Kapitel 1 von „Homeostasis Live“, ein audiovisuelles Projekt mit Interviews und transzendentalen Gesprächen des Journalisten Felipe Monsalve, produziert von Tawantin Agencia. In diesem ersten Kapitel sprachen wir mit Pía Figueroa, einer bekannten Siloistin, Journalistin und Schriftstellerin.
In Zeiten der Krise sind tiefgehende Gespräche notwendiger denn je. Das ist der Geist von „Homeostasis Live“, einem audiovisuellen Projekt von Felipe Monsalve. Der Autor des Buches „Homeostasis“ wird mit sechs Frauen und zwei Männern über Umwelt, Bildung, Wirtschaft, Ernährung, Biodynamik, Paradigmenwechsel und andere Themen sprechen.
Auf diese Weise gedenkt er der 10 Jahre seit Beginn der Interviews für sein Buch, zusammen mit jüngeren Menschen, die ihre tiefgründige Sicht der Welt durch transzendentale Fragen vermitteln.
Nachfolgend die Übersetzung des Transkripts des vollständiges Interviews.
Einleitung
Vor 10 Jahren hatte ich nach einer Reise durch das Amazonasgebiet die Möglichkeit, mich mit einer Gruppe von Männern und Frauen auszutauschen, die sehr inspirierend und herzlich waren. Diese Gespräche spiegeln sich in dem Buch „Homeostasis“ wider, das Anfang 2013 veröffentlicht wurde.
Heutzutage sind Schmerz, Einsamkeit und Trennung in unserem täglichen Leben sehr präsent, und vielleicht sind wir in dem Versuch, Angst zu vermeiden, einem alten Denkmodell gefolgt, das auf Individualität, Dualität, Starrheit, Unwissenheit und Materialismus beruht.
Wer sind wir? Weshalb sind wir hier? Wohin gehen wir? Was sind die wahren Ursprünge der Menschheit? Dies sind einige der häufigsten Fragen, die viele Männer und Frauen im Laufe der Jahre zu beantworten versucht haben.
10 Jahre nach dem Beginn der „Homeostasis“ -Gespräche wollte ich den Prozess würdigen und derer gedenken, die an dieser wunderbaren Geschichte teilgenommen haben, indem ich erneut eine Verbindung mit einer Gruppe von Frauen und Männern herstellte, dieses Mal jedoch mit jüngeren Menschen, um das Beste aus ihrer grenzenlosen Energie und Vitalität zu machen.
Unter dem Schutz und der Inspiration höherer spiritueller Kräfte versammelten wir uns in den innersten Gärten des Benediktinerklosters in Santiago de Chile.
Ich bin Felipe Monsalve und ich begrüße euch zu „Homeostasis Live“.
Interview
Felipe Monsalve: „Ich glaube, dass unsere gegenwärtige Situation durch mentale Erschütterungen im Inneren der menschlichen Psyche verursacht wird. Ich habe die Vermutung, dass dies Teil des unabdingbaren Bewusstseinswandels ist, der sich vollzieht, damit wir und der Planet Erde herausfinden können, wer wir wirklich sind, wo wir sind und wohin wir gehen. Ich bin der Meinung, dass wir in ein großartiges neues Zeitalter eintreten, eine Veränderung der mentalen Technologie. Dies zu sein entspricht dem Ziel eines/r Künstler:in, der/die transzendiert und darüber hinausgeht.“ – Hugo Marín, Homeostasis, 2013.
Erfahrungen des Wandels
Pía Figueroa: Das Innere des Menschen und das Äußere sind die gleiche Welt, es ist eine Bewusstseinsweltstruktur. Und diese enorme Destabilisierung, die die Pandemie in uns ausgelöst hat, einen Virus, den wir nicht sehen, nicht riechen, nicht unterscheiden, nicht einmal vorstellen können, und der zum ersten Mal die gesamte menschliche Spezies in Schach hält.
Alle anderen Pandemien, die wir erlebt haben, wurden lokalisiert und kontrolliert. Nun, angesichts unserer globalen Verbindungen und Technologien lässt sich alles leicht ausbreiten, und es betrifft jeden Menschen ohne Unterschied. Wir fühlen und denken alle gleich, obwohl wir alle so unterschiedlich sind, und deshalb sind wir gezwungen, uns gleichermaßen einschränken zu lassen.
