Die honduranische Regierung möchte mit Sonderwirtschaftszonen Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung fördern. Das behauptet sie zumindest. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht das anders. Es droht die Schaffung autonomer, von Investoren regierter Enklaven, den Menschen in den betreffenden Gebieten die Enteignung. Und gerade während der Corona-Pandemie wurden die Planungen für die sogenannten ZEDE vielerorts konkreter.
Eine dieser „Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung“ – kurz ZEDE – wurde auf der Insel Roatán ausgewiesen. Die Insel nördlich der Küste ist in normalen Zeiten – ohne Einschränkungen durch die Pandemie – ein beliebtes touristisches Ziel mit Bilderbuchstränden. Die Menschen sind an Tourismusprojekte, auch von ausländischen Investor*innen, gewöhnt. Doch die ZEDE „Próspera“ ist weit mehr als ein gewöhnliches Tourismusressort. Die Inselbewohner*innen erfuhren erstmals aus der Zeitung von dem Projekt. „Wir dachten, das sei irgendein weiteres Investorenprojekt, aber niemals so etwas wie eine Zone für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung“, erinnert sich Rosa Hendrix, Vorsitzende der Vereinigung der Gemeinderäte von Roatán. Allerdings war bis dahin auch kaum bekannt, was eine ZEDE überhaupt ist. Bei genaueren Recherchen stellten sie jedoch fest, dass das Gesetz über die ZEDE gegen die Menschenrechte und die nationale Souveränität verstößt, so Hendrix weiter.
Bekanntwerden immer neuer ZEDE-Projekte
In der Phase der Umsetzung befinden sich derzeit ZEDE Prospera, ZEDE Morazán, ZEDE Mariposa und ZEDE Orquidea. Die Zonen der Beschäftigung und wirtschaftlichen Entwicklung machen einer Vielzahl honduranischer Gemeinden und Regionen Angst. Das Gesetz zur Einrichtung dieser Sonderzonen war bereits 2013 verabschiedet worden, nur wurden lange Zeit keine Regionen konkret als ZEDE ausgewiesen. Doch seit 2020 werden mehr und mehr Projekte bekannt, die im Rahmen der Regularien für die ZEDE umgesetzt werden sollen. „Der Unterschied zu anderen Arten von Sonderwirtschaftszonen ist, dass sie über eine weitreichende Autonomie verfügen, die über eine finanzielle oder steuerliche Unabhängigkeit hinausgeht“, erklärt die Rechtswissenschaftlerin Andrea Nuila. ZEDE verfügten über richterliche Autonomie, legislative und administrative Autonomie und hätten die Macht, Regeln für die öffentliche Politik in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu erlassen.
Entrechtung bis hin zur Enteignung
Die ZEDE Próspera wird angrenzend an die Gemeinde Crawfish Rock auf Roatán gebaut. Der kleine Ort wird seit Generationen von indigenen Insulaner*innen bewohnt. Aufgrund der Pandemie ist die wirtschaftliche Situation schlecht, es fehlt an Beschäftigung. Also fiel es im Mai 2020 auf, dass Arbeitskräfte von außerhalb nach Crawfish Rock gebracht wurden. Zuerst beschwerten sich die Einwohner*innen von Crawfish Rock, dass niemand aus der Gemeinde Arbeit erhielt, erzählt Rosa Hendrix, aber das war nur der Beginn der Proteste, der sich bald gegen das Projekt insgesamt richtete. Es folgten Autokorsos über die Insel und eine Mobilisierung der Medien. Die Bevölkerung auf Roatán war zur Einrichtung der ZEDE nicht konsultiert wurde, was gegen die Menschenrechte der indigenen Einwohner*innen von Crawfish Rock verstößt. Laut ILO-Konvention 169 hätten sie bei einem ihr Territorium betreffenden Projekt das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung. Zudem fürchten sie, früher oder später das Land zu verlieren, auf dem sie leben. Próspera verfügt derzeit über 23 Hektar Land, soll aber in einer zweiten Phase auf über 300 Hektar wachsen. Das zumindest zeigen Pläne, die der Gemeinderat von Crawfish Rock einsehen konnte. Dessen Vizevorsitzende Vanessa Cardenas fragt sich, wo diese Fläche herkommen soll. „Hier gibt es kein Land, das wir als Gemeinde verkaufen könnten“, sagt Cardenas. Die Grundstücke gehörten den Familien, die darauf leben. Der Geschäftsführer von Próspera, Erick Brimen, habe beteuert, die Einwohner*innen von Crawfish Rock nicht enteignen zu wollen, doch für den Gemeinderat ist das keine ausreichende Garantie. Denn Enteignungen bleiben nach dem ZEDE-Gesetz rechtlich möglich. Mit dem Sondergesetz über die Zonen für Beschäftigung und Wirtschaftsentwicklung, das mit der Verfassungsreform von 2013 erlassen wurde, entstanden auch die Grundlagen für das „Komitee für die Anwendung der besten Praxis“. Dieses wird vom Staat einberufen und untersteht direkt dem Präsidenten. „Und dieses Komitee hat nach dem Gesetz die Befugnis, Grundstücke zu enteignen, um ein ZEDE-Projekt zu erweitern“, sagt Andrea Nuila.
Gemeinden erklären sich „frei von ZEDE“
Über die Zusammensetzung des Komitees weiß die Öffentlichkeit kaum etwas. Genauso werden die ZEDE weitgehend im Geheimen ausgewiesen. „Bislang krankt die ganze Situation, und das ist das Perverseste an den ZEDE, am Ausmaß von Fehlinformation; es ist eine Dimension der Verheimlichung, die für einen Rechtsstaat nicht gesund ist“, sagt Martín Fernández, Rechtsanwalt und Koordinator der Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigkeit. Die Bewegung organisiert im Department Atlántida Bürgerversammlungen gegen die ZEDE, so auch am 17. Juli in der Gemeinde Arizona. In Arizona erklärten sich die Einwohner*innen mehrheitlich als „frei von den ZEDE“. Laut Anwalt Fernández ist das Ergebnis solcher Volksabstimmungen rechtsverbindlich, und inzwischen hat sich fast ganz Atlántida als ZEDE-frei erklärt. Die ZEDE stünden laut Fernández den Rechten der Gemeinden entgegen. „Die Territorien der Gemeinden dürfen nicht beschnitten werden, aber genau dieser Aspekt ist bei den Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung enthalten. Das erzeugt eine juristische Kontroverse, und es ist bereits bekannt, dass sie einen eigenen Staat in diesen Gebieten errichten wollen, was absolut illegal ist“, meint Fernández.
Der Protest gegen die ZEDE nimmt landesweit an Fahrt auf; immer mehr Städte und Gemeinden berufen Bürgerversammlungen ein und erklären sich frei von ZEDE, in allen Landesteilen finden Demonstrationen gegen die Sonderzonen statt. Am 19. Juli wurden dem Parlament über 15.000 Unterschriften gegen die Sonderzonen überreicht. Und am 21. Juli legte die Nationale Universität von Honduras Verfassungsbeschwerde gegen das ZEDE-Gesetz ein. Es bleibt abzuwarten, ob der Protest gehört wird.
Einen onda-Beitrag zu den ZEDE findest du hier.