Ende Oktober wurden mindestens 300 Familien, die von der Landwirtschaft leben, Opfer gewaltsamer Grundstücksräumungen. Wegen der sich ausbreitenden Sojaindustrie wurden Menschen, die bereits seit mehreren Jahren unter der Staatsgewalt leiden, nun von ihren Ländereien vertrieben. An Gemeinden wie Edilson Mercado, Canindeyú, Cristo Rey oder San Pedro wird deutlich, wie auf nationaler und internationaler Ebene und von staatlicher Seite jegliche Rechte von Menschen an ihrem eigenen Land missachtet werden – nur, um den Sojaanbau weiter vorantreiben zu können.
Am 2. November ging ein neuer Räumungsbefehl gegen das Dorf Edilson Mercado, das zum Ort Jasy Kañy im südöstlichen Departament Canindeyú gehört, ein. Betroffen sind mehr als 250 Familien, die seit mehr als drei Jahren darum kämpfen, ihr Land selbst bewirtschaften zu können. Der Kongress für Landwirtschaft hat auf mehrere Tausend Hektar Land hingewiesen, die vermutlich staatsrechtlich in Anspruch genommen wurden und auf die von Seiten der Betroffenen ein Antrag an das Instituts für landwirtschaftliche Entwicklung (INDERT) gestellt wurde. Trotz des Antrags und der jahrelangen Sesshaftigkeit der Betroffenen gab es bisher noch keine Rückmeldung seitens des INDERT.
„Das Leben von Tausenden Bauernfamilien steht auf dem Spiel“
Die Vorsitzenden der landwirtschaftlichen Gemeinschaft teilten mit, dass die mit Gewalt erzwungene Räumung der Gemeinden mehr als 100 Häuser und an die 800 Hektar Land sowie weiteres Eigentum der Landwirt*innen zerstört hat. Des Weiteren wurde deutlich signalisiert, dass das gerichtliche Verfahren schleppend voranginge und kein halbwegs kompetenter Richter die eigenmächtige Besetzung und Zerstörung der Ländereien anerkennen würde. „Menschenrechte werden verletzt, Gesetze sowie Schutz und Unterstützung vom eigenen Staat bleiben aus. Das Recht auf ein lebenswertes Leben, welches vernünftige, ausgewogene Ernährung und ein Dach über dem Kopf mit einschließt ist durch bewusst eingesetzte physische Gewalt nicht mehr garantiert. Das Leben von Tausenden Bauernfamilien steht auf dem Spiel“, so die landwirtschaftliche Gemeinschaft Joaju.
Gleiches mussten die landwirtschaftliche Gemeinde Cristo Rey sowie weitere 40 Familien aus Guayaibí im Departament San Pedro hilflos über sich ergehen lassen. Die gewaltvolle Räumung zerstörte dort Siedlungen, Schulen, Häuser, Ackerbau – Gemeinden, die bereits seit über zwölf Jahren existieren. Die Gemeinde Edilson Mercado und die Siedlung Cristo Rey befinden sich mitten in den für den Sojaanbau optimal gelegenen Gebieten. Dort kämpfen Landwirt*innen und indigene Gemeinden für ihre Ländereien und gegen den Sojakommerz, der Waldrohdung, Pestizideinsatz und gentechnische Pflanzenwachsmittel mit sich bringt.
Internationale Kritik an den Zwangsräumungen
In beiden Fällen wurde weder auf ein vom paraguayischen Staat anerkanntes – also legales – Vorgehen geachtet, noch auf die internationalen Menschenrechte Rücksicht genommen. Zur Anerkennung und Würdigung letzterer hat sich der paraguayische Staat jedoch verpflichtet. Seit der ersten Konferenz gegen die Zerstörung und gewaltsame Besetzung von bewohnten Siedlungen im Jahr 1976 haben die Vereinten Nationen (UN) immer wieder versucht, gegen diese Zwangsräumungen vorzugehen. Auch aktuell machten die UN deutlich, dass das aktuelle Vorgehen ein Vergehen an den Menschenrechten ist und Ländereien ausschließlich und in äußersten Fällen legal beansprucht und benutzt werden können. Dies allerdings auch nur, wenn den Betroffenen ein sicherer und lebenswürdiger neuer Raum zum Wohnen und Leben angeboten werden kann.
Im Fall Paraguays haben sich bereits mehrere internationale Verbände gegen die gewaltvollen Zwangsräumungen ausgesprochen. So 2007 auch das Komitee für Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrecht: „Wir bitten den Staat unter Anbetracht des Rechtssystems, eindringlichst die Räumung der Ländereien und Wohnräume der betroffenen bäuerlichen Familien und indigenen Gemeinden zu unterlassen, (…) die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen.“ Zehn Jahre später, im Jahr 2017, berichtet Hilal Elver, Beauftragte für Ernährungsrecht, über die besorgniserregende Entwicklung der Zwangsräumungen von indigenen Gemeinden und landwirtschaftlich kultivierten Regionen: „Die Zwangsräumungen werden durch Gewaltausübung staatlicher oder privater Hand erzwungen (…) Es ist notwendig, den Schutz der Betroffenen zu gewährleisten. Wenn eine Gemeinde ein bestimmtes Stück Land bewirtschaftet und auf dieses angewiesen ist, besagt das Recht auf Ernährung, dass die Räumung dieses Gebiets verboten ist, wenn nicht bestimmte Maßnahmen erfüllt werden können.“