Diese Erfahrung, denn ja, es ist eine Erfahrung, stellt sich ein und taucht auf, sehr zu unserer Bestürzung, und plötzlich sitzen wir alle im selben Boot.
Unsere Spezies war noch nie mit einer Situation solchen Ausmaßes konfrontiert, und ich kann euch versichern, dass die Fragen, die ich mir gestellt habe, dieselben sind, die auch du oder du dir gestellt hast, denn wir alle haben uns gefragt, wer wir sind, und zwar nicht nur als Individuen, sondern auch als eine Gruppe. Wohin gehen wir, persönlich und kollektiv, als Spezies? Was tun wir in dieser Welt, die wir bis an die Grenzen zerstört haben? Wie können wir das wieder in Ordnung bringen? Können wir Arten, die bereits ausgestorben sind, zurückholen oder nicht? Ist dies unveränderbar? Gibt es irgendetwas, das wir an unserem Lebensstil ändern können, was sich sofort positiv auf die Umwelt und das Leben der anderen Arten auswirken kann?
Das sind grundlegende Fragen, die sich meiner Meinung nach jeder Mensch, auch Kinder, schon einmal gestellt hat. Glaubt mir, Kinder haben sich diese Fragen ganz sicher gestellt! Dann sucht der Geist innerlich nach einer Antwort, und zwar nicht nur nach einer persönlichen, sondern nach einer globalen Antwort, denn es reicht nicht aus, dass ich mich nicht anstecke… wenn du dich ansteckst, werden wir alle angesteckt, und wir sind alle gefährdet.
Dasselbe geschieht mit dem Reichtum, er kann nicht weiter angehäuft werden, und man kann nicht Millionen von Menschen die Möglichkeit des Überlebens vorenthalten, nicht wahr?
Dasselbe geschieht mit Wissen und Bildung… seht, wie diese Pandemie uns auf die Probe gestellt hat, was das Thema Bildung angeht. Ich meine, die Rolle der Lehrer:innen und Professor:innen wird hoch geschätzt, da sie diejenigen sind, die die Kinder erziehen, wenn die Eltern es nicht tun. Nun, das kann man auf jede einfache Handlung anwenden… zum Beispiel die Rolle eines/r Krankenpfleger:in, eines/r Arztes/Ärztin… ich weiß nicht, ob ihr geimpft wurdet, ich wurde geimpft… und sie haben mich wunderbar behandelt… ich weiß nicht, wem ich dafür danken soll, aber ich muss wirklich meine Dankbarkeit ausdrücken, denn nicht einmal meine Familie hat mich so gut behandelt… der öffentliche Gesundheitsdienst Chiles ist hervorragend, das ist er wirklich.
Nun, wir haben während des Lockdowns viele Dinge zu schätzen gelernt, und das hat uns Fragen aufgeworfen wie: Was passiert nach dem Tod? Wie soll ich über Krankheit und Tod denken? Was passiert mit Themen wie Sterbehilfe? Um ein Thema im Besonderen zu betrachten: Wie weit geht die Menschenwürde? Wie übe ich sie aus? Wie gehen wir gesellschaftlich damit um? Was ist das für ein Wort (Würde), das aufgetaucht ist und sich etabliert hat? Verstehen wir es? Wissen wir, wovon wir sprechen?
Nun, es gibt viele Fragen, aber dank der Destabilisierung, auf die sich dieser Text bezieht, glaube ich, dass sich viele Möglichkeiten ergeben haben, die Veränderungen begünstigen. Sonst wäre das nicht passiert.
Um also auf Silo zurückzukommen… Silo sagte einen brillanten Satz, der mich im Alter von 15 Jahren faszinierte, er sagte: „Meine Lehren sind nicht für die Gewinner, sondern für diejenigen, die das Scheitern in ihrem Herzen tragen“. Wenn man also spürt, dass alles, wovon man träumt, nicht eintreten wird, dann wird auch alles, was man sich egoistisch wünscht, nicht eintreten. Alles prallt auf Möglichkeiten, die ich nicht gewählt habe… Ich kann ein existenzielles Scheitern annehmen und mir andere Fragen stellen, tiefere Fragen, und das ist der Moment, in dem das Bewusstsein aufsteigt und es ein Erwachen gibt, und sogar die bloße Möglichkeit der Transzendenz erscheint.
