Bei der Kleidung, die sich in der chilenischen Atacama-Wüste türmen, handelt es sich um billige Ware, die in Europa, den USA und Asien nicht verkauft werden konnte. Verschiedene Medien sprechen von einem rasant wachsenden Friedhof für «Fast Fashion». Der Begriff bezeichnet Kleidung, bei der die Kollektionen schnell und trendbezogen designt und dann billig hergestellt und verkauft wird. Damit spekulieren die Produzenten darauf, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher schneller neue Kleidung kaufen, als es bei höherwertiger Ware der Fall wäre.
Allerdings produzieren die Hersteller viel zu viel davon: Jedes Jahr erreichen schätzungsweise 59’000 Tonnen unverkaufte Billigkleidung die nordchilenische Hafenstadt Iquique. Von hier aus wird die Kleidung weiterverkauft, sie gelangt oftmals auf Schmuggelwegen in andere lateinamerikanische Länder: Chile gilt seit langem als Umschlagplatz für unverkäufliche Textilien und Second-Hand-Kleidung. Rund 20’000 Tonnen der meist fabrikneuen Ware finden so noch einen Abnehmer – die restlichen 39’000 Tonnen der Kleidungsstücke landen schliesslich auf der Deponie in der Atacama-Wüste.
«Diese Kleidung kommt aus der ganzen Welt», sagt Alex Carreno, ein ehemaliger Angestellter in der Importabteilung des Hafens gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP). «Was nicht nach Santiago verkauft oder in andere Länder verschickt wird, bleibt in der Freizone, da niemand die notwendigen Zölle zahlt, um es abzutransportieren.»
Niedrige Preise, hohe Umweltbelastung
Da die Textilien viele Chemikalien enthalten und deshalb nicht biologisch abbaubar sind, werden sie von den offiziellen Deponien in der Region nicht angenommen – weshalb sie einfachheitshalber in die Wüste gekippt werden.
Die AFP liefert dazu eindrückliche und seltsame Bilder: Berge von Kleidung, darunter zum Beispiel auch Weihnachtspullover und Skischuhe, türmen sich in der trockensten Wüste der Welt. Dadurch sind regelrechte Dünen aus ungetragenen Kleidungsstücken entstanden. Im Videobeitrag sind mittellose Menschen zu sehen, die sich durch die Textilberge wühlen und mitnehmen, was sie brauchen oder verkaufen können. «Heute sind wir auf der Suche nach Kleidung, denn wir haben wirklich keine. Wir mussten alles wegwerfen, als wir mit dem Rucksack hierher gekommen sind», erklärt Jenny, eine venezolanische Migrantin, gegenüber der AFP. Jenny und ihre Kollegin suchen Kleidung gegen die Kälte, da die nächtlichen Temperaturen in der Wüste auf Werte fallen, die in ihrer tropischen Heimat unbekannt sind. Während sie suchen, krabbeln ihre Babys auf den Kleidungsstapeln.
Der grosse Rest der umweltschädlichen Textilien bleibt liegen und verschmutzt die Atacama-Wüste nach und nach immer weiter. «Es besteht kein Zweifel an den Schäden und Auswirkungen, die diese Mülldeponien und im Besonderen die Textilabfalldeponien in den anliegenden Gemeinden verursachen», sagt Moyra Rojas, regionale Sekretärin des Umweltministeriums, gegenüber der AFP. Vor allem Alto Hospicio und Iquique seien betroffen. In den Deponien gebe es Brände, die zu Luftverschmutzung führen. Ausserdem befänden sich einige der Textil-Friedhöfe direkt neben Wohngebieten. Dazu kommt, dass synthetische Kleidung oder mit Chemikalien behandelte Kleidungsstücke ungefähr 200 Jahre brauchen, bis sie vollständig biologisch abgebaut werden. Sie sind genau so giftig wie zum Beispiel Altreifen oder Plastik.
