Alejandro Encinas, mexikanischer Staatssekretär für Menschenrechte, Bevölkerung und Migration, hat vor der Expert*innengruppe des UN-Ausschusses für Verschwundene von einer humanitären Krise des Verschwindenlassens im Land gesprochen. Es handele sich um „das schmerzhafteste Erbe“ der guerra suciagenannten Phase staatlicher Repression sowie des „fälschlich als Krieg gegen den Drogenhandel bezeichneten“ Konflikts, dem die Regierung nun gegenüberstehe.
Die UN-Delegation ist seit Mitte November im Land. Im Zuge der Begrüßungszeremonie machte Encinas darauf aufmerksam, dass trotz des verabschiedeten Gesetzes für Verschwundene und der Einführung des landesweiten Fahndungssystems im Jahr 2017 keine Veränderungen stattgefunden hätten. „Was fest steht, ist: Es gab keine Umsetzung, kein Register für vermisste Personen, keine Protokolle für die Suche und nur acht staatliche Kommissionen, die unter sehr prekären Bedingungen arbeiteten“.
Besuch des UN-Komitees war seit 2013 beantragt
Im Namen des Komitees betonte die Chefin der UN-Delegation, Carmen Rosa Villa Quintana, den historischen Charakter ihres Besuches in Mexiko. Nicht nur, weil sich das Land der Kontrolle des Ausschusses unterworfen habe, sondern auch, weil das Gremium zum ersten Mal seit der Gründung vor elf Jahren einen internationalen Besuch tätige: „Wir begrüßen die Bereitschaft des mexikanischen Staates, diesen seit 2013 beantragten Besuch zu empfangen, sehr. Es ist ein Zeichen dafür, dass er bereit ist, sich für eine internationale Prüfung zu öffnen“.
Bei dem Team handele es sich um eine Gruppe, die zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit sei, so Villa Quintana. Dabei ginge es nicht nur um Zusammenkünfte mit den mexikanischen Behörden der drei Regierungsebenen. Auch Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Fälle des Verschwindenlassens und gegen die Straflosigkeit sollen verabschiedet und gefördert werden. Die Delegation wird sich daher während ihres Besuches vom 15. bis 26. November in zwölf verschiedenen Bundesstaaten vor allem mit den Familien der Opfer, Menschenrechtsorganisationen, Kollektiven und Menschenrechtsinstitutionen treffen.
Am Ende der Reise wird die Delegation eine kurze Pressekonferenz abhalten. Der Bericht über die Situation in Mexiko wird jedoch erst während der nächsten Sitzungsperiode zwischen März und April 2022 erwartet. „Unser direkter Dialog mit den staatlichen Behörden, Organisationen der Opfer und Menschenrechtsinstitutionen wird uns die Möglichkeit geben, Wege zur Verhinderung des Verschwindenlassens zu finden und zu schaffen“.
Staatssekretär Encinas räumt Untätigkeit des mexikanischen Staates bis 2018 ein
In seiner Rede räumte Encinas ein, dass sich der mexikanische Staat bis 2018 seiner Verantwortung für das Verschwindenlassen von Personen entzogen und die Suche nach Vermissten den Angehörigen überlassen habe. Der Staatssekretär fügte hinzu, dass dieses Phänomen in der Zeit der sogenannten guerra sucia seit den 1960er Jahren eine besondere Dimension angenommen habe. Und auch in der „fälschlich als Krieg gegen den Drogenhandelbezeichneten“ Phase ab 2006 sei das Verschwinden von Privatpersonen auf die Korruption der mit dem organisierten Verbrechen verbundenen Polizeikräfte zurückzuführen gewesen.
Seit dem Amtsantritt der Regierung von Andrés Manuel López Obrador sei jedoch ein Wandel bei der Bewältigung dieser humanitären Krise eingetreten, so Encinas. Dies hänge in erster Linie mit dem Erlass eines Dekrets zur Ausarbeitung einer Strategie zur Aufklärung des Verschwindens der 43 Studierenden von Ayotzinapa und kürzlich mit dem Einsatz der Wahrheitskommission im Zusammenhang mit der guerra sucia zusammen.
Encinas betont bisherige Schritte der Regierung
Encinas erklärte, dass die neue Regierung das landesweiten Suchsystem wiedereingeführt habe. Daraufhin habe es bereits 2.300 Sucheinsätze nach vermissten Personen gegeben. Ein standardisiertes Suchprotokoll und ein zusätzliches Protokoll für Kinder und Jugendliche seien eingeführt worden. Hinzu komme ein landesweites Register für vermisste und nicht aufgefundene Personen. Mehr als 1,2 Milliarden Pesos, umgerechnet 51 Millionen Euro, seien zur Stärkung der Kapazitäten der staatlichen Suchkommissionen eingesetzt worden.
Zusätzlich wurde der Runde Tisch für verschwundene Migrant*innen geschaffen, es wurden regionale Zentren für die Identifizierung von Menschen in Coahuila und San Luis Potosí eingerichtet, in Sonora wurden mobile forensische Labors aufgebaut. Außerdem gebe es wichtige Fortschritte bei der Registrierung illegaler Gräber, die zur Bergung von Leichen geführt haben und die Einrichtung der 32 staatlichen Suchkommissionen sei abgeschlossen.