Christian Müller für die Online-Zeitung INFOsperber
Angenommen, Sie gehören zum gut verdienenden Mittelstand und Sie hatten vor einem Jahr, am 27. August 2020, 100’000 Schweizer Franken auf Ihrem Konto. Wenn Sie nichts damit gemacht haben, dann waren es auch am 27. August 2021, also am letzten Freitag, noch 100’000 Franken. Vielleicht sogar weniger, falls Ihr Geld auf einer Bank liegt, die bereits Negativ-Zinsen eingeführt hat.
Wenn Sie allerdings am 27. August 2020 Ihre 100’000 Franken in Aktien des Vermögensverwalters BlackRock angelegt haben, dann haben diese am letzten Freitag, also nach einem Jahr, einen Börsenwert von 160’500 Franken erreicht. Sie sind dann also in einem Jahr um 60’500 Franken oder um 60,5 Prozent reicher geworden. In einem Jahr! Herzliche Gratulation! Und das nicht etwa verdient durch harte Arbeit, sondern mit Geld. Einfach mit Geld. Und das in einem Jahr, in dem Tausende Corona-bedingt finanziell gelitten haben, all die kleinen Leute, die mit einem Coiffeur-Laden, mit einem kleinen Restaurant oder wie auch immer, mangels Kunden und bei meist gleichbleibend hohen Mietkosten für die Lokalität sogar massiv Geld verloren haben. Und vielleicht sogar aufgeben mussten.
Ist das gerecht? Aber bitte, diese Frage ist wirklich fehl am Platz. Wir leben schliesslich in einem kapitalistischen Land und wissen, dass es nicht um Gerechtigkeit auf der Welt geht, sondern um das Recht, reich zu werden – mit Geld notabene.
Der Service für Reiche
Warum aber ist der Wert der BlackRock-Aktie so gestiegen? Dazu hat Werner Rügemer ein hervorragendes und ausserordentlich informatives Buch geschrieben, das heute, am 30. August 2021, auf den Markt kommt – dank dem deutschen Verlag «nomen», einem der wenigen deutschsprachigen Verlage, die auch kritischen Stimmen das Wort geben. Man denke etwa an die deutschsprachigen Ausgaben der Werke von Noam Chomsky, dem mittlerweile bald 93-jährigen US-amerikanischen Intellektuellen, der wie kaum ein anderer die traurige Geschichte der Weltmacht USA aufmerksam verfolgt und diese als emeritierter Professor am MIT auch zu kommentieren wagt. Noam Chomskys Bücher in deutscher Sprache sind ebenfalls im Verlag «nomen» erschienen.
«Mit über 9 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen (Stand: 31. März 2021) ist BlackRock der weltgrößte Vermögensverwalter. BlackRocks Kunden sind Privatanleger und Institutionen wie Banken, Pensionskassen, Stiftungen, Versicherer, Staatsfonds und Zentralbanken.» So sagt es Wikipedia. Und dort werden auch die nächstgrössten Vermögensverwalter der Welt genannt, darunter etwa Vanguard, State Street oder auch Capital World. Es ist nun Werner Rügemers Verdienst, aufzuzeigen, wie diese paar reichsten Vermögensverwalter zusammenarbeiten, miteinander verflochten sind, gemeinsam in den weltgrössten Konzernen das Sagen haben und sogar die bedeutendsten Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s steuern können, jene Agenturen also, die für die Bonitäts-Einstufungen der Banken und globalen Konzerne ‹zuständig› sind.
Und Achtung: Mit 100’000 Franken Vermögen können Sie zwar ein paar BlackRock-Aktien kaufen, BlackRock selber ist an Ihren 100’000 Franken aber nicht interessiert. BlackRock betreut die Vermögen der Milliardäre und Multimilliardäre – und hilft genau dieser Gruppe von Leuten, dass ihr Vermögen, gekoppelt mit den Vermögen weiterer Milliardäre und Multimilliardäre, das wirtschaftliche Geschehen dieser Welt steuert – durch ihre über die Vermögensverwalter BlackRock & Co. vereinigte Potenz in den Generalversammlungen der grossen Konzerne. Eine geballte Macht!
Das Buch hat nur einen kleinen Nachteil …
Das Buch enthält selbst für Belesene unendlich viele Detailinformationen, die zeigen und en détail erklären, wie und von wem unsere westliche – kapitalistische – Welt regiert wird. Es hat nur einen kleinen Nachteil: Wenn man es zu lesen beginnt, kann man nicht mehr aufhören, auch wenn es morgens zwei Uhr wird, bis man die rund 160 Seiten verschlungen hat – und dann einen doppelten Schlummerbecher inhalieren muss, um trotzdem gut schlafen zu können. In welcher Welt leben wir eigentlich? Und warum eigentlich informieren die grossen Medien genau über diese gigantische Machtballung nicht? Aha, auch zum Beispiel bei der «New York Times» haben BlackRock & Co. ihre Finger drin …
Haben Sie zum Beispiel gewusst, dass der grösste Vermögensverwalter der Welt, BlackRock, in dessen Management notabene auch der ehemalige Schweizer Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand sitzt, sein Headquarter zwar in New York hat, seinen rechtlichen Sitz aber im US-Bundesstaat Delaware, einer der schlimmsten Steueroasen der Welt? In Delaware, wo das Fehlen von Regulierungen und mangelnde Transparenz gewollt zum Firmensitz von weit über 100’000 cleveren Firmen geführt hat, mit Hunderten von Briefkastenfirmen im gleichen Gebäude? Und dass damit BlackRock zu jenen Firmen gehört, die sich ganz formell darum drücken, ihre unermesslichen Gewinne wie andere, anständige Firmen in einem Land mit einem menschlicheren Steuersystem zu versteuern?
Oder haben Sie gewusst, dass BlackRock, der Welt grösster Vermögensverwalter, um den Bankenregulierungen nicht unterstellt zu sein, hochoffiziell als «Schattenbank» anerkannt ist?
Das Buch von Werner Rügemer – sein Titel, etwas provokativ: «BlackRock & Co. enteignen!» – ist seit Rana Faroohars «Makers and Takers: So haben die Banken die Macht übernommen» vielleicht das Buch, das jenen, die zu verstehen versuchen, wie die Finanzwelt mit ihrer unbeschreiblichen Macht hinter den Kulissen funktioniert, am meisten an direkter Information bringt. Und deshalb von allen gelesen werden sollte, die mit politischer Verantwortung ausgerüstet sind – auf welcher Stufe auch immer.