Eine aktuelle Studie attestiert der Chinaberichterstattung der deutschen Leitmedien die Verbreitung von teils kolonialen Stereotypen und die Schaffung eines Feindbildes.
Eine aktuelle Studie stellt der Chinaberichterstattung der deutschen Leitmedien ein desaströses Zeugnis aus. Die vorherrschende Chinaberichterstattung sei „durch ein verstärktes Aufgreifen von teils noch aus kolonialen Zeiten herrührenden Klischees und Stereotypen geprägt“, heißt es in einer umfassenden Analyse, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Die Linke) vorgelegt hat. „Negativ konnotierte Ausführungen“ seien „bei nahezu allen Themen … zu finden“; meist trete „der Einfluss der in den USA … neu befeuerten These“ hervor, China stelle eine Bedrohung „nicht nur für den Führungsanspruch der USA, sondern für die gesamte Welt“ dar. Tonangebend kommen demnach weitestgehend westliche und prowestliche Stimmen zu Wort; als „Meinungsmacher zu Hongkong“ fungierten etwa „drei Hongkonger Aktivisten“ und Chris Patten, der letzte Gouverneur der britischen Kronkolonie. Die Studie bestätigt eine frühere Analyse der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen), die schon 2010 festgestellt hatte, deutsche Leitmedien förderten ein „denunzierendes Bild der chinesischen Gesellschaft“.
„Mission statt Information“
Mit der deutschen Chinaberichterstattung hatte sich zuletzt im Jahr 2010 die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) in einer umfassenden Analyse befasst. Sie kam – sechs führende Printmedien sowie das öffentlich-rechtliche Fernsehen, darunter die Tagesschau, auswertend – zu dem Schluss, in der Darstellung der Volksrepublik in Deutschland herrsche eine „Kernagenda“ vor, die spürbar von einer „eurozentristische[n] Perspektive“ bestimmt sei. Meist werde „die kritische Information zugunsten einer Art Mission zurückgestellt“. Allzu häufig würden „bestimmte, offensichtlich gesellschaftlich inhärente Vorstellungen und Klischees über das Land unreflektiert kolportiert“, wobei „normativ abwertende Bilder“ den Diskurs prägten.[1] Man müsse „von einer fortlaufenden Verbreitung existierender Stereotypen durch die Medien“ sprechen, „die sich eher an gesellschaftlich verankerten Symbolen und Floskeln“ als an einem differenzierten Blick auf die chinesische Realität orientierten. Es bestehe „die Gefahr einer Verfestigung dieser zumeist extrem versimplifizierten und verkürzenden Klischees in der deutschen Öffentlichkeit durch die Menge an Beiträgen, die diese Eindrücke verbreiten“. Damit fördere man ein „sehr klischeebeladenes und stellenweise auch denunzierendes Bild der chinesischen Gesellschaft“.
„Nicht gleichrangig“
Eine aktuelle, sehr detaillierte Studie zur deutschen Chinaberichterstattung hat nun die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Die Linke) vorgelegt. Die Studie analysiert sieben führende Printmedien und konzentriert sich auf den Zeitraum von Januar bis August 2020, in dem die Berichterstattung stark von der Covid-19-Pandemie geprägt war. Sie kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie die Heinrich-Böll-Stiftung elf Jahre zuvor. Demnach ist die Darstellung der Volksrepublik in den deutschen Leitmedien „durch ein verstärktes Aufgreifen von teils noch aus kolonialen Zeiten herrührenden Klischees und Stereotypen geprägt“. Rassistische Ressentiments würden zwar „überwiegend zurückgewiesen, doch „auf subtile Weise in andere Klischees integriert“ – etwa in das „als ‚eklig‘ konnotierte[…] Essen von Wildtieren“.[2] Die Themenagenda wiederum ist, heißt es in der Studie, „insgesamt wenig differenziert und zudem vorwiegend von der Perspektive deutscher Interessen bestimmt“. Dabei erfolgt „quasi eine systematische ‚Messung‘ Chinas mit deutschen, europäischen, westlichen Werten“, wobei „der Gegensatz von ‚wir‘ und ‚China‘ als ‚das Andere‘ betont“ werde. Vielfach werde sodann „‚das Andere‘ als nicht gleichrangig dargestellt“. Dies führe „zur Tradierung von Klischees und Ängsten“.
