US-Internetkonzerne gehen energisch gegen Bemühungen der EU um den Aufbau einer eigenständigen EU-Digitalbranche vor.

Mit milliardenschweren Investitionen und einer massiven Lobbyoffensive gehen Google und andere US-Internetkonzerne gegen Pläne Berlins und der EU zur Regulierung des EU-Digitalsektors vor. Google hat angekündigt, eine Milliarde Euro in zwei neue Rechenzentren in Deutschland zu investieren. Zudem geben das Unternehmen sowie weitere Firmen der US-Digitalbranche in Europa insgesamt fast 100 Millionen Euro für Lobbyaktivitäten aus; Google, Facebook und Microsoft sind die drei größten Lobbyisten überhaupt in Brüssel. Die EU-Regulierungspläne zielen insbesondere darauf ab, die Marktmacht der dominanten US-Konzerne zu brechen, um den Aufbau einer eigenständigen EU-Digitalbranche zu ermöglichen. SPD-Politiker bringen in diesem Zusammenhang bereits eine Zerschlagung der US-Konzerne ins Gespräch, um die „Wettbewerbsbedingungen kleinerer europäischer Anbieter zu verbessern“. Wie die zuständigen EU-Kommissare zur Erläuterung ihrer Regulierungspläne für die Digitalbranche erklären, soll Europa zum „weltweiten Datenkontinent Nummer eins“ aufsteigen.

„Wachsende Nachfrage nach Cloud-Diensten“

Deutsche Leitmedien und führende Politiker haben in der vergangenen Woche die Ankündigung des US-Konzerns Google begrüßt, rund eine Milliarde Euro in zwei Rechenzentren in Deutschland zu investieren, um auf die „wachsende Nachfrage nach Cloud-Diensten“ zu antworten.[1] Auf einer Nutzfläche von mehr als 10.000 Quadratmetern solle schon im kommenden Jahr in Hanau, nur „20 Kilometer vom weltgrößten Internetknoten DE-CIX entfernt“, eine neue Google-Cloudanlage in Betrieb gehen, heißt es seitens der Konzernführung. Eine zweite werde 2022 in der „Cloud-Region Berlin-Brandenburg“ eingerichtet. Mit diesem Investitionen wolle Google zu den Marktführern bei Clouddiensten, Microsoft und Amazon, aufschließen, um das eigene Geschäftsmodell, das vor allem auf „Umsatz mit Werbung und Daten“ basiere, auf ein „breiteres Fundament zu stellen“. Der Strom für die energiehungrigen Rechenzentren solle größtenteils aus regenerativen Quellen bezogen werden; eine entsprechende Vereinbarung mit dem deutschen Ableger des französischen Engie-Konzerns sehe eine indirekte Finanzierung von Windparks und Solaranlagen durch den IT-Konzern vor. Bis 2030 will Google seine Clouddienste ausschließlich mit „grüner“, CO2-freier Energie betreiben.

Alternative zum „Serverstandort USA“

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach in Reaktion auf die Investitionspläne des US-Internetgiganten von einem „starken Signal“ für den Wirtschaftsstandort Deutschland, das sowohl dem Ausbau der digitalen Infrastruktur wie auch der angepeilten Energiewende gelte.[2] Laut Altmaier stellt die CO2-freie Energieproduktion inzwischen einen „zentralen Faktor für die Standortwahl“ dar. Rechenzentren seien „Stromfresser“, die zur Klimaerwärmung beitrügen, solange sie mit „Strom aus Kohlekraftwerken gefüttert“ würden. Google beschäftige überdies an seinen deutschen Standorten Berlin, Frankfurt, Hamburg und München „rund 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, heißt es unter Bezugnahme auf Konzernangaben. Schließlich gebe es für die Kunden des US-Konzerns auch „rechtliche und regulatorische Gründe“, vorzugsweise Clouddienste in Anspruch zu nehmen, deren Server „in Deutschland stehen“, anstatt „Anlagen in den USA zu verwenden“. Google-Kunden könnten künftig zwischen „zwei deutschen Cloud-Regionen“ wählen – attraktive Alternativen zum „Serverstandort USA“.

Die große Lobbyoffensive

Parallel zu seinen Investitionsplänen entfaltet Google – wie auch andere US-Internetkonzerne – eine massive Lobbyoffensive in Brüssel. Nach Angaben der NGO LobbyControl tobt in Brüssel derzeit eine regelrechte „Lobbyschlacht“, mit der „Google, Amazon, Facebook & Co.“ strengere Regeln für Internetplattformen verhindern wollten.[3] Die Tech-Branche insgesamt investiert derzeit 33 Millionen Euro in ein „breites Lobbynetzwerk aus Verbänden, Lobbyagenturen, Denkfabriken und Anwaltskanzleien“, um die IT-Gesetzgebung der EU zu beeinflussen. Im Vergleich dazu belaufen sich die Lobbyaufwendungen der Autoindustrie mit rund 10 Millionen Euro lediglich auf ein knappes Drittel.

