Stefan Baron (Ex-Chefredakteur der WirtschaftsWoche) analysiert den Hegemonialkampf der USA gegen China.

„Ami go home“? Das ist nicht der Titel, den man auf einem Buch eines Autors wie Stefan Baron erwartet hätte. Baron, studierter Ökonom, im Laufe seiner beruflichen Karriere unter anderem als Finanzkorrespondent des „Spiegel“, Chefredakteur der „WirtschaftsWoche“ und zuletzt noch als globaler Kommunikationschef der Deutschen Bank tätig, will seine Schrift denn auch auf gar keinen Fall als „antiamerikanisch“ verstanden wissen. Der Publizist, der über Jahre dem Board of Trustees des American Institute for Contemporary German Studies angehörte und bis heute über gute Beziehungen in die Vereinigten Staaten verfügt, befasst sich in seinem Werk mit den großen, historischen Verschiebungen in den globalen Kräfteverhältnissen, die die Gegenwart prägen, mit dem Aufstieg Chinas und dem Bemühen der USA, die Volksrepublik niederzuhalten, um ihre globale Dominanz zu wahren. Konsequenz ist eine gefährliche Zuspitzung des Konflikts, dessen Übergang in einen Dritten Weltkrieg, wie Baron konstatiert, dringendst verhindert werden muss. Das Anliegen treibt ihn zu scharfer Kritik am gegenwärtigen Zustand der Vereinigten Staaten und zu Vorschlägen, wie die Eskalation des transpazifischen Machtkampfs zu verhindern sei.

Baron schildert in einer nüchternen Bestandsaufnahme die scheinbar unaufhaltsame „Verschiebung des Kraftzentrums der Welt nach Asien“ und den dabei treibenden Faktor, den Aufstieg Chinas. Er ist, wie der Autor festhält, ein Wiederaufstieg: Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts erarbeitete das Reich der Mitte, in dem damals etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebte, rund ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung; es war damit die größte Wirtschaftsmacht der Welt, dies übrigens seit vielen Jahrhunderten. Der Wiederaufstieg nach den Verheerungen insbesondere durch die westlichen Kolonialmächte gelang nicht zuletzt, wie Baron urteilt, da „das polit-ökonomische System“ der Volksrepublik genau das ist, was im Westen, wo agitatorische Berichterstattung meist nur alte, ressentimentgeladene Klischees über China bestätigt, fast niemand erwartet: Es ist „höchst flexibel, experimentierfreudig und lernfähig“; Politik wird, so zitiert Baron die Chinaexperten Sebastian Heilmann und Elizabeth Perry, ausdrücklich als „Prozess der ständigen Veränderung und Konfliktbewältigung, des Ausbrobierens und der Ad-hoc-Anpassung“ begriffen. Von einem starren, unbeweglichen Autoritarismus ist das chinesische System weit entfernt.

Tiefe Enttäuschung spürt man hingegen in der Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der Vereinigten Staaten. „Das Land der Freiheit, Chancengleichheit und Demokratie ist zu einer Oligarchie verkommen“, ja „zu einer Plutokratie“, urteilt Baron; „der Rechtsstaat weist tiefe Risse auf, wirtschaftliche Produktivität und Zukunftschancen schwinden, die Mittelschicht schmilzt dahin, soziale Ungleichheit und Rassismus wuchern“. Baron beschreibt die Außenpolitik, die sich die USA – im Innern zunehmend zerfressen – seit dem Ende des Kalten Kriegs leisten: ein äußerst aggressives Vorgehen gegen Russland; mörderische Kriege – etwa im Irak -, zudem stets neue „Regimewechsel-Operationen“ und rücksichtslose extraterritoriale Sanktionen. „Der militärisch-industrielle Komplex und die Geheimdienste haben … unziemlich viel Macht an sich gerissen“, konstatiert der Publizist, der warnt, lediglich äußere Aggressionen könnten das zutiefst gespaltene Land noch zusammenhalten: „Die Überzeugung, dass Amerika in der Welt an erster Stelle stehen muss“, sei zur Zeit „nahezu das Einzige, worin sich die ansonsten tief miteinander verfeindeten Demokraten und Republikaner noch einig sind“. Baron spricht von „imperialer Arroganz“.

Und er gibt sich keinerlei Illusionen über die Gefährlichkeit der Lage hin. Die Vereinigten Staaten setzten, „um ihre Hegemonialposition zu verteidigen, … nicht in erster Linie darauf, ihre verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen“, urteilt Baron; stattdessen seien sie bestrebt, „mit allen Mitteln und an allen Fronten Chinas Fortschritt [zu] verhindern oder zumindest [zu] bremsen“. Mittel seien zur Zeit etwa ein „Handels-“ und ein „Technologiekrieg“; dies aber werde, sagt der Publizist voraus, „Pekings technologischen Aufholprozess“ zwar „deutlich bremsen, aber nicht stoppen“. Letzten Endes sei „das Risiko eines Dritten Weltkriegs“ groß. Baron ruft in Erinnerung, dass US-Vizepräsident Mike Pence schon 2019 in einer Rede vor Absolventen der Militärakademie West Point diesen ganz offen „in Aussicht“ gestellt habe, „eines Tages ‚auf einem Schlachtfeld zu stehen‘, also in den Krieg ziehen zu müssen“. Dabei seien die USA nicht nur das einzige Land der Welt, das „bereits (und noch dazu ohne Not) Atomwaffen eingesetzt“, sondern auch dasjenige, das „(im Unterschied zu China) auch nie deren Ersteinsatz abgeschworen“ habe.

Was tun? Baron setzt explizit auf die „Emanzipation Europas“ von den Vereinigten Staaten. Die Interessen der europäischen Mächte, urteilt er, „decken sich weder mit denen der USA noch mit denen Chinas“; deshalb müssten sie sich nicht „zwischen diesen beiden Mächten entscheiden“, sondern „einen dritten, unseren eigenen Weg wählen“: „Multipolare Weltordnung und friedliche Koexistenz der Systeme“ sollten „Grundlage europäischer Außenpolitik“ werden. Das aber lasse sich auch erreichen, da die EU „selbst ohne hegemonialen Ehrgeiz“ sei. Letzteres mag man mit gutem Grund ebenso bezweifeln wie das Urteil, die EU sei von den USA in den Konflikt mit Russland getrieben worden: Gerade die Machtexpansion der EU, gründend auf altem deutschem Einflussstreben im Osten, hat den Konflikt mit Moskau 2014 fatal eskalieren lassen. Aber auch wenn Barons Therapievorschlag nicht wirklich überzeugt: Seine Diagnose tut es in vielerlei Hinsicht durchaus.

 

 

Stefan Baron: Ami go home! Eine Neuvermessung der Welt. Berlin 2021. Econ Verlag.

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