Krise
Pía Figueroa: Zunächst einmal muss man sagen, dass die Art und Weise, wie die Länder regiert werden, wirklich enttäuschend ist… Nun, fast alle Länder, natürlich gibt es immer Ausnahmen. Die Art und Weise, wie regiert wird, nähert sich der demokratischen Grenze, indem Beschlüsse ohne die Zustimmung der Parlamente und ohne jegliche Diskussion verabschiedet werden… ohne ein Bewusstsein für das zu schaffen, was wir sagen. Der größte Teil der Welt wurde auf der Grundlage von Zwängen und Autorität regiert, die in einer echten Demokratie unvorstellbar sind…
Felipe Monsalve: Aus allen Bereichen, aus allen Ideologien…
Pía Figueroa: Gewiss, mit Ausnahme einiger weniger Nationen… die merkwürdigerweise von Frauen regiert werden und die anderen politischen Ideen gefolgt sind, und die wohlwollend waren und als Staaten Schutz geboten haben. Nun, es gibt nur sehr wenige Ausnahmen, etwa 5 oder 6, ich weiß es nicht.
Felipe Monsalve: Neuseeland…
Pía Figueroa: Genau, zum Beispiel aber auch Merkel selbst, schaut euch die ganze Arbeit an, die sie geleistet hat, auch wenn sie mir nicht gefällt, aber sie hat tatsächlich eine richtige politische Arbeit geleistet, die auf Empathie basiert, die andere Regierungen nicht entwickeln konnten.
In diesem Sinne glaube ich wirklich, dass Wissenschaft und Technologie eine meisterhafte Arbeit geleistet haben… denn wenn man darüber nachdenkt, wurde in nur einem Jahr die Genomsequenz des Virus entdeckt, sein Übertragungsprozess identifiziert, eine Erklärung geliefert, wie wir uns selbst schützen können, ein Impfstoff entwickelt, nun ja… eigentlich mehrere Impfstoffe, und viele Menschen sind bereits geimpft worden. Die Wissenschaft war noch nie so produktiv, das letzte Mal hat sie zehn Jahre gebraucht, um einen Impfstoff zu entwickeln.
Allerdings sind wir mit der Politik wirklich unzufrieden, denn es gibt keinen einzigen Staat, dem man dazu gratulieren kann, dass er „mit Würde regiert“ hat. Ich glaube, das ist auch der Auslöser für diese Krise… wir befinden uns in einer Krise der Modelle: sozial, politisch, wirtschaftlich und kulturell, und wir brauchen neue Antworten. Wenn wir uns in einer Krise dieses Ausmaßes befinden, kann es nicht weitergehen, also müssen wir das Beste aus uns herausholen, was der Raum der Freiheit hergibt… das Beste, um neue Lösungen zu finden.
Zum Beispiel wurde der wirtschaftliche Bereich schon vor der Pandemie in Kreisen diskutiert. Ich habe sogar selbst ein Seminar über das bedingungslose Grundeinkommen in Chile organisiert, und es kamen nur fünf Leute, niemand war interessiert, nur zwei oder drei Leute, ein paar Akademiker:innen… Nun, das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Thema, über das ernsthaft diskutiert wird, und viele Orte wie Amsterdam und mehrere wichtige Städte experimentieren derzeit damit.
Felipe Monsalve: Woraus besteht denn das bedingungslose Grundeinkommen?
Pía Figueroa: Es besteht darin, dass der Staat uns allein aufgrund der Tatsache, dass wir Menschen sind, dass wir als Menschen geboren wurden, während unseres gesamten Lebens ein Einkommen zur Verfügung stellt, das uns das Überleben ermöglicht und uns das Leben garantiert. Dann liegt es an uns, zu entscheiden, was wir mit unserem Leben anfangen wollen… ob wir arbeiten… kreativ sein… denken… Sport treiben… auf Weltreise gehen… was immer wir wollen, das Überleben ist gesichert. Das ist das bedingungslose Grundeinkommen für alle…
Felipe Monsalve: Aufgrund deiner menschlichen Existenz…
Pía Figueroa: Genau, die Conditio humana, um in Würde zu leben…
Felipe Monsalve: Weil du geboren wurdest…
Pía Figueroa: Genau, das ist es… dafür, dass man als Mensch geboren wurde. Es wird darüber gesprochen, und das ist bereits eine wirtschaftliche Antwort auf das Problem, denn je größer die wirtschaftliche Macht ist, desto mehr werden große Mehrheiten auf dem Planeten marginalisiert. Folglich müssen entweder wir oder die jüngeren Generationen eine Antwort geben, denn es bleibt keine Zeit mehr.
