Es hat nicht lange gedauert und die öffentliche Debatte um das Desaster, welches der Afghanistan-Einsatz der NATO hinterlassen hat, ist auf Ereignisse reduziert, die zwar erhebliche Wirkung haben, aber das Grundsätzliche ausklammern. Es dreht sich nämlich um die Frage, ob es möglich ist, mit westlicher Waffengewalt Kulturkreise und deren Gesellschaftssysteme nach dem eigenen Ebenbild zu verändern. Und diese Frage ist – nach unzähligen Unterfangen dieser Art, die allesamt gescheitert sind – immer noch virulent. Beantwortet ist sie längst: Es geht nicht und schafft in der Regel Verhältnisse, die für die Bewohnerinnen und Bewohner des betreffenden Territoriums schlimmer sind als die vor dem Militäreinsatz westlicher Kreuzzüge.
Der pathologische Zustand
Das schert die Krieger wenig, aber diejenigen, die eigentlich diese Einsätze befürworten, sollte es insofern berühren, als dass sie schleunigst aus dem Amt gejagt werden. Das ist nicht der Fall.
Wenn man so will, haben wir es ideologisch mit einem pathologischen Zustand zu tun. Man hat einen Plan, setzt ihn um, scheitert und resümiert, man habe recht gehabt und lediglich in der einen oder anderen taktischen Frage einen Fehler gemacht, was zwar bedauerlich sei, aber an der Richtigkeit des Planes nichts ändere.
Solange zugelassen wird, dass die Verantwortlichen mit solcherlei Begründungen durchkommen, wird sich allerdings daran nichts ändern. Es wird so sein, man verzeihe mir die Provokation, wie es Mao Zedong (1) einmal zusammengefasst hat: Der Imperialismus lernt nichts, er führt Kriege, scheitert, führt wieder Kriege und scheitert erneut. Afghanistan, unter gewichtigen Historikern seit Langem auch das “Grab der Imperien” genannt, hat diese Geschichte wieder einmal ins Bewusstsein gerückt.
Die typische PR-Legende
Was die verantwortlichen Akteure nicht davon abhält, zum einen die eigene Verantwortung für die eigene Niederlage wie den Scherbenhaufen, den sie mit ihrem Tun hinterlassen haben, weit von sich zu schieben und die Schuld bei anderen zu suchen. Mal sind es die Taliban selbst, dann sind es die lauen Afghanen, dann sind es die Amerikaner und bald kommen noch die bösen Russen und hinterhältigen Chinesen dazu.
Ja, die Tradition ist bekannt und tief im imperialen Gehabe des Militarismus verwurzelt. Es war der Dolchstoß! Irgendwer hat von hinten heimtückisch und bösartig den edlen Kreuzzug in ein Debakel verwandelt.
Ginge es dabei vielen nicht direkt an den Kragen und würde durch ein solches Agieren die Lage für noch viel mehr Menschen brenzlig, man müsste lachen über diese durchsichtigen Manöver. Aber noch werden die Geschichten mit perfekter PR von allen möglichen Sendern veredelt, damit der Grund nicht zum Vorschein kommt.
Die Unbelehrbaren
Die Substanz des selbst deklarierten freiheitlichen Westens ist das probate Derivat aus Kolonialismus und Imperialismus, und geändert hat sich an der Geschichte, die zwei Weltkriege und unzählige lokale Gemetzel auf dem Gewissen hat, nichts. Das exklusivste Dokument hierfür ist der Anspruch einer Minderheit der Weltbevölkerung, dem Rest vorschreiben zu wollen, was eine werte-orientierte Gesellschaftsordnung ist und was nicht.
Wie war das noch bei den Kolonialisten? Alle, egal für welches Reich sie unterwegs waren, reklamierten, dass sie das richtige Leben, die Zivilisation und den rechten Glauben in die Welt brächten. Und sie raubten und versklavten und hinterließen ruinöse Landschaften.
Das, und dies ist ein gewaltiger Abstieg in der Geschichte des Kolonialismus, Verantwortung für das Geschehen übernommen wurde, war einmal. Gelernt wurde nichts. Jetzt, wie der Fall Afghanistan verdeutlicht, wird nicht einmal mehr die Verantwortung übernommen. Bei der Unbelehrbarkeit ist es geblieben.
Quellen und Anmerkungen
(1) Mao Zedong (1893 – 1976) war Revolutionär, Politiker und Staatspräsident der Volksrepublik China. 1921 gehörte er zu den Mitbegründern der Kommunistischen Partei Chinas. Im Chinesischen Bürgerkrieg (1927 – 1949) führte Mao die Kommunisten an. 1943 wurde er Vorsitzender des Zentralkomitees der KP Chinas und rief 1949 die Volksrepublik China aus. 1954 verkündete Mao Zedong die erste Verfassung der Volksrepublik China und wurde deren erster Staatspräsident.