Die EU wurde im Oktober von einem Gaspreisschock überrascht. Explosionsartig stiegen die Preise. Hastig wird nun nach zusätzlichen Liefermengen gesucht, doch der rasant wachsende Energiemarkt ist ausgeschöpft.

Jetzt hat auch Washington klar gemacht, dass die EU keine Hilfe aus Übersee in dieser Gaskriese erwarten sollte.

„Transatlantische Solidarität“ – war da was?

Viel wird über die „transatlantische Solidarität“ gesprochen, doch wenn es um den Markt und Profit geht, gehen die USA ihren eigenen Weg.

US-Energieriesen liefern eigentlich gewaltige Mengen an Flüssiggas (LNG) ins Ausland…allerdings vor allem nach Asien, weil die Kunden dort mehr zahlen. Auch die Energiekrise in der EU wird an diesem Trend nichts ändern, dies bestätigte jetzt der Energieberater des State Departments, Amos Hochstein.

Darauf angesprochen, ob USA ihr LNG-Gas nach Europa liefern und so den europäischen „Verbündeten“ unter die Arme greifen könnten, erklärte er, dies sei nicht möglich.

USA seien einer der größter Gasexporteure der Welt, sie würden Europa aber nicht beliefern, da diese Entscheidung ausschließlich in den Händen der amerikanischen Energiekonzerne liege. Die US-Regierung könne den Konzernen nicht vorschreiben, an wen und wie viel Gas sie verkaufen, so Hochstein weiter.

Im Klartext heißt das:

Die EU sollte nicht mit Zusatzlieferungen aus den Vereinigten Staaten rechnen, auch trotz der aktuellen akuten Krise. US-Konzerne liefern ihr LNG-Gas eher zahlkräftigen Kunden in Asien als den Partnern in der „westlichen Wertegemeinschaft“.

Die EU wird sich somit darauf einstellen müssen, permanent mit erhöhten Gaspreisen zu leben, denn der aktuelle Preisschock ist kein Resultat kurzfristiger politischer Spielereien, sondern ein langfristiger Trend der einerseits steigenden weltweiten Nachfrage und andererseits sinkenden Förderkapazitäten in der EU.

Der Preisschock und die anfänglichen Klischees

Der Preisschock in Europa hat Viele überrascht und provozierte eine ganze Welle von oberflächlichen „Analysen“ und klischeehaft absurden Schuldzuweisungen.

Insbesondere die Springer-Gelbpresse, aber auch Vertreter der Grünen, fanden zu den Anfängen des Preisschocks schnell den Schuldigen – den „Kreml“.

Moskau drehe Europa den Gashahn zu!, so der Vorwurf.

Die Inkonsistenz dieser Anschuldigungen wurde schnell von Fachkundigen sowie von deutschen, amerikanischen und europäischen politischen Vertretern auf höchster Ebene dementiert.

Nein. Gazprom dreht Europa den Gashahn nicht zu. Der Konzern liefert zuverlässig alle gebuchten Mengen. Mehr noch, die Liefermenge ist im Vergleich zu den Vorjahren sogar auf ein Rekordniveau gestiegen. Es gibt keine politische Manipulation der Preise seitens Moskaus.

Einige Richtigstellungen im Überblick:

  • Anfang Oktober erklärte Klaus-Dieter Maubach, Chef des deutschen Energieriesen Uniper, es gäbe keinen Grund für die Spekulationen, dass Russland seine Gaslieferungen aus politischem Kalkül drosselt. Gazprom liefert alle gebuchten Mengen. „Uniper ist der größte Gazprom-Kunde, und die Russen liefern so zuverlässig wie in den vergangenen 50 Jahren“, so Maubach.
  • Am 06. Oktober nahm die noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel Russland in Schutz und warnte vor „zu einfachen“ Lösungen und Erklärungen. Die Preissteigerungen hängen nicht mit irgendwelchen Lieferkürzungen zusammen. Russland erfülle zuverlässig alle Verträge, könne aber „nur Gas auf der Grundlage von vertraglichen Bindungen“ liefern. Die Frage hier ist also, „ob genug Gas bestellt“ wurde, so Merkel. Offensichtlich hat sich die EU genau in dieser Frage verkalkuliert.
  • Am 15. Oktober dementierte die EU-Kommission, dass Moskau die Gaspreise manipuliert. Vizepräsident der Europäischen Kommission Frans Timmermans erklärte, es gäbe „keinen Grund zur Annahme, dass Russland den Markt in irgendeiner Weise manipuliert“. „Russland erfüllt seine Gaslieferverträge“, so der EU-Vertreter unmissverständlich.
  • Ebenfalls im Oktober bestätigte das Oxford Institute for Energy Studies, dass Gazprom alle Verträge bedient und alle gebuchten Gasmengen liefert. Es gäbe keine Lieferkürzungen. Ganz im Gegenteil, die Liefermenge wurde sogar erhöht. Dem Oxford-Institut zufolge ist Russlands Gasexport nach Europa so hoch wie nie. Gazprom „feuert aus allen Rohren“, so die Analyse. Der Konzern habe angesichts der gewaltigen Nachfrage nach Gas „wohl schlicht seine Leistungsgrenze erreicht“.
  • Am 18. Oktober wurden all die Stellungnahmen schließlich auch von Konzerndaten bestätigt. Von Lieferkürzungen könne demnach keine Rede sein. Im Gegenteil, Gazprom hat fast ein Drittel mehr Gas als im Vorjahr geliefert. „Allein nach Deutschland sei die Menge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 28,2 Prozent gestiegen“, heißt es hierzu.

