Über sie wird viel gesprochen, mit ihnen wenig. Gesetze werden über ihre Köpfe hinweg gemacht und es gibt ganze Organisationen, die daran arbeiten, ihre Arbeit zu verbieten. Die Rede ist von Sexarbeiter:innen, also Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten. Sie arbeiten Online oder auf der Straße, in Stripclubs oder im Bordell.

Von Lisa Wölfl (MOMENT)

Für einen Platz am Verhandlungstisch kämpfen Sabrina Michelle Sanchez und Luca Stevenson. Beide sind im Team von ESWA (Allianz für die Rechte von Sexarbeiter:innen), einer politischen Sammelorganisation von Sexarbeiter:innen für Sexarbeiter:innen.

Mit MOMENT haben Sanchez und Stevenson über Gewalt, die Auswirkungen der Pandemie und Sex als Arbeit gesprochen.

Klick hier, wenn du mehr über die Situation von Sexarbeiter:innen in Österreich erfahren willst.

Wie hat sich die Corona-Krise auf Sexarbeiter:innen in Europa ausgewirkt?

Luca Stevenson: Sexarbeit wurde plötzlich als Gesundheitsthema verstanden. Wir sollten nicht arbeiten, sondern zu Hause bleiben, um das Virus nicht auszubreiten. Die finanzielle Unterstützung vom Staat blieb aber in vielen Ländern aus. Eingesprungen sind Organisationen von Sexarbeiter:innen. Im Vereinigten Königreich haben sie etwa über 260.000 Pfund gesammelt, Masken und Geld verteilt.

Sabrina Sanchez: Uns Sexarbeiter:innen wurde lange nicht zugetraut, uns selbst zu vertreten. Das ändert sich langsam. In der Krise haben unsere Organisationen teilweise zum ersten Mal direkt Geld vom Staat bekommen und dieses in den Communitys verteilt.

In Österreich ist Sexarbeit erlaubt, aber sie unterliegt teilweise strengen Regeln. In den vergangenen zehn Jahren wurden Sexarbeiter:innen zum Beispiel in Wien an den Stadtrand gedrängt. Sie dürfen zentralen Gebieten keine Dienstleistungen mehr anbieten. Welchen Trend seht ihr in Europa?

Sabrina Sanchez: Das ist in vielen europäischen Städten so. Sexarbeiter:innen werden aus den Zentren verbannt. Sogar im Internet passiert das. Wir werden von großen Plattformen wie Paypal verdrängt, die dank uns groß geworden sind.

Luca Stevenson: Sogar während der Pandemie wurde versuchtSexarbeit weiter zu kriminalisieren. Das war ein Schlag ins Gesicht. Der Trend geht definitiv in Richtung Verbote.

Menschen, die Sexarbeit abschaffen wollen, sehen jede Form davon als Gewalt. Was sagt ihr darauf?

Luca Stevenson: Viele von uns in der Sexindustrie sind tatsächlich Überlebende von sexualisierter Gewalt. Wir wissen, wie es ist, Opfer von Gewalt zu werden. Ich kann tausendmal Sex verkaufen, ohne dass etwas passiert. Aber das eine Mal, wenn ich tatsächlich Gewalt erlebe? Glaubt mir niemand.

Sabrina Sanchez: Einwilligung (englisch: „consent“) zum Sex spielt seit der #metoo-Bewegung auch in Gesetzen eine immer größere Rolle. Das ist eine gute Entwicklung. Aber wenn wir einwilligen, Sex gegen Geld zu haben, wird das nicht respektiert. Wir zählen weder als Opfer noch als handlungsfähige Subjekte.

Ein scheinbarer Kompromiss ist ein Sexkauf-Verbot wie in Schweden. Dort machen sich Klient:innen strafbar, die Arbeitenden aber nicht.

Sabrina Sanchez: Das läuft aufs Selbe raus. Wenn Klient:innen zu Straftäter:innen gemacht werden, trifft das im Endeffekt die Sexarbeiter:innen. Das sehen wir auch ganz konkret in Schweden. Weil dort niemand von Sexarbeit „profitieren“ darf, haben Arbeiter:innen in der Branche große Probleme, etwa eine Wohnung zu finden. Sogar Airbnb-Besitzer:innen werden davor gewarnt, Zimmer an alleinstehende Frauen zu vermieten.

