Nach dem verheerenden Erdbeben der Stärke 7,2 in Haiti, bei dem fast 2.100 Menschen ums Leben kamen und Tausende verletzt wurden, sieht sich das schwer gebeutelte Land nun auch mit der Bedrohung und den Folgen des Tropensturms Grace konfrontiert. Im Amazonasgebiet wurden in diesem Jahr bereits über 250 größere Brände entdeckt, die eine Fläche von der Größe von Los Angeles, Kalifornien, zerstörten. In ganz Asien, von Afghanistan bis Myanmar, geht der launische Monsun mit Problemen in der Region einher, was die Gefahr für die Bevölkerung noch erhöht. Ganz gleich, ob es sich um Naturkatastrophen oder um Krieg und vom Menschen verursachte Gefahren handelt, das kulturelle und ökologische Erbe auf der ganzen Welt wird hart getroffen. Insgesamt haben diese kollektiven Krisen eines deutlich gemacht: dass wir unsere Anstrengungen im Umgang mit Katastrophen verstärken müssen.

Wie Katastrophen unser Kulturerbe beeinträchtigen

In den vergangenen Jahrhunderten bestand die größte Gefahr für Kulturerbstätten wie die Louvres, die Iguaçu-Wasserfälle, Angkor oder den Virunga-Nationalpark in Kriegen, Diebstahl, Zeit und Verfall, doch in den letzten Jahren haben wir einen dramatischen Wandel erlebt. Das Ausmaß der von Menschen verursachten Probleme hat sich verschärft, und der Klimawandel wirkt sich radikal auf Ökosysteme und Naturphänomene aus. Es gibt reale und weit verbreitete Bedrohungen für unser natürliches und kulturelles Erbe, aber sind die bestehenden rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen wirksam genug, um es zu schützen?

Das Konzept der Katastrophenvorsorge wurde entwickelt, um den Umgang mit Naturkatastrophen und vom Menschen verursachten Katastrophen vorzubereiten und zu erlernen. Dieser Ansatz zielt darauf ab, „die Anfälligkeiten und Katastrophenrisiken in einer Gesellschaft zu minimieren, um die negativen Auswirkungen von Gefahren zu vermeiden oder zu begrenzen, und zwar im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung“. In einer Welt, in der Katastrophen und Krisen hauptsächlich als Bedrohung für die Entwicklung in ihren humanitären und wirtschaftlichen Folgen verstanden werden, ist es wichtig zu betonen, wie sie durch ihre Auswirkungen auf das Kultur- und Naturerbe auch lokale und globale Realitäten beeinflussen.

„Es muss einen klaren und effizienten internationalen Rahmen geben, um das Kultur- und Naturerbe in bestimmten Situationen zu schützen, wenn eine bewusste Politik der Zerstörung betrieben wird, wie wir es in Brasilien unter der derzeitigen Regierung erlebt haben. Über den Schutz der Umwelt und den Fokus auf den Klimawandel hinaus müssen wir uns fragen, was es bedeutet, internationale Regeln zum Schutz der natürlichen Güter der Menschheit zu haben“, erklärt Iara Pietricovsky, Vorsitzende von Forus und der zivilgesellschaftlichen Plattform Abong (Brasilien).

In den vergangenen Wochen sind mehr als 75% der Brände im Amazonasgebiet in Brasilien ausgebrochen, und zwar in Gebieten, in denen Bäume abgeholzt wurden, um Platz für die Landwirtschaft zu machen, obwohl die brasilianische Regierung am 27. Juni ein Verbot für unbefugte Feuer im Freien erlassen hatte, so eine aktuelle Studie.

„Angesichts der schweren Folgen von Abholzung und Bergbau, die zu massiven Waldbränden führen, befindet sich der Amazonaswald in einem Zustand, in der es kein Zurück mehr gibt. Diese Krise betrifft nicht nur ganze Ökosysteme und natürliche Ressourcen, sondern führt auch zum Völkermord an den indigenen Völkern, die sowohl ihre Kultur als auch ihre Heimat verlieren“.

Zunehmende Bedrohungen

Das kulturelle und natürliche Erbe ist ein Teil unserer Identität. Sie sind das Erbe, das unsere Vorfahren uns hinterlassen haben und das wir an künftige Generationen weitergeben werden. Kulturerbe wie Denkmäler, Traditionen, Sprache und Kunst hilft Gemeinschaften, sich zu definieren, ihr Wesen zu finden oder ihren Glauben zu praktizieren. Sie vermitteln auch ein Gefühl der Zugehörigkeit und des kollektiven und persönlichen Stolzes.

Das kulturelle und natürliche Erbe ist nicht nur ein Schlüsselelement der menschlichen Identifikation und Entwicklung, sondern auch ein wesentlicher wirtschaftlicher Aspekt in Ländern und Gemeinschaften, die auf den Tourismus und damit auf die Erhaltung des Erbes als Haupteinnahmequelle angewiesen sind. Leider ist das Kulturerbe, so wichtig es auch ist, ständig bedroht.

Der Verlust des kulturellen Erbes wurde als „Waffe gegen die lokale Bevölkerung“ eingesetzt, wie die Zerstörung der Buddhas von Bamiyan im Jahr 2001 durch die Taliban und die Vernichtung mehrerer Stätten im Irak und in Syrien durch ISIS im Jahr 2015 zeigen.

Das kulturelle und natürliche Erbe ist auch bei Naturkatastrophen gefährdet, wie das jüngste Erdbeben in Haiti gezeigt hat. In ähnlicher Weise erschütterte 2015 ein Erdbeben der Stärke 7,8 Nepal und zerstörte wichtige kulturelle Gebäude im Kathmandutal, darunter unschätzbare Museen und den berühmten Dharahara-Turm. Dies sind nur einige wenige Beispiele von zahllosen anderen, die zeigen, dass die Bedrohungen durch den Anstieg der Ozeane, Stürme, Wirbelstürme, Abholzung, Erdbeben, Vulkanausbrüche und bewaffnete Konflikte weiter zunehmen.