Was die Umweltkrise betrifft, so kann ich berichten, dass viele Lösungen angeboten werden. In Pressenza kümmern wir uns um die kleinen Details, die zeigen, dass ein Wandel möglich ist, wie zum Beispiel kommunale Gemüsebeete hier in Santiago… Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Marktplätze in kollektive Kleingärten umgewandelt werden, die von Nachbar:innen organisiert werden… und auch in anderen Regionen.
Wie wir vor dem Interview besprochen haben, werden in unserem Land starke Maßnahmen in Bezug auf Plastik, Wiederaufforstung, erneuerbare Energien, Wind- und Solarenergie, grünen Wasserstoff ergriffen… In China wird übrigens alles wieder aufgeforstet, was irgendwann einmal abgeholzt wurde. So werden seit dem Einschluss viele geniale Antworten als Ausgleich gegeben, auf der Suche nach Freiheit und nach einem Vorschlag, denn diese Situation, in der wir leben, erstickt uns… Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um eine nationale Krise, sondern um eine tödliche Krise der Zivilisation, eine Krise, welche die gesamte globale Gesellschaft gleichermaßen betrifft, und es sind neue politische, wirtschaftliche, kulturelle und geistige Maßnahmen erforderlich. Und ich denke, sie sollten auf Empathie beruhen, auf einem menschlichen Umgang miteinander, gemäß der goldenen Regel: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest…
Felipe Monsalve: Für den Anfang…
Pía Figueroa: Für den Anfang…
Echte Kommunikation
Pía Figueroa: Ich glaube, dass Journalismus und Kommunikation im Allgemeinen eine große Verantwortung tragen, und wir, die Internationale Presseagentur Pressenza, haben in dieser Hinsicht eine Position eingenommen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, einen gewaltfreien Journalismus zu praktizieren, und wir überprüfen die Informationen, die weitergegeben werden, denn wenn über Nachrichten berichtet wird, wird nicht nur erzählt, was passiert ist, sondern es wird auch die Meinung der Person mit einbezogen, die die Nachricht weitergibt.
Meine Subjektivität ist jedes Mal präsent, wenn ich etwas schreibe. Der Schweigemarsch der Frauen im letzten Jahr war zum Beispiel eine erstaunliche Erfahrung, Tausende von Frauen in völliger Stille… und ich kann diese Stille auf, die eine oder andere Weise in Bezug auf meine persönlichen Erfahrungen interpretieren. Wir haben uns entschlossen, einen gewaltfreien Journalismus zu schaffen und mit unserer Berichterstattung zur Versöhnung, zur Nicht-Diskriminierung, zur Überwindung von Gewalt und zur Zusammenarbeit mit den Menschenrechten beizutragen. Ich stimme mit Ihnen völlig überein, was die Schlussfolgerung angeht, zu der Sie gekommen sind, und deshalb finde ich es wirklich notwendig, eine andere Art der Berichterstattung zu verfassen.
Um eine neue Welt zu ermöglichen, muss sie erst einmal gezeigt werden… alles Neue ist zunächst klein. Aber damit es Erfolg hat, muss man sich anstrengen, auch wenn es nicht auf Anhieb gelingt. Die offizielle Presse wird behaupten, dass es nicht geklappt hat, aber wenn man sich der Stimmen bewusstwird, die sich Gehör verschaffen, und sie zum Beispiel fragt: „Warum?“, „Was machst du?“, „Warum bist du über die Drehkreuze gesprungen?„, „Was hast du getan?“, dann wird man bei dieser Person oder diesem Schüler feststellen, dass sie wirklich nach einer anderen Welt rufen. Und wir haben die Möglichkeit, das über die Medien zu verbreiten, und es kann viel passieren.
