Die anhaltenden Spannungen rund um den bürgerkriegsgeplagten Osten der Ukraine verschärfen die Lage in der Weltpolitik und rufen viele internationale Akteure auf den Plan. So auch die Türkei, die, trotz wiederholter Fürsprache für das „Minsker Abkommen“ zur Beilegung Konfliktes im Donezbecken, offenbar nicht an ein innerukrainisches Problem glauben will und Ende November den erneuten Versuch unternommen hat, als Vermittler offizielle Verhandlungen zwischen der ukrainischen Führung und ausgerechnet Russland auf den Weg zu bringen. Aber schon allein die Tatsache, dass Ankara Moskau und nicht die Konfliktparteien „Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ in die Gespräche mit Kiew einbeziehen möchte, wirft Fragen bezüglich des türkischen Friedenstiftungsversuchs auf.
Von Alexander Männer
Eigentlich vertritt die Türkei offiziell die Haltung, dass das in der weißrussischen Hauptstadt 2015 ausgehandelte „Maßnahmenpaket“ des „Minsker OSZE-Protokolls“ zur Regelung des Ostukraine-Krise alternativlos ist. Dies hatte ebenfalls der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan immer wieder betont, so etwa bei einem Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenskij im vergangenen April, oder zuletzt nach einem Staatsbesuch in Turkmenistan am 29. November. Bei seiner Ankunft sagte Erdoğan nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters unter anderem, dass die Türkei bereit sei, eine „Vermittlerrolle zwischen der Ukraine und Russland“ zu übernehmen und dass man „für die Schaffung des Friedens in der Region“ eintrete.
Das russische Außenamt hat als Reaktion darauf erwartungsgemäß und wiederholt klargestellt, dass es sich bei Russland um keine Konfliktpartei handle, weshalb von einer entsprechenden Verhandlung nicht die Rede sein könne. Man begrüsse aber, wenn die türkische Regierung auf ihre Kollegen in der Ukraine einwirke, damit diese sich an die abtrünnigen ukrainischen Landesgebiete Donezk und Lugansk wenden, welche – im Gegensatz zu Moskau – direkte Gesprächspartner Kiews gemäß dem Minsker Friedensplan seien.
Ankaras Kalkül in der Donbass-Problematik
Weshalb außerdem Zweifel an der vermeintlich uneigennützigen Initiative Ankaras aufkommen, ist die im Rahmen einer strategische Partnerschaft zwischen der Türkei und der Ukraine 2021 erneuerte Übereinkunft über militärisch-technische Kooperation. Die Militärindustrien beider Länder arbeiten bereits länger eng zusammen und wollen ihre Kooperation, insbesondere im Verteidigungsbereich, auch weiterhin stärken.
Deswegen und in Anbetracht eines türkischen Großmachtanspruchs erscheint Erdoğans diplomatischer Vorstoß in der Donbass-Problematik als ein politischer Schritt, der ihm weitere Einflussmöglichkeiten in dieser Region eröffnen soll. Der Politiker macht nämlich keinen Hehl daraus, dass er die Türkei zu einem der führenden Akteure auf der internationalen Bühne machen will und dass er bereit ist, auf seine eigene Strategie zu setzen, selbst wenn sie nicht mit den Plänen der USA, NATO oder Russlands einhergeht.
Der offensichtliche Wunsch der türkischen Führung, eine zentrale Rolle in der seit Jahrhunderten zum russischen Einflussbereich gehörenden Schwarzmeerregion zu spielen, kann auch als eine Antwort auf die Rolle Moskaus in Syrien oder Bergkarabach auffasst werden. Dort hatte die russische Seite ihre Interessen konsequent durchgesetzt und die Stellung der Türkei zum Leidwesens Erdoğans signifikant geschwächt.
Dieser versucht nun im Osten der ehemaligen Sowjetrepublik Einfluss auf die dortigen Prozesse zu nehmen, um im Gegenzug die eigene Position gegenüber Russland etwa in Syrien zu stärken. So lieferte die Türkei bereits mehrere Bayraktar-Kampfdrohnen für die ukrainischen Streitkräfte, trotz dem offenkundigen Streben der Kiewer Führung danach, mit Waffengewalt die Kontrolle über einzelne Bezirke der Donbass-Regionen wiederherzustellen.
Die Waffenlieferungen werfen nicht nur Fragen bezüglich der wahren Absichten Ankaras in diesem Konflikt auf, sondern rufen ernsthafte Beunruhigung bei der „Donezk-Lugansk-Schutzmacht“ Russland hervor. Für die Russen birgt ein möglicher Einsatz neuer türkischer Drohnen vor allem eine Reihe von Gefahren – von einer möglichen Verschärfung im Donbass und bis zu direkten Herausforderungen im Schwarzen Meer.
Ein weiterer Beleg dafür, dass die Türkei in Bezug auf das osteuropäische Krisenland eigene, gegen Russlands gerichtete Pläne in der Schwarzmeerregion verfolgt, ist Erdoğans aktive Unterstützung für die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine auf der Krim. Dazu gehört beispielsweise die Teilnahme des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu an Kiews außenpolitischer Initiative „Krim-Plattform“ im vergangenen August, bei der die türkische Diplomatie ihre Haltung bezüglich der Bemühungen für die „Entbesetzung der Krim und Sewastopols“ offen bekräftigte.
Moglichkeiten der Türkei begrenzt
Dass die türkische Initiative zur Regelung des Donbass-Konfliktes sich für die Führung in Ankara letztendlich als Erfolg erweist, ist allerdings fraglich. Experten meinen, dass der politische Handlungsspielraum der Türkei für konkrete Schritte in der Ukraine-Problematik, die über die solidarische Rhetorik hinausgehen, begrenzt sei.
Ankara und Moskau sind in großen Maße außenpolitisch und wirtschaftlich miteinander verflochten und profitieren von dieser Wechselwirkung immens. Beispielsweise kauft die Türkei Erdgas und S-400-Luftabwehrraketen in Russland, das wiederum ein Atomkraftwerk an der türkischen Südküste baut und jedes Jahr außerdem für Millionen Urlauber an türkischen Urlaubsorten sorgt. Wenn diese erneut wegbleiben würden, wie zuletzt im vergangenen Sommer, nachdem die russische Regierung die Charterflüge für Urlauber in die Türkei ausgesetzt hatte, dann wäre es ein harter Schlag für die türkische Tourismusbranche und damit für die gesamte Volkswirtschaft des Landes.