7’500 Liter Wasser für eine Billig-Jeans
Das ist allerdings nicht die einzige Umweltbelastung, die durch Fast-Fashion entsteht: Bereits ihre Herstellung frisst eine Menge Energie: So werden für die Produktion einer Billig-Jeans zum Beispiel 7’500 Liter Wasser benötigt. Gemäss den Vereinten Nationen ist die Textilbranche für 20 Prozent des globalen Wasserverbrauchs verantwortlich. 2018 bezifferten die Vereinten Nationen den Anteil der Textilindustrie an den weltweiten CO2-Emissionen mit acht bis zehn Prozent. Der Energieverbrauch übertreffe dabei sogar jene Energie, die der Flug- und der Schifffahrtssektor zusammen benötigen würden. Im selben Bericht heisst es, dass «jede Sekunde eine Menge Textilien vergraben oder verbrannt wird, die der Menge eines Müllwagens entspricht.»
Neben all diesen negativen Auswirkungen auf die Umwelt wird in der Bekleidungsindustrie im Allgemeinen und bei Fast Fashion im Speziellen, immer wieder auf Kinderarbeit, auf Ausbeutung und menschenunwürdige Anstellungsbedingungen zurückgegriffen. Eigentlich ein weiterer Grund, die Finger von Fast Fashion zu lassen. Aber ein Ende des Textil-Booms ist nicht in Sicht: Gemäss der Wohltätigkeitsorganisation «Ellen MacArthur Foundation» hat sich die Textilproduktion zwischen 2004 und 2019 verdoppelt.
Fast Fashion: Geschäftsmodell funktioniert
Die internationale Unternehmensberatungsfirma McKinsey & Company hat 2016 das Kaufverhalten von Kunden in westlichen Ländern untersucht. Demnach ist die Anzahl der gekauften Kleidungsstücke zwischen 2000 und 2014 pro Jahr um 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig werden die einzelnen Stücke aber nur noch halb so lang getragen wie noch vor 15 Jahren.
Die gleiche Studie fand heraus, dass Zara pro Jahr mittlerweile 24 Kollektionen auf den Markt bringt. Bei H&M sind es immerhin noch zwölf. Das Aufkommen der Fast Fashion-Konzerne hat dazu geführt, dass die durchschnittliche Anzahl an Kollektionen pro Jahr in Europa von nur zwei im Jahr 2000 auf fünf im Jahr 2011 angestiegen ist. Ein Geschäftsmodell, das funktioniert: Laut einer Studie von Statista machte der Konzern Inditex im Jahr 2018 über 26 Milliarden Euro Umsatz, was ihn zum Spitzenreiter der Branche macht. Zu Inditex gehören unter anderem Zara, Bershka und Pull & Bear. Auf den weiteren Plätzen folgen unter anderem H&M und C&A.
Garn aus recycelten Textilabfällen
Im Beitrag der AFP kommt auch Rosario Hevia zu Wort. Sie ist Gründerin und CEO des Unternehmens Ecocitex, das vor Ort Garn aus recycelten Textilabfällen herstellt. Trotz ihrer guten Idee wird sie oft kritisiert – weil sie für das Recycling Geld verlangt. «Die Antwort ist, dass wir die Menschen darüber aufklären müssen, dass die Erzeugung von Textilabfällen Kosten verursacht», sagt sie gegenüber der AFP. Die wichtigste Lösung zur Beseitigung von Textilabfällen in Chile bestehe darin, die Menschen darüber aufzuklären, wie sie ihren Verbrauch an unnötigen Textilien reduzieren und die Lebensdauer ihrer Kleidung verlängern können, sagt sie.
«Wir befinden uns an einem Wendepunkt, an dem die Menschen beginnen, über ihr Konsumverhalten nachzudenken, aber leider haben wir diesen Punkt noch nicht erreicht. Wir sprechen also von einer besseren Welt, und wir wollen eine bessere Welt. Aber wenn es ums Einkaufen geht, kaufen die Menschen weiterhin billige Dinge.» Nach der Pandemie sehe man dann wieder riesige Schlangen bei Zara, H&M, Forever 21 und bei anderen Geschäften, die sich vor allem auf Fast Fashion konzentrieren würden.