Luca Stevenson: Es gibt immer auch eine rassistische Komponente. In Schweden wurde einer Gruppe asiatischer Frauen der Service in einer Bar verwehrt, weil aufgrund ihrer Herkunft vermutet wurde, sie könnten Sex verkaufen. Ein Gericht hat entschieden, dass das in Ordnung ist.

Sabrina Sanchez: In Spanien gibt es einen Gesetzesentwurf, der das Vermieten von Wohnungen an Sexarbeiter:innen verbieten könnte. Das trifft die Community. Aber nicht nur. Migrantische Frauen mit anderen Jobs könnten davon genauso betroffen sein, wenn sie dem Vorurteil einer Sexarbeiterin entsprechen. Wem ist geholfen, wenn Frauen schlechteren Zugang zu Wohnungen haben?

Ein Slogan eurer Bewegung ist: „Sexarbeit ist Arbeit“. Was meint ihr damit?

Luca Stevenson: Ganz grundsätzlich meinen wir damit: Sexarbeit ist eine wirtschaftliche Aktivität. Aber ich will Arbeit an sich in einen größeren Zusammenhang setzen. In westlichen Ländern gibt es immer noch den Mythos, dass Arbeit erfüllen muss. Das mag für manche Leute auch stimmen. Der Großteil der Menschen arbeitet aber nicht aus Spaß, sondern wegen des Geldes.

Sabrina Sanchez: Es wäre uns schon viel geholfen, wenn Sexarbeit wie andere Branchen behandelt würden, in denen Menschen oft ausgebeutet werden. Wenn bekannt wird, dass Saisonarbeiter:innen 12 Stunden am Tag für einen Hungerlohn Erdbeeren pflücken müssen, sagt niemand: „Wir müssen Erntearbeit verbieten!“ Der Fokus liegt darauf, diesen Arbeiter:innen Zugang zu ihren Rechten zu verschaffen. So sollte es bei Sexarbeit auch sein.

Luca Stevenson: Für mich gibt es keine klare Grenze zwischen Arbeit und Gewalt. Denk an die Leute, die unsere Kleidung unter schlimmsten Bedingungen nähen. Bauarbeiter:innen, die sich den Rücken ruinieren. Ist diese Arbeit freiwillig oder das Ergebnis finanzieller Zwänge? Die Menschen, die Sexarbeit verbieten wollen, schreiben ihre Entwürfe in einem gemütlichen Büro bei einer Tasse Kaffee. Natürlich gibt es spezifische Gewalt gegenüber Sexarbeiter:innen. Es gibt furchtbare Arbeitsbedingungen, Menschen, die leiden und lieber etwas ganz anderes tun würden. Ja, es gibt geflüchtete Menschen, die im Park Sex für ein paar Euro verkaufen, weil sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Und es gibt Escorts, die für eine Nacht 1.000 Euro verlangen und an ihrer Arbeit Spaß haben. Beides sind Extreme. Die meisten Sexarbeiter:innen liegen irgendwo dazwischen.

Was sind eure Forderungen?

Luca Stevenson: Entkriminalisierung ist gut, aber es braucht so viel mehr, um die Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit zu verbessern. Zum Beispiel rund um Migration. Viele Sexarbeiter:innen arbeiten nicht in ihrem Herkunftsland, manche sind undokumentiert. Wer keinen legalen Aufenthaltsstatus und keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hat, wird eher Opfer von Ausbeutung. Deswegen fordern wir auch, dass Migration nach Europa legal und sicher möglich sein muss.

Sabrina Sanchez: Mein Wunsch ist eigentlich ganz einfach. Ich will, dass die Behörden mit uns zusammenarbeiten. Damit wir zur Polizei gehen können, wenn etwas passiert. Wir wollen einen Platz am Verhandlungstisch, wenn Gesetze beschlossen werden, die uns betreffen.


Hilfreiche Links:

Der Originalartikel kann hier besucht werden