Carmen Losmann beschäftigt sich in ihrem neuesten Werk mit der Frage, wie Geld und Schulden entstehen. Am Puls der Zeit und präzise auf den Punkt gebracht, ist „Oeconomia“ damit ein hochrelevanter Dokumentarfilm über die Schattenseiten des Kapitalismus.
In Carmen Losmanns (Work Hard – Play Hard) neuem Dokumentarfilm Oeconomia wird ein Blick hinter unser Geldsystem gewagt. Themen wie Vermögenskonzentration, Wirtschaftswachstum und Verschuldung, die mittlerweile schon jahrelang zum gesellschaftlichen Diskurs über den Kapitalismus gehören, stehen dabei im Zentrum. Unter Berücksichtigung der letzten hundert Jahre, einem Jahrhundert voller Innovation, gleichzeitig aber auch wiederkehrender Wirtschaftskrisen, schafft Losmann eine Bestandsaufnahme zum gegenwärtigen Stand unserer kapitalistischen Welt.
„Zu kompliziert“
Dass wenige Prozent der weltweiten Bevölkerung finanziell mehr besitzen als der Rest, ist keine neue Erkenntnis. Jahrelang schon verstärkt sich diese Entwicklung, doch was steckt genau dahinter? Dieser und vieler weiterer Fragen ist Losmann auf dem Grund gegangen. Nach jahrelanger Recherche, sowie zahlreichen Interviews mit Volkswirten oder Vermögensberatern, werden in ihrem neuesten Werk die symptomatischen Probleme unserer Zeit skizziert. In Interviews kristallisiert sich jedoch schnell heraus, dass ungern über elementare Probleme des Kapitalismus geredet wird, das machen schon alleine die zig Absagen, die immer wieder am Rande erwähnt werden deutlich.
Und auch bei der direkten Kommunikation merkt man, hier wird gern um den heissen Brei geredet. Statt wirklich präzise Erklärungen zu Themen wie Geldschöpfung oder Staatsverschuldung zu liefern, verwirrt beispielsweise Peter Praet, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, mit weniger kompetenten Darlegungen. Ahnungslose Gesichter und mangelhafte Erklärungen von Menschen, die sich mit solchen Themen eigentlich auskennen sollten, zeigen in der Hinsicht, dass es scheinbar keiner mehr so richtig vermag, in die Materie des Kapitalismus vorzudringen. Die Bilder im Film, die verstärkt sterile Oberflächen von Hochhäusern zeigen, verbildlichen in der Hinsicht wohl auch eine symbolische Oberflächlichkeit, mit der man als Dokumentarfilmer über so ein „brisantes“ Thema konfrontiert wird.
Das Märchen vom endlosen Wirtschaftswachstum
Mit etlichen Erklärungen zur Geldschöpfung, zunehmenden Verschuldung und dem Zusammenhang zwischen Privatvermögen und dem Wirtschaftswachstum liefert Losmann erforderliche Grundkenntnisse, um auch als Laie zumindest halbwegs am Ball bleiben zu können. Und auch wenn man nicht tief in die Materie eindringt – dies ist wohl sicherlich dem Umstand geschuldet, dass etliche Fragen unbeantwortet bleiben – Losmann schafft es dennoch nachvollziehbare Erklärungen zu liefern. Überzeugend sind in der Hinsicht die Infografiken, mit denen wirtschaftspolitische Zusammenhänge über das Wirtschaftswachstum gelungen aufgezeigt werden.
Schon jahrelang in der Kritik, nicht nur aus gesellschaftlicher sondern auch wissenschaftlicher Sicht, verweist Oeconomia so einmal mehr auf die Schattenseiten der stetigen wirtschaftlichen Entwicklung, besonders in puncto des steigenden Verschuldungsgrades. Die gegen Ende hin angesprochene Frage „Wer kollabiert zuerst, unser Ökosystem Erde oder der Kapitalismus?“ wird so zu der wohl wichtigsten Leitfrage unserer gegenwärtigen Situation.
Das Dilemma auf dem Punkt gebracht, kommt Oeconomia zum Schluss, dass unser derzeitiges Wirtschaftssystem ein Paradoxon in sich ist. Auch als pädagogisches Unterrichtsmaterial bestens geeignet, wird dies in unterschiedlichen Aspekten aufgezeigt. Somit richtet sich Losmanns neuestes Werk auch an die jüngere Generation, da nicht nur ein Grundverständnis über wirtschaftspolitische Zusammenhänge geschaffen wird, es wird darüber hinaus auch mit falschen Erklärungen über altbackene Systemtheorien aufgeräumt.
Oeconomia
Deutschland
2020
–
89 min.
Regie: Carmen Losmann
Drehbuch: Carmen Losmann
Produktion: Hannes Lang
Musik: Peter Rösner
Kamera: Dirk Lütter
Schnitt: Henk Drees, Carmen Losmann
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