COP26 in Glasgow: Bundesregierung gibt unverbindliche Zusagen und verweigert sich dem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2035. Kritiker beklagen „unrühmliche Rolle“ Berlins.
Die Rolle Deutschlands auf der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) ist auf ein gemischtes Echo, teilweise sogar auf scharfe Kritik gestoßen. Zwar habe die Bundesregierung ein Abkommen unterzeichnet, das – freilich unverbindlich – ein Ende der globalen Nettoentwaldung bis 2030 vorsieht, heißt es; zudem habe sie sich einer Erklärung angeschlossen, die für Industrieländer den Ausstieg aus der Nutzung von Kohle in den 2030er Jahren zusage. Letzteres bringt freilich keinen Fortschritt: Berlin hat den Kohleausstieg ohnehin bis spätestens 2038 geplant. Ernsten Unmut hat ausgelöst, dass die Bundesregierung eine Erklärung von rund zwei Dutzend Staaten nicht unterstützt, das Ende der Herstellung von Autos mit Verbrennungsmotor auf 2035 festzulegen. Dies sei eine der „großen Enttäuschungen des Gipfels“, heißt es in Kommentaren; zudem könne es „nach hinten“ losgehen, da die deutschen Kfz-Hersteller bei den einschlägigen Technologien im Rückstand seien. Kritiker stufen den Gipfel in Glasgow ohnehin als „Fehlschlag“ ein: Es sei der „fossilen Lobby“ gelungen, die recht mageren Ergebnisse noch zusätzlich zu „verwässern“.
Viele Versprechen
Die Rolle der Bundesregierung auf der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) hat ein gemischtes Echo hervorgerufen. Bei COP26 sei zwar „vieles versprochen“ worden, hieß es in ersten Einschätzungen deutscher Leitmedien; doch sei Berlin „nicht immer“ daran beteiligt gewesen.[1] Während des rund zweiwöchigen Treffens seien in einem beachtlichen Tempo Absichtserklärungen und Deklarationen von wechselnden Allianzen von Staaten unterschrieben worden, sodass „kaum ein Tag“ vergangen sei, an dem „nicht die Rettung der Wälder, der Umbau der Landwirtschaft oder das Ende der Kohle“ deklariert worden sei. Die Gipfelerklärungen stünden allerdings in einem auffälligen Kontrast zur trägen realen Klimapolitik, also zur schleppenden Umsetzung der Gipfelversprechen, die oftmals unverbindlich sind.
Kein verbindliches Waldabkommen
Angeschlossen hat sich die Bundesregierung etwa der internationalen Vereinbarung zum Schutz der Waldflächen, die ein Ende der globalen Nettoentwaldung bis 2030 vorsieht. Danach soll eine Phase globaler Wiederaufforstung eingeleitet werden. Der Vertrag darüber ist von einer „Koalition der Willigen“ von mehr als 100 Staats- und Regierungschefs unterschrieben worden, darunter Russland, die USA, Kanada, Indonesien und sogar Brasilien. Auf dem Territorium der Unterzeichnerstaaten befinden sich 85 Prozent der globalen Waldflächen, wobei die bislang unvermindert voranschreitende Entwaldung für rund 15 bis 20 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Der Haken an der Sache besteht allerdings darin, dass die Vereinbarung nicht verbindlich ist.[2] Die Ankündigung weise zwar „in die richtige Richtung“, erklärten Vertreter von Umweltorganisationen, doch müsse sie mit einem „verbindlichen Abkommen abgesichert werden“. Gelinge dies nicht, werde auch diese Initiative „scheitern wie schon andere vor ihr“. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich skeptisch: Es sei zwar leicht, eine Unterschrift unter die Vereinbarung zu setzen; es komme aber darauf an, „dass sie umgesetzt wird“.
Ende der Kohle?
