Die Folgen der Pandemie sind in der Stadt stärker zu spüren als auf dem Land. Viele Wiener:innen kommen gut durch die Krise, dennoch zeigen sich deutliche Tendenzen zur Verstärkung von sozialer Ungleichheit. Eine aktuelle Studie zeigt auf, wie sich die Lebensqualität in Wien durch die Corona-Krise verändert hat und wo es Nachholbedarf gibt, um die Stadt und ihre Bewohner:innen gut aus der Krise zu führen.
Von Malena Haas und Sina Moussa-Lipp (A&W-Blog)
Obwohl von Regierungsseite vielfach anders behauptet, führt uns die aktuelle Situation eine traurige Realität vor Augen: Wir befinden uns noch mittendrin in der Pandemie. Corona hat das Leben in Wien und Umgebung massiv verändert. Nicht nur die tatsächliche gesundheitliche Gefährdung, sondern auch die gravierenden Auswirkungen von Social Distancing hinterlassen tiefgreifende Spuren in den Lebensrealitäten der Menschen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich eine vom SORA-Institut verfasste Studie mit der durch die Corona-Krise bedingten Veränderung der Lebensqualität in Wien und zeigt dadurch entstandene Belastungen der Bevölkerung auf. Befragt wurden mehr als 1.700 Mitglieder der Arbeiterkammer, die in Wien wohnen und/oder arbeiten. So kann beleuchtet werden, welchen gesellschaftlichen Gruppen die Pandemie und deren Herausforderungen besonders zu schaffen machen.
Soziale Ungleichheit hat sich verstärkt
Auch wenn die Wiener Wohn- und Arbeitsbevölkerung insgesamt angibt, gut (78 Prozent „sehr gut“ oder „ziemlich gut“) durch die Krise zu kommen, hat sich die Lage für bestimmte Gesellschaftsgruppen durch die Pandemie weiter verschlechtert. Das betrifft speziell Frauen, Personen ohne Matura, Menschen ohne Erwerbseinkommen, Wiener:innen mit Migrationshintergrund und unter 30-Jährige. Aber auch für Elternteile mit mindestens einem Kind im Haushalt haben sich die sozialen Schieflagen zum Teil bedrohlich verschärft. Zudem machte die Pandemie neue Dimensionen von sozialer Ungleichheit sichtbar, beispielsweise durch Veränderungen der Arbeitssituation und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, oder die Verteilung familiärer Care-Arbeit: Vier von zehn Personen gaben an, dass eine Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit von daheim ausgeschlossen ist. Die steigende soziale Ungleichheit ist für einen großen Teil der Bevölkerung akut spürbar, 75 Prozent der Wiener:innen fürchten das weitere Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich.
Hoher Preis und Überbelag beim Wohnen
Jede vierte Person unter 30 bzw. mit Migrationshintergrund gab an, zu wenig Wohnraum zur Verfügung zu haben. Besonders betroffen sind Wiener:innen mit Kindern im Haushalt: 38 Prozent leben in überbelegten Wohnungen. Auch die Überbelastung durch Wohnkosten trifft einzelne Gruppen besonders: 36 Prozent der unter 30-Jährigen, 55 Prozent der arbeitslosen Personen und 40 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund müssen mehr als ein Drittel ihres Einkommens zum Wohnen ausgeben. Das hat weitreichende Folgen, denn die Wohnungsfrage ist ein wesentlicher Teil der sozialen Frage und Motor für Inklusion und sozialen Ausgleich. Guter und leistbarer Wohnraum ist der wichtigste Teil der Existenzsicherung für Wienerinnen und Wiener. Zum einen können soziale Risiken vermindert werden, zum anderen ist leistbares Wohnen eine essenzielle Grundlage für sozialen Aufstieg. Um die genannten Gruppen zu entlasten, sind eine Reihe wohnungspolitischer Maßnahmen notwendig.
Mobilität im Krisenmodus
Im Mobilitätsbereich sind seit der Corona-Krise deutliche Verschiebungen bei der Anzahl der zurückgelegten Wege (Homeoffice etc.) und der Verkehrsmittelwahl feststellbar. Der öffentliche Verkehr ist bezüglich Fahrgastzahlen auch weiterhin unter dem Vor-Corona-Niveau. Der Individualverkehr sowie das Zufußgehen hingegen haben zugenommen. Die Hälfte der Befragten möchte nach der Pandemie wieder zum gewohnten Mobilitätsverhalten zurückkehren. Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Verkehrsmittelwahl sollten Arbeitnehmer:innen unbedingt unterstützt werden. Vor allem Frauen, Personen ohne Erwerbseinkommen und Menschen mit Migrationshintergrund sind auf funktionierende Öffis und gute Fuß- und Radwege angewiesen – sie nutzen diesen Mobilitätsmix am häufigsten.