Die Zivilgesellschaft und der Schutz von Kulturerbe

Wenn eine Katastrophe eintritt, stehen die Organisationen der Zivilgesellschaft oft an vorderster Front der Hilfs- und Notfallmaßnahmen. Da die Zivilgesellschaft näher an den Gemeinschaften dran ist und sich auf lokales Wissen stützt, hat sie Zugang zu Gebieten, die für internationale Organisationen als „unsicher“ gelten, und ist oft einer der Hauptakteur:innen bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe, wie kürzlich beim Ausbruch des Nyiragongo in der Demokratischen Republik Kongo zu sehen war, bei dem mehr als 20.000 Menschen vertrieben wurden.

In Honduras ist ein ähnliches Muster zu beobachten, bei dem zivilgesellschaftliche Organisationen lokale Planungsinitiativen für den Umgang mit Katastrophen gestalten. Aufgrund seiner geografischen Lage und der Auswirkungen des Klimawandels ist das Land in zunehmendem Maße von Naturkatastrophen betroffen. Im Jahr 2020 wurde es von zwei aufeinanderfolgenden Wirbelstürmen heimgesucht. In diesem schwierigen Kontext fungieren zivilgesellschaftliche Organisationen als Brücke zwischen den Bemühungen der Regierung und der Deckung des Grundbedarfs auf nationaler Ebene.

„Honduras befindet sich in einer sehr kritischen Situation. Unsere Aufgabe ist es, die Gemeinden zu organisieren und sie bei der Anpassung an den Klimawandel zu begleiten. Der Klimawandel ist unumkehrbar, wir haben keine andere Wahl, als uns anzupassen, also organisieren wir, unterstützen wir Basis- und lokale Organisationen, die an vorderster Front arbeiten“, erklärt José Ramon Avila, Direktor von ASONOG, der nationalen Plattform der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Honduras.

Forus international, ein globales Netzwerk von Organisationen der Zivilgesellschaft, hat ein Toolkit und eine Microsite zur Katastrophenvorsorge entwickelt, um das Verständnis und die Umsetzung des Aktionsrahmens zu verbessern. Das Toolkit wurde mit Unterstützung der Fondation de France in Zusammenarbeit mit dem Global Network of Civil Society Organizations for Disaster Reduction (GNDR) und Save the Children Switzerland erstellt und zeigt Wege zur Stärkung der Kapazitäten nationaler NGO-Plattformen in Krisen- und Notsituationen auf. Anhand von Fallstudien und Erfahrungsberichten aus mehr als 10 Ländern bringt es die Stimmen der Zivilgesellschaft zusammen, die sich mit Konflikten, Friedensprozessen, Naturkatastrophen und „alltäglichen Katastrophen“ befassen.

Die Verringerung des Katastrophenrisikos muss zu einer politischen und sozialen Priorität der Regierungen werden

Die Verringerung des Katastrophenrisikos wurde ursprünglich nicht als Mittel zum Schutz des Kultur- und Naturerbes konzipiert und verstanden. Die UNESCO wurde mit dieser Aufgabe betraut und hat seit ihrer Gründung im Jahr 1945 internationale Konventionen zu genau diesem Zweck ausgearbeitet. Leider hat die Mehrheit der Regierungen die UNESCO-Konventionen noch nicht wirksam umgesetzt, um ihr Natur- und Kulturerbe zu erhalten und zu schützen.

Die unabhängige Expertin auf dem Gebiet der kulturellen Rechte, Farida Shaheed, drückt es folgendermaßen aus „Kulturelle Rechte sind im Vergleich zu anderen Menschenrechten oft als unterentwickelt bezeichnet worden. Unzureichende Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass sie manchmal als Rechte von geringerer Priorität angesehen werden“.

Die Verringerung des Katastrophenrisikos trägt zum Schutz der Identität, des Wesens und der Geschichte ganzer Gemeinschaften bei, die in ihrem eigenen kulturellen und natürlichen Erbe Trost und religiöse, soziale oder historische Bedeutung finden. Mit der Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft, dem Fachwissen über das kulturelle Erbe und der lokalen Katastrophenvorsorge können wir Krisen und Gefahren vorbeugen und sie vorhersehen. Die Verringerung des Katastrophenrisikos muss zu einer politischen und gesellschaftlichen Priorität der Regierungen werden. Im Namen der Sicherheit der Menschen und des Planeten müssen wir einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, um widerstandsfähige Gemeinschaften aufzubauen und sie dabei zu unterstützen, die Kraft ihres Erbes zu nutzen.

Weitere Informationen finden Sie auf der DRR-Microsite und im Toolkit mit Fallstudien aus der ganzen Welt. Verfügbar in Englisch, Französisch und Spanisch.

Text von Sol Castagnino, Forus. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Forus, früher bekannt als Internationales Forum der nationalen Nichtregierungsorganisationen (IFP/FIP), ist ein dynamisches globales Netzwerk nationaler Nichtregierungsorganisationen und regionaler Koalitionen, die gemeinsam einen wichtigen Beitrag zu Entwicklung, Frieden, Demokratie, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit leisten. Durch aktive Beteiligung nehmen wir Einfluss auf lokale und globale Verhandlungen und tragen zum Aufbau einer stärker vereinten internationalen Gemeinschaft bei. Unser Ziel ist die Förderung einer fairen und nachhaltigen Welt, in der die schwächsten Bevölkerungsgruppen eine Stimme haben, die Menschenrechte geachtet und Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten bekämpft werden.