Deutschland beteiligt sich zudem an einer Erklärung von mehr als 40 Staaten, die einen beschleunigten Ausstieg aus dem fossilen Energieträger Kohle zusagten. Darunter sind auch ausgesprochene Kohleländer wie Polen, Vietnam und Indonesien zu finden. Die Vereinbarung sieht vor, dass sich die Industrieländer unter den Unterzeichnern in den 2030er Jahren von der Kohle verabschieden, in den 2040ern Jahren dann die Schwellen- und Entwicklungsländer. Für die Bundesrepublik stellt diese Erklärung allerdings keine Beschleunigung ihres nationalen Kohleausstiegs dar, da dieser ohnehin bis spätestens 2038 geplant ist. Problematisch an der Abmachung ist zudem der Umstand, dass die größten Kohleverbrenner – vor allem China und die USA – sich nicht an ihr beteiligt haben.
Neue Finanzierungszusagen
Die Bundesregierung hat sich zudem gemeinsam mit Kanada im Vorfeld des Gipfels an Sondierungen zur Einhaltung klimapolitischer Finanzierungszusagen für Entwicklungsländer beteiligt. Diese sollten eigentlich ab 2020 insgesamt 100 Milliarden Euro pro Jahr erhalten, um ihre Anpassung an den Klimawandel zu ermöglichen. Diese Summe ist bislang nicht erreicht worden; laut Beteuerungen deutscher und kanadischer Diplomaten sollen die Gelder nun aber ab spätestens 2023 in voller Höhe fließen.[3] Die Nichteinhaltung der Finanzierungszusagen wird im COP26-Abschlussdokument mit „großem Bedauern“ festgestellt. Zudem finden sich Verweise auf den neuen deutsch-kanadischen Finanzierungsplan.[4]
Auslandsinvestitionen in fossile Projekte
Überdies hat sich die Bundesregierung nach kurzem Zögern entschlossen, einer Staatenallianz beizutreten, die Auslandsinvestitionen zur Finanzierung der Nutzung fossiler Energieträger ab Anfang 2023 gänzlich einstellen will. Es geht dabei aber, wie berichtet wird, nur um „Projekte, die die Länder mit öffentlichen Mitteln außerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen unterstützen“.[5] Den 27 Staaten, die das Vorhaben unterstützen, gehören unter anderem die USA, Kanada, Dänemark, Finnland und Neuseeland an. Das jährliche Investitionsvolumen der beteiligten Staaten in fossile Auslandsinvestitionen belief sich demnach auf durchschnittlich 18 Milliarden US-Dollar. Der Ankündigung haben sich auch einige Banken und die Europäische Investitionsbank (EIB) angeschlossen. Berlin müsse in dieser Hinsicht bald Farbe bekennen, heißt es: Das Bundeswirtschaftsministerium stehe vor der Entscheidung, staatliche Kreditgarantien für ein „riesiges Erdgasprojekt in Russland“ zu vergeben, an dem „deutsche Konzerne mitverdienen“ wollten.[6]
„Ein bisschen mutlos“
Die Gipfelinitative, einen generellen Verzicht auf die weitere Erschließung von Erdöl- und Erdgaslagerstätten zu vereinbaren, ist hingegen weitgehend gescheitert. Dem von Dänemark und Costa Rica initiierten Staatenbündnis „Beyond Oil & Gas Alliance“ [7], das ein rasches Ende der Förderung und Produktion fossiler Brennstoffe anstrebt, haben sich nur elf Staaten und Regionen angeschlossen, darunter Frankreich, Irland und Schweden; Neuseeland und Portugal nehmen den Status assoziierter Staaten ein. Deutschland verweigerte hingegen die Unterschrift unter das Dokument. Das sei „ein bisschen mutlos“, hieß es in Kommentaren; schließlich hänge die Zukunft der Bundesrepublik nicht davon ab, ob „unter der Lüneburger Heide noch neue Ölvorkommen entdeckt“ würden.