Europaweit 97 Millionen Euro

Dominant sind dabei die US-Digitalkonzerne, die darüber hinaus in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten Einfluss zu nehmen suchen; zusammengenommen belaufen sich ihre europäischen Lobbyausgaben laut LobbyControl sogar auf 97 Millionen Euro. Führend in der „Lobbyschlacht“ in Brüssel seien mit Aufwendungen von jeweils mehr als fünf Millionen Euro Google, Facebook und Microsoft; Apple habe in die Lobbykampagne „nur“ 3,5 Millionen Euro investiert. Die Digitalbranche übertreffe derzeit neben der Kfz- auch die traditionell sehr aktive „Pharma- oder Finanz-Lobby“, berichtet LobbyControl. Zum Vergleich: Die Bayer AG pumpte im selben Zeitraum rund 4,25 Millionen Euro in die Brüsseler Lobbymaschine; Ausgaben in ähnlicher Höhe tätigte der Ölmulti Shell. Während das Silicon Valley inzwischen für gut 20 Prozent der Lobbyinvestitionen in Brüssel verantwortlich ist, stünden Konzerne aus China und Hongkong hingegen für „weniger als 1 Prozent“ der entsprechenden Aufwendungen. Allein für Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft arbeiteten in Brüssel derzeit „mehr als 140 Lobbyisten“.

Gegen DSA, DMA und BKA

Die Lobbykampagnen und Investitionsoffensiven der US-Internetriesen richten sich konkret gegen zwei EU-Gesetzesvorhaben: das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA). Mit dem DSA will die EU die Online-Plattformen der US-Internetgiganten zur einer stärkeren Regulierung nötigen; das betrifft unter anderem „die Moderation digitaler Inhalte, Empfehlungssysteme und Online-Werbung“.[4] Das DMA zielt vor allem darauf ab, die übermäßige „monopolartige Marktmacht der Online-Plattformen“ zu brechen. Für US-Konzerne, die als „Gatekeeper“ den Zugang zu Online-Plattformen kontrollieren, wird dabei eine umfangreiche „Liste mit Geboten und Vorboten“ entwickelt, formuliert LobbyControl. Die Auseinandersetzungen werden inzwischen auch auf dem Rechtsweg ausgefochten: In Deutschland klagt Google seit Mitte 2021 gegen eine Erweiterung des schon 2018 in Kraft getretenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das soziale Medien verpflichtet, Nutzerdaten an Behörden schon bei Verdachtsfällen, also noch vor der Feststellung einer Straftat, weiterzuleiten; dies ermöglicht es etwa dem BKA, eine Verdachtsdatenbank aufzubauen.[5] Das Gesetz, dessen Bußgeldobergrenzen jüngst erhöht wurden, verstoße gegen die „deutsche Verfassung und europäische Gesetze“, erklärte eine YouTube-Managerin anlässlich der Klageerhebung. YouTube ist Teil des Google-Konzerns.

Zerschlagungspläne

Dabei ist insbesondere Berlin darauf erpicht, die dominante Stellung der US-Konzerne zu brechen und deutschen Konkurrenten größere Marktanteile zu verschaffen. Zu Jahresbeginn lobten deutsche Leitmedien ein neues Gesetz, das die Internetkonzerne durch eine Ausweitung der Befugnisse des Bundeskartellamtes stärker kontrollieren soll.[6] Deutschland nehme eine „Vorreiterrolle“ ein, indem es proaktiv gegen die „großen Plattformen“ der US-Konzerne vorgehe, erklärten SPD-Politiker damals. Da die entsprechenden Vorhaben der EU noch „Jahre“ bräuchten, presche Berlin „mit dem neuen Gesetz schon mal vor“. Während die Planungen der EU-Kommission auf eine starke Einschränkung des Handlungsspielraums der großen Digitalunternehmen zielen, um „kleineren Wettbewerbern mehr Raum“ zu verschaffen [7], brachten SPD-Digitalpolitiker im Juni gar die Zerschlagung der US-Konzerne ins Gespräch, um die „Wettbewerbsbedingungen kleinerer europäischer Anbieter zu verbessern“ [8]. Die Diskussion um die Zurückdrängung der US-Konkurrenz auf dem europäischen IT-Markt gewinne durch die Bestrebungen der US-Regierung „an Fahrt“, die „Entflechtung von dominanten Unternehmen“ zu ermöglichen, heißt es.

Kampf um den Datenstrom

Die Gesetzesvorstöße in Brüssel und Berlin verfolgen – auch angesichts des Wankens der US-Hegemonie – äußerst ehrgeizige Ziele. Es gehe nicht an, dass der EU-Datenstrom auf Dauer über „über US-Konzerne wie Amazon, Google oder Facebook fließt“, erklärten bereits Ende 2020 die zuständigen EU-Kommissare Thierry Breton und Margrethe Vestager: „Europa“ müsse zum „weltweiten Datenkontinent Nummer eins“ aufsteigen.[9]

 

[1], [2] Google investiert in Rechenzentren. tagesschau.de 31.08.2021.

[3], [4] Neue Studie zur Lobbymacht von Big Tech: Wie Google & Co die EU beeinflussen. lobbycontrol.de 31.08.2021.

[5] Google klagt gegen deutsches Gesetz gegen Hassbotschaften. zeit.de 27.07.2021.

[6] Mehr Kontrolle von Internetkonzernen. tagesschau.de 14.01.2021.

[7] Was die neuen EU-Regeln für die Datenriesen bedeuten. handelsblatt.de 15.12.2021.

[8] Deutsche Digitalpolitiker befürworten Zerschlagung großer Techkonzerne als letztes Mittel. handelsblatt.de 14.06.2021.

[9] Frankreich schickt Amazon, Google und Facebook Bescheide über neue Digitalsteuer. manager-magazin.de 25.11.2021.

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