Im Jahr 2019 waren viele Menschen auf der Straße, die kein Fernsehen sahen, und doch waren sie alle bestens informiert. Sie haben nicht ferngesehen, weil dort nur die vier Vandalen gezeigt wurden, die gerade da waren, und sie haben das Glück, die Kreativität, die Kraft und die Träume übersehen, die da auftauchten, es war unglaublich.
Man musste mit Leib und Seele dabei sein und die richtigen Fragen stellen, um später sagen zu können, was die Wahrheit in den Herzen dieser Menschen war. Natürlich sind die Informationen, die über die Fernsehnachrichten verbreitet werden, absolut manipuliert. Sie entsprechen bestimmten wirtschaftlichen Interessen.
Aus diesem Grund sind wir alle Freiwillige, um einen gewaltfreien Journalismus zu betreiben. Wir verbinden kein Geld mit dem, was wir tun, so dass es keinen Platz für diese bestimmten Interessen gibt.
Eine andere Welt ist möglich
Pía Figueroa: Ich glaube, das ist das Ende dieser Art von Beziehung.
Felipe Monsalve: Es sind die letzten Zuckungen.
Pía Figueroa: Ja, ich glaube, dass wir uns dem Ende einer sehr langen historischen Periode nähern, in der wir viele Fehler, aber auch einige gute Entscheidungen getroffen haben. Sie ist einfach an ihre Grenzen gestoßen… wie wenn man aus einem Kleidungsstück herausgewachsen ist und es keinen Platz mehr für Flicken gibt, muss man sich ein neues besorgen. Neue Anfänge und Neuanfänge sind eine Herausforderung, aber wir müssen es tun.
Als die Sowjetunion zusammenbrach, wurde nichts zerstört und kein einziger Mensch wurde verletzt. Die gesamte Sowjetunion und ihre Verbündeten fielen, und in diesem Fall war es die halbe Welt. Wenn man das bedenkt, könnte auch dieses System kollabieren, ohne Schaden anzurichten.
Felipe Monsalve: Es gibt keine Chance für eine äußere Veränderung ohne eine innere Veränderung…
Pía Figueroa: Natürlich, es ist gleichzeitig… definitiv…
Felipe Monsalve: Und sind wir in der Lage, einen inneren Wandel zu vollziehen? Ich glaube, das ist der schwierigste Punkt…
Pía Figueroa: Es gibt keine Veränderungen ohne Scheitern, Destabilisierung oder Krise. Da wir uns also in einer schweren Krise befinden, sind die Bedingungen für einen Wandel günstig. Was tue ich also, wenn ich nicht mehr an etwas glaube? Wenn ich die Hoffnung verliere, leidet etwas in mir entweder oder wird glücklich: Ich bin frei! Ich bin nicht länger ein Gefangener dieser Überzeugungen, sie sind jetzt Unsinn… Ich lache und bin glücklich.
Aber es gibt immer die Möglichkeit, sich andere Situationen vorzustellen, wir lassen uns von Träumen und Musik inspirieren. Plötzlich stehe ich auf und weiß genau, was ich will, und das fühlt sich richtig an. Dann ist es die Inspiration, die uns trotz des anfänglichen Gefühls der Hoffnungslosigkeit am Leben hält, und das ist die Kulisse, die wir für einen Neuanfang brauchen.
Ich habe mich das schon oft gefragt: Wie ist Kolumbus auf die Idee gekommen, hierher zu kommen? Was hat ihn dazu bewogen? Warum tun so viele Menschen verrückte Dinge? Ich weiß zum Beispiel nicht, ob du schon einmal im Parque de Bombarzo in Italien waren, aber dort gibt es ein „Fantasilandia“ (Fantasieland) aus dem 16. Jahrhundert. Und es ist ein wunderbarer Rundgang durch gemeißelte Felsen mit Monstern, Pegasus, Elefanten… es ist ein allegorischer Park… Wer hat die Fantasie, so etwas zu erfinden? Es gibt Millionen von alltäglichen Dingen, bei denen man sich fragt: Wie sind sie auf diese Idee gekommen?