„Bedrohungsszenarien aus kolonialen Kontexten“
Insgesamt, stellt die Rosa-Luxemburg-Stiftung fest, sind „negativ konnotierte Ausführungen … bei nahezu allen Themen, insbesondere jedoch in Bezug auf die Charakterisierung chinesischer Innen- und Außenpolitik zu finden“. Dabei werde nur selten „auf die historische und aktuelle Komplexität der Konflikte eingegangen“, die die chinesische Politik beschäftigten. Die Studie untermauert die Einseitigkeit der Berichterstattung mit dem Hinweis, 88,4 Prozent aller Beiträge zur chinesischen Innenpolitik seien in der Bewertung „kritisch“ oder „sehr kritisch“ abgefasst; die „neutralen Beiträge“ – gerade einmal 9,4 Prozent – bezögen sich „überwiegend auf konkrete Ereignisse“, etwa die terminliche Verschiebung des Nationalen Volkskongresses, während es lediglich vier Beiträge gegeben habe, „in denen die gängige Praxis, Chinas politisches und soziales System mit dem Westen zu ‚messen‘, nicht zu beobachten ist“, sondern in denen dem Land „unter Berücksichtigung seines kulturellen Hintergrunds und der sozialen Realität ein Eigenwert zugesprochen wird“. Meist zeige sich „der Einfluss der in den USA … neu befeuerten These“, China sei eine Bedrohung „nicht nur für den Führungsanspruch der USA, sondern für die gesamte Welt“. Dabei würden eindeutig „Bedrohungsszenarien wiederbelebt, die aus kolonialen und antikommunistischen Kontexten herrühren“.
Der Kolonialgouverneur als Meinungsmacher
Die Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung weist nicht zuletzt darauf hin, dass als tonangebende Autoritäten häufig westliche Politiker sowie Spezialisten westlicher Denkfabriken zitiert werden; Stellungnahmen chinesischer Politiker werden „in der Regel mit denen deutscher Akteure neutralisiert“. Aus der chinesischen „Zivilgesellschaft“ kommen demnach nur exponierte Gegner der chinesischen Regierungspolitik zu Wort. „Als Meinungsmacher in Bezug auf Hongkong“ etwa fungierten „drei Hongkonger Aktivisten“ – und außer ihnen vor allem Chris Patten, der letzte Gouverneur der britischen Kolonie Hongkong. „Dominant“ berücksichtigt werden Mitarbeiter von vier Denkfabriken, darunter der German Marshall Fund of the United States (GMF) sowie das Mercator Institute for China Studies (MERICS). Der GMF ist einer der einflussreichsten transatlantisch gebundenen Think-Tanks. Das MERICS versammelt in seinem Kuratorium unter anderem den Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, Sebastian Groth, und den Leiter Außenpolitik im Bundespräsidialamt, Thomas Bagger. Bagger begleitete zuletzt die Arbeit einer Expertengruppe, die kürzlich ein Strategiepapier für eine aggressivere, risikobereite deutsche Außenpolitik vorlegte. Gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Mercator.[3]
Die Haltung der Eliten
Zu den Folgen der einseitigen, klischeebehafteten und von teils kolonialen Stereotypen geprägten deutschen Chinaberichterstattung sagt die Rosa-Luxemburg-Stiftung voraus: „Die weitere mediale Konstruktion und Vertiefung des Feindbilds China mit … eindimensionalen und eurozentrisch geprägten Facetten wird die jetzt schon zu beobachtende skeptisch-ablehnende Haltung besonders der intellektuellen und politischen Elite gegenüber China … verstärken.“
[1] Carola Richter, Sebastian Gebauer: Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien. Mit Beiträgen von Thomas Heberer und Kai Hafez. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin 2010.
[2] Jia Changbao, Mechthild Leutner, Xiao Minxing: Die China-Berichterstattung in deutschen Medien im Kontext der Corona-Krise. Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung 12/2021. Berlin 2021.
[3] S. dazu Handlungsempfehlungen an die nächste Bundesregierung (I) und Handlungsempfehlungen an die nächste Bundesregierung (II).