Doch woher kamen dann in den Anfängen des Preisschocks diese Fehlinterpretationen (oder bewusste Manipulationen?) seitens der Springer-Presse und Co?

Auch dies lässt sich recht banal beantworten. Der Transit über einige Pipelines ist in der Tat gefallen, insbesondere über die Pipeline Jamal-Europa über Weißrussland und Polen. Auch über die Pipelines auf dem ukrainischen Territorium sind die Transitmengen gesunken. Dies liegt allerdings nicht daran, dass die Gesamt-Liefermenge gedrosselt wurde, sondern daran, dass die Lieferwege mittlerweile deutlich diversifizierter sind. Früher ging so gut wie das gesamte Gas aus Russland nach Europa über Polen, Belarus und Ukraine. Mittlerweile fließt das Gas zusätzlich auch über die Pipelines Nord Stream 1 und Turkish Stream. Die Transit-Auslastung einiger Pipelines ist damit gesenkt worden, während die Gesamtliefermenge sogar erhöht wurde.

Ein Paradebeispiel hierzu lieferte zuletzt Ungarn. Seit Oktober bekommt das Land das russische Gas NICHT mehr über das ukrainische Territorium, sondern praktisch komplett über Turkish Stream. Die Lieferungen aus Richtung der Ukraine sind somit gefallen…aber eben nur weil sich der Lieferweg geändert hat, nicht die Gesamt-Liefermenge.

Die eigentlichen Gründe für den Preisschock

Und was sind dann die „wahren“ Gründe für die Preisexplosion? Das Oxford Institute for Energy Studies spricht von einem „ungewöhnlichen Zusammentreffen wirtschaftlicher Kräfte“. Einfach dargestellt ist es das klassische marktwirtschaftliche Prinzip von „Nachfrage schlägt Angebot“.

Laut dem Oxford-Institut sind die konkreten Gründe für die Preisexplosion:

  • „Ein starker Sog aus Asien“. Vor allem in China boomt die Wirtschaft nach der Corona-Krise wieder. Laut Nikos Tsafos vom Institute for Strategic & International Studies hat China 80 Prozent des neuen LNG-Angebots in diesem Jahr aufgekauft. Da die asiatischen Kunden traditionell mehr zahlen als die Europäer, liefern bsp. US-Firmen lieber nach Asien (siehe oben Amos Hochstein)
  • der Winter 2020/21 in Nordostasien sowie in Europa und Nordamerika war ungewöhnlich kalt, was den Gasverbrauch ankurbelte und die Speicher leerte. Zum Beginn der aktuellen Wintersaison sind sie immer noch nicht gefüllt. In China soll es deshalb zuletzt zu „Panikkäufen“ gekommen sein.
  • Der Umstieg auf die „grüne Energie“ in Europa führte dazu, dass mehr flexibel einsetzbare Gaskraftwerke gebraucht werden, da sie Stromschwankungen besser ausgleichen können, während die wetter- und klimaabhängigen „grünen“ Stromquellen hier eher ausfallen.
  • Die Wirtschaft erholt sich nach der Corona-Pandemie allmählich und startet wieder die ehemals eingefrorenen Projekte, was die Nachfrage nach Energie insgesamt ankurbelt.
  • Schließlich sinken auch die Fördermengen in Europa aus „natürlichen Gründen“, da sich die erschlossenen Lager allmählich erschöpfen.

Fazit

All die oben dargestellten Zusammenhänge bedeuten für die europäischen Verbraucher vor allem Eines – Nein, der aktuelle Preisschock geht nicht auf geopolitische Spielereien oder den „Kreml“ zurück, sondern ist die Folge eines langfristigen weltweiten Trends, mit dem die EU nun lange zu tun haben wird. Die Energie wird teurer – darauf wird sich insbesondere der Otto-Normalverbraucher in Europa dauerhaft einstellen müssen.

Der Artikel „Gaspreisschock in Europa: Was die Gründe sind und warum die USA kein zusätzliches LNG-Gas in die EU liefern werden – eine Analyse“ von Nikita Gerassimow ist ursprünglich auf dem Portal „Publikum“ erschienen und wurde mit dem Einverständnis des Autors bei EuroBRICS veröffentlicht worden.

Der Originalartikel kann hier besucht werden