Einfallsreichtum… und Erfindungsreichtum… sie entstehen aus Inspiration und Hoffnungslosigkeit… aus der Situation, dass man aufhört, an seine Träume zu glauben. Vielleicht halte ich dich für einen guten, intelligenten und klugen Menschen… oder vielleicht halte ich dich für viele andere Dinge, ich kann wählen, es gibt immer verschiedene Möglichkeiten. Ich vertraue darauf, dass wir, sobald wir damit aufhören zu denken, dass es sich um eine nicht enden wollende negative Situation handelt, anfangen werden, alles brandneu und frisch gemacht zu sehen, was daraus hervorgeht. Es ist unglaublich, wie viele Menschen interessante Dinge tun, um zu der kommenden neuen Welt beizutragen.
Neue Modelle
Ist es möglich, die patriarchalischen Verhältnisse innerhalb der Familie zu überwinden? Ich glaube schon. Wir haben diese Veränderung in meiner Familie vollzogen, es ist notwendig, die gewalttätigen Beziehungen zu überwinden, sogar die harte Beziehung, die jede:r von uns manchmal zu sich selbst hat, wir müssen uns versöhnen und zu einer freundlicheren Art der Behandlung übergehen. Das ist eine einfache Sache, aber sie verändert alles.
Pía Figueroa: Ich glaube zum Beispiel nicht an die repräsentative Demokratie, und ich glaube nicht, dass diese Leute da oben mich in irgendeiner Weise vertreten, sie handeln nur für ihre eigenen Interessen. Während des 15M (15. März) in Spanien haben sie über eine echte Demokratie gesprochen… Silo hat auch viel über eine echte Demokratie gesprochen… Es geht darum, dass die Menschen hier tatsächlich etwas unternehmen und unsere Probleme gemeinsam lösen.
Eine echte Demokratie bedeutet, dass derjenige, der „angeblich vertreten“ wird, die Verantwortung übernimmt. Es ist nicht ein passives Volk, das die Kontrolle über seine Zukunft übernimmt, sondern ein aktives Subjekt. Deshalb ist für mich die formale Demokratie weder hier noch in den Vereinigten Staaten noch irgendwo anders weiterführend.
Wir brauchen eine echte Demokratie, die von aktiven Bürger:innen kontrolliert wird, denn niemand sonst darf über unsere eigenen Angelegenheiten entscheiden. Lasst uns gemeinsam Entscheidungen treffen und die Verantwortung übernehmen. Dieser Staat zwingt uns, erwachsen zu werden, vielleicht zwingt er uns, den Staat auf kommunaler Ebene neu zu organisieren, die Macht zu dezentralisieren und unter allen zu teilen… Sogar hier gibt es Gemeinden, die eine Volksabstimmung über ihren Haushalt organisieren… Warum organisieren wir nicht Volksabstimmungen über alles? Außerdem ist mit der Technologie alles einfacher geworden. Lasst uns handeln, lasst uns den Mut haben, Entscheidungen zu treffen. Dies ist eindeutig ein Thema, das geändert werden muss.
Die drei Säulen der Regierung wurden während der Französischen Revolution eingeführt und sind seitdem weder in Frage gestellt noch geändert worden. Sie könnten verbessert werden.
Wenn man mir jedoch sagen würde, ich solle mich von einer/m Arzt/Ärztin operieren lassen, der die gleichen medizinischen Verfahren anwendet wie in der Französischen Revolution, würde ich sehr zögern und es nicht tun, ich würde mich nicht in seine/ihre Hände begeben. Warum übertragen wir in diesem Fall die Kontrolle des Staates auf eine so alte Idee? Wir müssen alles neu formulieren, wir haben die Wissenschaft, die Bildung, die Kultur umgestaltet… Warum sind wir nicht in der Lage, Staaten neu zu schaffen?
Wenn ihr mich fragt, für welchen Vorschlag ich mich entscheiden würde, dann für den einer einzigen menschlichen Nation, zu der wir alle gehören. Eine Nation, die nicht homogen und einheitlich ist, sondern eine, die alle Unterschiede einschließt. Das ist ein Zukunftsprojekt, das bereits auf dem Weg ist, Tausende von Menschen denken darüber nach, wachsen aus den alten Wegen heraus, die uns nicht mehr repräsentieren.
Obwohl ich ein sehr spiritueller Mensch bin, fühle ich mich durch keine Form von Religion zufriedengestellt. Ich stimme keiner etablierten Religion zu, aber ich und viele andere Menschen fühlen eine ganz besondere Verbindung zu etwas sehr Tiefem und Heiligem, das in uns selbst und in allen belebten Dingen lebt.