Öffentlicher Raum als Gesundheitsressource
Der öffentliche Raum erlangte durch die Pandemie grundsätzlich einen massiven Bedeutungsgewinn. Die Studie zeigt, dass über 80 Prozent der Wiener:innen mit ihrer Wohnumgebung zufrieden sind. Gleichzeitig sind Maßnahmen zur Steigerung der Qualität des öffentlichen Raums für die Befragten sehr wichtig. Insbesondere die Errichtung von Grünflächen, der Ausbau an Sitzmöglichkeiten sowie die Reduktion von Autos im öffentlichen Raum werden als wichtige Maßnahmen zur Erhöhung der Lebensqualität bewertet. Das zeigt zum einen die Vielzahl an sozialen Funktionen von öffentlichem Raum. Zum anderen wurde im Zuge der Pandemie deutlich, welchen Wert öffentliche Freiflächen und Räume mit hoher Aufenthaltsqualität als Gesundheitsressource haben: Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Raum und Frischluft sind im urbanen Kontext keine Selbstverständlichkeit. Für vier von zehn Befragten, die in Wien arbeiten, hat sich die psychische Gesundheit im Zuge der Pandemie verschlechtert, insbesondere bei Angehörigen einer Risikogruppe sowie Menschen unter 30 Jahren. Die Sicherstellung und großzügige Ausstattung mit qualitativen, nicht kommerzialisierten Räumen tragen einen wesentlichen Teil dazu bei, dass sich auch Menschen, die nicht in großzügigen Wohnungen leben, entsprechend regenerieren können. Das ist entscheidend für die psychische Gesundheit und wirkt kompensierend für hohen emotionalen Stress, der durch räumliche Dichte und beengte Wohnverhältnisse entstehen kann.
Investitionen in eine soziale Stadt
Die Corona-Krise hat für die Wienerinnen und Wiener eine Vielzahl an Belastungen mit sich gebracht. Finanzielle Einschränkungen, Betreuungs- und Arbeitsbelastungen und der Verzicht auf sozialen Austausch stellten große Herausforderungen dar. Nahezu drei Viertel (72 Prozent) der Wiener:innen waren von Mehrfachbelastungen betroffen. Dabei fällt auf: Menschen, die in prekären Verhältnissen leben oder arbeiten, sind sowohl in einem höheren Ausmaß als auch von mehr Belastungen gleichzeitig betroffen. Frauen, Menschen in prekären (Wohn-)Verhältnissen, junge Menschen unter 30 oder jene, deren gesundheitlicher oder psychischer Zustand sich durch die Krise verschlechtert hat, sowie Eltern sind von bis zu fünf Herausforderungen gleichzeitig sehr bzw. ziemlich belastet.
Die Studienergebnisse bestätigen einmal mehr, dass man die Corona-Pandemie nicht nur als gesundheitliche Krise betrachten darf. Soziale und wirtschaftliche Folgen belasten die Wiener:innen und haben Spuren in der Stadt hinterlassen. Besonders durch COVID-19 verstärkte Abwärtsspiralen und soziale Schieflagen müssen unterbrochen werden. Die jüngsten Erkenntnisse leisten einen Beitrag für die Diskussion von kommunalpolitischen Handlungsmöglichkeiten und Dringlichkeiten in der Umsetzung. Soziale, nachhaltige Stadtentwicklung spielt dabei eine wichtige Rolle, um Ungleichheiten zu verringern, Lebensqualität zu schaffen und Grundlagen zur Chancengleichheit zu sichern.
Soziale Stadt weiterentwickeln:
- Öffentliche Investitionen in soziale Infrastruktur erhöhen
- Angebote im psychosozialen Bereich ausbauen
Leistbares Wohnen fördern:
- Befristete Mietverträge (mit sinnvollen Ausnahmen) abschaffen
- Hohe Neubauleistung im gemeinnützigen Sektor vorantreiben
- Private in die Pflicht nehmen: 1/3 Sozialverpflichtung
Krisenfester Ausbau des Umweltverbunds:
- Ausbau und Angebotserweiterungen der Öffis
- Qualität der Fuß- und Radwegenetze verbessern
Mehr Qualität im öffentlichen Raum:
- Grünflächen gerecht verteilen & frei zugänglich machen
- Turnhallen und Sportplätze nutzbar machen
- Freiflächen fördern, die innovative Mehrfachnutzungen zulassen
Die Langfassung des Artikels ist in der Zeitschrift AK Stadt: „Corona-Krise in der Stadt“, Ausgabe 04/2021 erschienen.