Kein Ausstieg aus dem Verbrenner
Zudem weigerte sich Berlin, einer Staatenallianz beizutreten, die einen raschen Ausstieg aus der Fertigung von Verbrennungsmotoren anstrebt. Rund zwei Dutzend Staaten haben in Glasgow eine Erklärung unterschrieben, die bis 2035 ein Ende der Fertigung von Autos mit Verbrennungsmotor vorsieht. Sogar Fahrzeughersteller wie General Motors, Ford und Mercedes-Benz unterstützen die Initiative, der die Bundesregierung hingegen ihre Unterschrift verweigerte.[8] Nach einer regierungsinternen Prüfung habe man beschlossen, das Abkommen „heute nicht zu unterschreiben“, erklärten Regierungssprecher: Es bestehe kein Konsens, ob auch „aus erneuerbaren Energien gewonnene e-Fuels in Verbrennungsmotoren“ als emissionsfrei gälten und folglich „Teil der Lösung“ seien. Insbesondere der Widerstand des geschäftsführenden Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) soll für die Verweigerungshaltung Berlins verantwortlich sein. Scheuer besteht auf der Einstufung „synthetischer Kraftstoffe“ als klimaneutral. Dass sich die meisten deutschen Hersteller in Glasgow nicht auf „ein Ende des Verbrennungsmotors festlegen“ wollten, könne aufgrund des Rückstands deutscher Pkw-Hersteller bei den einschlägigen Technologien noch „nach hinten“ losgehen können, warnten Kommentatoren.
Berlins „unrühmliche Rolle“
Zudem hieß es, es sei eine „Lehre aus Glasgow“, dass Deutschland seinen Anspruch verliere, eine „Vorreiterrolle“ beim Klimawandel einzunehmen.[9] Die Bundesregierung habe auf dem Klimagipfel eine „unrühmliche Rolle“ gespielt; sie habe eine der „großen Enttäuschungen des Gipfels“ bereitet, da viele Beobachter nicht erwartet hätten, „dass Deutschland so wichtige Erklärungen wie das Aus beim Verbrennungsmotor nicht unterzeichnet“. Dies sei „entweder ein Meisterstück der Autolobby oder schlichtweg dumm“. Überdies dürfe bezweifelt werden, ob Berlin seine Zusagen zum Ausstieg aus der Auslandsfinanzierung fossiler Brennstoffe ab 2022 einhalte, da „die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bis 2030 in Projekte der Gas-Infrastruktur verwickelt“ sei. Das Ganze sehe einmal mehr nach „einer Mogelpackung“ aus. Außer Geld habe Deutschland bei der COP26 „nichts zu bieten“ gehabt, und es sei schleierhaft, wie angesichts dieser Haltung die „großen Weichenstellungen“ wie die Verkehrs- und die Energiewende realisiert werden sollten. Selbst wenn die in Glasgow gefassten Beschlüsse umgesetzt würden, steige die globale Temperatur bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 2,4 Grad an – mit katastrophalen Konsequenzen.
Kein ausreichender Klimalastenausgleich
Ähnlich pessimistisch äußerte sich Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU): Die Industriestaaten hätten es nicht vermocht, eine „Antwort“ auf die Folgen der Klimakrise in den Entwicklungsländern zu finden, die die „Hauptbetroffenen des Klimawandels“ seien, stellte Müller fest. Die bisherigen Zusagen und die Gipfelergebnisse seien „absolut unzureichend“.[10] Es müsse ein globaler „Klimalastenausgleich von Reich zu Arm“ etabliert werden, der mit „deutlich mehr Unterstützungsleistungen“ einhergehe, um „die Menschen vor Klimafolgen wie Dürren und Fluten zu schützen“. In Glasgow sei jedoch der „Blick zu wenig global“ gewesen.
[1] Wie schlägt sich Deutschland in Glasgow? sueddeutsche.de 12.11.2021.
[2] Kampf den Kettensägen. sueddeutsche.de 02.11.2021.
[3] The Rich World’s Promise of $100 Billion in Climate Aid Inches Forward. nytimes.com 25.10.2021.
[4] Die Grad-Wanderung von Glasgow. spiegel.de 13.11.2021.
[5] Deutschland steigt aus der Finanzierung fossiler Brennstoffe aus. spiegel.de 09.11.2021.
[6] Wie schlägt sich Deutschland in Glasgow? sueddeutsche.de 12.11.2021.
[7] beyondoilandgasalliance.com.
[8] Zwei Dutzend Staaten einig bei Enddatum für Verbrennermotoren – Deutschland nicht dabei. rnd.de 10.11.2021.
[9] COP26 in Glasgow: Mit diesen Beschlüssen steuern wir auf 2,4 Grad Erderwärmung zu. rtl.de 12.11.2021.
[10] Entwicklungsminister Müller kritisiert bisherige Ergebnisse der COP26 als „absolut unzureichend“. spiegel.de 12.11.2021.