Felipe Monsalve: Es ist gut, dass neben der Demokratie und der Religion noch viele andere Prinzipien zusammengebrochen sind…
Pía Figueroa: Viele Dinge… Wirtschaft, Neoliberalismus… Es lohnt sich nicht einmal, sie zu erwähnen.
Felipe Monsalve: Was muss sich in der Wirtschaft entwickeln?
Pía Figueroa: Zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Würdigung des menschlichen Lebens, die Umverteilung des Reichtums. Der Reichtum entsteht durch den Fortschritt aller und landet nur in bestimmten Händen, das ist nicht gerecht.
Felipe Monsalve: Und wie können wir das ändern? Was machen wir mit den wirtschaftlichen Gruppen? Was machen wir mit den Familien?
Pía Figueroa: Ich glaube, alle denken darüber nach, die Pandemie hat uns und den Tod auf die gleiche Ebene gebracht. Da wir also alle irgendwann sterben werden, warum können wir nicht die Dinge richtig machen? Warum tragen wir nicht dazu bei, ein gutes Leben zu haben? Öffne deine Hand, lass alles los, mach dich frei.
Es gab Veränderungen, auf die ich nie gehofft hätte, und sie haben sich jetzt erfüllt. Ich habe zum Beispiel lange gekämpft und an dem Weltmarsch für Frieden und Gewaltlosigkeit teilgenommen, der um die ganze Welt ging, um die atomare Abrüstung als oberste Priorität forderte. Damals, vor 12 Jahren, hätten wir uns nie vorstellen können, dass die Welt tatsächlich nuklear abgerüstet werden könnte, und im Januar dieses Jahres trat der Vertrag über das Verbot der Stationierung von Atomwaffen bei den Vereinten Nationen in Kraft. Atomwaffen können in keinem Land mehr eingesetzt werden, weil sie verboten sind, und das Einzige, was jetzt noch zu tun ist, ist der Abbau der Atomwaffenarsenale. Das wurde vor 12 Jahren erreicht, und es ist ein außerordentlicher Erfolg, wenn man bedenkt, wie es sich anfühlt, einen Atomsprengkopf auf sich gerichtet zu haben.
Felipe Monsalve: Die Arbeit der Generationen von vor 70 Jahren bis heute…
Pía Figueroa: Genau, der Vertrag über das Verbot der Stationierung von Atomwaffen wurde angenommen und ratifiziert, und er ist ein absoluter Triumph. Der ICAN erhielt vor zwei Jahren den Friedensnobelpreis für diesen Kampf. Hättet ihr gedacht, als wir jung waren, dass wir das noch erleben würden? und dass es einen Abbauplan für das gesamte Atomwaffenarsenal geben würde? Ich war mir da nicht so sicher…
Felipe Monsalve: Was die Schnelligkeit betrifft, können wir noch 50 Jahre warten, bis der wirtschaftliche Wandel vollzogen ist?
Pía Figueroa: Nein, ganz und gar nicht. Aber wir sprechen nicht von 50 Jahren, vielleicht in 10?
Felipe Monsalve: Wird es in 10 Jahren möglich sein, das zu erreichen?
Pía Figueroa: Ja, ich glaube schon. Die Bedingungen sind reif dafür, und außerdem setzen der Planet Erde und die Natur uns Grenzen und warnen uns, dass der derzeitige Weg nicht der richtige ist, sondern dass es reicht. Es ist also der richtige Zeitpunkt, wir haben das Glück, in dieser Zeit zu leben, einer Zeit der Veränderungen und Innovationen, nichts wird mehr so sein wie früher, das glaube ich.
Frauen
Pía Figueroa: Jede:r muss seinen eigenen Weg finden. Ich tue es durch Kommunikation, ich versuche, eine Fackel zu entzünden und diese kleinen Demonstrationseffekte zu zeigen, die wachsen können, ich nähre das, was Kraft hat für eine zukünftige Welt, ich mache ungewöhnlichen Journalismus, wirklich ungewöhnlich.
