mengen von mit Chemikalien versetztem Wasser wird das Gestein tief unten aufgebrochen und so das Gas oder Öl herausgelöst.
Wegen der hohen Umweltrisiken, die mit der Fracking-Methode einhergehen, wird das Verfahren schon länger kritisiert. In einigen europäischen Ländern ist es deshalb verboten. Viele der Gas- und Ölunternehmen, die ihren Hauptsitz in Europa haben, weichen daher in Länder aus, in denen Fracking erlaubt ist – so auch in die Vaca Muerta in Argentinien.
Protest gegen Wintershall & Co
Alle großen Player der Erdöl- und Gasindustrie sind dabei, auch Unternehmen wie Chevron, Total, BP und Wintershall. Wintershall ist das größte deutsche Öl- und Gasunternehmen, aber vielen trotzdem unbekannt. „Ich habe keine einzige Person gefunden, die das Unternehmen Wintershall kannte“, Erzählt der argentinische Wissenschaftler und Aktivist Esteban Servat von seiner Ankunft in Deutschland. Esteban hingegen kennt das Unternehmen gut: Er lebte bis 2019 in Mendoza, wo sich ein Teil der Vaca Muerta befindet. „Das Unternehmen begeht Umweltverbrechen mit Fracking, was es im eigenen Land nicht praktizieren darf,“ kritisiert er.
Gemeinsam mit seinen Mitstreiter*innen organisierte Esteban den Protest gegen das Fracking-Megaprojekt, denn die Anwohner*innen befürchten negative Auswirkungen fürs Klima, für die Umwelt, für die Gesundheit und für die Menschenrechte.
Fracking: Gefahr für Gesundheit und Menschenrechte
„Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass in einem Umkreis von 16 Kilometern um eine Fracking-Bohrung ein sehr hohes Risiko für fötale Missbildungen und Leukämie bei Kindern besteht,“ erklärt Esteban. Hinzu kommt die Verunreinigung von Wasser und Böden. Die Landwirtschaft, in einigen angrenzenden Regionen eine wichtige Einnahmequelle, wird zunehmend erschwert. Lungenschädigungen wurden in Gemeinden dokumentiert, die in der Nähe der Fracking-Bohrungen liegen. Das ist für die Menschen in Zeiten der Corona-Pandemie ein weiterer Risikofaktor.
Außerdem leben in der Region Mapuche-Gemeinschaften, die eigentlich vor der Projektdurchführung hätten konsultiert werden müssen. Doch die Gewinnerwartungen lassen für Unternehmen und argentinischer Regierung zumindest bei hohen Erdöl- und Gaspreisen all diese besorgniserregenden Beobachtungen in den Hintergrund treten.
Verschärfung der Klimakrise
Das Fracking-Megaprojekt stellt auch eine Gefahr für das Klima dar. „Vaca Muerta ist eine Kohlenstoff- und Methanbombe für den Planeten,“ sagt Esteban. Bisher sind die Treibhausgase im Gas und Öl gebunden. Bei Förderung werden sie freigesetzt. „Die vollständige Ausbeutung des Feldes wird etwa 15 Prozent des globalen Kohlenstoffbudgets, das der Menschheit verbleibt, verbrauchen.“
David gegen Goliath?
Esteban hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Megaprojekt zu stoppen. Doch der Kampf wird nicht leicht, ein Erfolg ist nicht garantiert. Denn die Wirtschaftsinteressen sind stark und für die argentinische Regierung ist die Vaca Muerta ein Prestigeprojekt. Esteban und andere Aktivist*innen wurden aufgrund ihrer öffentlichen Kritik bedroht und mussten die Region verlassen.
Ein internationales Abkommen wie das Binding Treaty zur völkerrechtlich verbindlichen Regulierung von transnationalen Unternehmen könnte den Betroffenen in Zukunft im Kampf um ihre Rechte eine Hilfe sein. Doch die Verhandlungen gehen nur in kleinen Schritten voran. Immerhin hatten sich in der letzten Verhandlungsrunde im Oktober 2021 sogar die USA blicken lassen, ohne sich aber an den Verhandlungen zu beteiligen. Das kann als kleiner Etappensieg gewertet werden, zeigt aber, wie lang der Weg noch sein wird. Denn eine wesentliche Voraussetzung für solch ein Abkommen ist ein breiter Konsens auf zwischenstaatlicher Ebene, insbesondere der Länder des Globalen Nordens, wo die meisten großen Unternehmen ihren Hauptsitz haben.
Aufhalten lässt sich der argentinische Aktivist Esteban nicht. Mit einem internationalen Bündnis aus der Klimabewegung in Europa und der Umweltbewegung in Argentinien entsteht eine Koalition, die „gegen Gas, gegen Fracking und gegen Kolonialismus“ kämpft. Die Kämpfe des Globalen Südens sollen mit den Orten des Konsums in Europa zusammengebracht werden und daraus die Kraft entstehen, die Unternehmen in Vaca Muerta aufzuhalten.
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