Zum Beispiel haben wir im vergangenen März, vom 8. März bis zum 8. April, eine Serie über Frauen aufgenommen. Sie trägt den Titel „Constructoras del futuro“ (Frauen, die die Zukunft gestalten) und wir interviewen ausschließlich Frauen, welche die Zukunft im Kopf haben…
Felipe Monsalve: Ich kann kaum erwarten, das zu sehen…
Pía Figueroa: Sicher, ich werde es dir schicken. Es gibt zum Beispiel Frauen, die früher der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) in Kolumbien angehörten und dann ausgestiegen sind, und die jetzt außerordentlich am Friedensprozess mitarbeiten. Auch Vandana Shiva, von der du sicher schon gehört hast. Oder Sabine Rubin, die französische Vertreterin von France insoumise und eine der jüngsten der interviewten Frauen. Sie alle sind außergewöhnliche Frauen, ein Interview pro Tag. Viele wurden ausgelassen, weil es Tausende von Frauen gibt. Wir werden 30 auswählen, weil es ein Monat ist, aber jede von ihnen wird einem anderen Bereich angehören.
Siloismus
Pía Figueroa: Es reicht nicht aus, eine gewaltfreie Welt anzustreben, wenn wir nicht die bestehende Gewalt in uns selbst beseitigen. Dazu müssen wir einen inneren spirituellen Weg einschlagen und die Zeichen von etwas anderem, heiligem, außergewöhnlichem erkennen, damit wir diese Zeichen auch im Außen erkennen können.
Wie du und Silo betonen, ist das Leiden als solches, ohne Berücksichtigung des körperlichen Schmerzes, eine geistige Option. Es hat seinen Ursprung in unserem Gedächtnis und unserer Vorstellungskraft, so dass es mit ein wenig Meditation tatsächlich besser werden kann, weil der Geist beruhigt und entspannt wird. Silo hat dafür viele Muster entwickelt, von der körperlichen Entspannung bis zur inneren Meditation, und auch, um an unserer eigenen Energie zu arbeiten und zu lernen, wie wir sie verteilen können. Wenn zum Beispiel dieses Gespräch leblos und stumpf wäre, dann wäre es sehr langweilig. Wir müssen lernen, das Leben zum Ausdruck zu bringen.
Auf diese Weise fangen wir nach und nach an, unsere Energie zu kanalisieren und einen Sinn im Leben zu finden, wie ich mich in der Welt einsetze, was ich tue und welche transzendente Bedeutung diese Handlungen haben können. Das, worüber wir sprechen, geht über Sie und mich und all die Menschen, die uns beobachten, hinaus.
Worte schaffen Wirklichkeiten und führen zu Veränderungen. Silos Bücher legen eine Lehre dar, die über seine oder unsere Existenz hinausgeht, sie ist Teil der mystischen Lehren der Jahrhundertwende, vom 20. zum 21. Seine Mystik ist also sehr modern und zeitgemäß. Es ist ein Weg, um zu erkennen, dass es eine ständige Wechselwirkung zwischen der Welt und uns selbst gibt, und das Leiden, von dem wir sprachen, kann in der Zwischenzeit durch den Aufbau, den wir von innen nach außen durchlaufen, überwunden werden.
Wie ich schon sagte, arbeite ich hart daran, in diese neue Welt vorzudringen, auf die ich sehr neugierig bin, aber ich versuche auch, jeden Tag mein Bestes zu geben, was mein Inneres betrifft, wo es eine Dimension gibt, die über meine Existenz hinausgeht und die nicht mit dem Tod endet. Das ist wichtig, um den Sinn des Lebens zu finden und somit dem Leiden ein Ende zu setzen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich trotz der offensichtlichen Umstände ein sehr glückliches Leben führe. Diese Pandemie hat mich genauso getroffen wie viele andere Menschen auch. Sie ermöglicht es mir jedoch, mich in die Lage der anderen zu versetzen, und ich habe festgestellt, dass wir uns wahrscheinlich alle in einer ähnlichen Situation befinden, was ich für etwas Außergewöhnliches und Großartiges halte. Darüber hinaus erhalte ich durch meine eigene Innerlichkeit Zugang zur gesamten Menschheit.
Ich fühle mich oft wie eine Brücke, und Silos Lehren waren für mich in diesen Zeiten der Verwirrung und des Schwindelgefühls eine unverzichtbare Landkarte. Ich glaube, es sind die Meister:innen, die uns in Zeiten der Unschärfe und Dunkelheit den Weg weisen.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!