Die Coronapandemie wirkte wie ein Brandbeschleuniger auf die seit Jahren von Verödung bedrohten Stadtzentren. Viele regionale Einzelhändler und Gastronomen mussten ihre Türen bereits für immer schließen oder sind akut in ihrer Existenz bedroht. Ein häufig genanntes Mittel zur Belebung der Innenstädte ist die Ausgabe von Regionalgeld. Doch wirklich zielführend ist das Konzept nicht.
Die deutsche Impfkampagne schlägt an und die sommerliche Hitze bremst das Coronavirus zusätzlich aus. Die Gastronomie öffnet wieder und vielerorts wird die Aufhebung der Maskenpflicht diskutiert. Trotz der latenten Gefahr, die aktuell vor allem von der Delta-Variante ausgeht, rückt das Gefühl, dass die Krise endlich überstanden ist, spürbar näher. Doch an anderer Stelle ist man alles andere euphorisch, denn die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben den deutschen Innenstädten erheblich geschadet. Nach Angaben des HDE sind aktuell 120.000 Geschäfte in ihrer Existenz bedroht. Tendenz steigend, denn je mehr Händler schließen, je mehr Laufkundschaft bricht weg.
Die Existenzkrise der Unternehmen allein auf die Pandemie und deren Eindämmungsmaßnahmen zu schieben, ist sicherlich zu einfach. Stadtzentren leiden bereits seit Jahren unter der Umsatzverschiebungen zu Internethändlern und dem damit verbundenen Frequenzrückgang in den Innenstädten. Doch Lockdowns und Ausgangssperren wirkten wie ein Brandbeschleuniger und verschoben das Konsumverhalten noch weiten in den Online-Handel. So durfte sich Branchenriese Amazon 2020 beispielsweise über ein Umsatzplus von stolzen 32% auf dem deutschen Markt freuen, freilich ohne dafür Körperschaftssteuer zu bezahlen, wie aus einem Bericht des Guardian hervorgeht.
Um die heimischen Geschäfte wieder erstarken zu lassen, käme daher ein Wunder sehr gelegen. Und so ein Wunder gab es bereits. Im Sommer 1932, mitten in der Weltwirtschaftskrise, ereignete sich das sogenannte „Wunder von Wörgl“. Um die zum Erliegen gekommene Wirtschaft in dem kleinen österreichischen Örtlichen wieder zu beleben, ordnete der damalige Bürgermeister Michael Unterguggenberger den Druck von eigenem Notgeld dem „Wörgler Schwundgeld“ an. Dieses Geld hatte den Wert von „normalem“ Geld und konnte überall im Ort ausgegeben werden.
Die Innovation des wörgler Zahlungsmittels war die sogenannte Umlaufsicherung. Diese sorgte dafür, dass die Scheine monatlich an Wert verloren, wenn sie nicht in Umlauf gebracht wurden. Die Idee dahinter war es, die Bürger*innen dazu zu bewegen, ihr Geld nicht zu horten, sondern schnellstmöglich auszugeben. Und Unterguggenbergers Plan ging tatsächlich auf. Die Wörgler konsumierten wieder, die Arbeitslosigkeit sank und der Wirtschaftskreislauf kam wieder in Schwung. Doch knapp ein Jahr nach der Einführung des Regionalgeldes musste das ambitionierte Experiment beendet werden, denn die österreichische Nationalbank verbot die Alternativwährung im September 1933.
Komplementärwährung als Rettung für die Innenstädte?
Kritiker wenden ein, dass das vermeintliche Wunder nur die kurzfristige Folge der bürgermeisterlichen Finanzspritze war und sich mit ziemlicher Sicherheit bald von selbst entzaubert hätte. Viele, die dem derzeitigen Finanzsystem eher kritisch gegenüberstehen, sehen das jedoch anders und betrachten das alternative Geld als Weg zu einem besseren Wirtschaftssystem. Und so hält sich der Gedanke des Regionalgelds bis heute und rückt immer dann in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn die Wirtschaft am Boden liegt. Das war nach der Weltfinanzkrise 2008 der Fall und auch jetzt sehen viele die Antwort in der Einführung von Komplementärwährungen.
In Deutschland gibt es zahlreiche Regionalgeldinitiativen, die bekanntesten sind unter anderem der BergTALER aus dem Bergischen Land und vor allem der oberbayrische Chiemgauer, der bald sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert und für viele als das Vorzeigeprojekt für Regionalwährungen gilt. Von einigen regionalen Unterschieden abgesehen, folgen alle Initiativen immer noch der Idee des Schwundgelds. Man tauscht Euro im Verhältnis 1:1 in die jeweilige regionale Währung um, die man nur in ebendieser Region ausgeben kann. Dies soll dafür sorgen, dass das verdiente Geld vor Ort investiert wird und nicht in die Kassen von Unternehmen am anderen Ende der Welt fließt, die hier weder Arbeitsplätze schaffen noch Steuern bezahlen.
Weitere Säulen der Komplementärwährungen sind die ebenfalls vom Wörgler Schwundgeld bekannte Umlaufsicherung und vor allem der Ausgabeaufschlag. Dabei handelt es sich um eine Gebühr für den Rücktausch der jeweiligen Regionalwährung in Euro. Diese Ausgabeaufschläge tragen wunderbar klingende Namen wie Gemeinwohlbeitrag oder Regionalbeitrag und werben damit, dass etwas weniger als die Hälfte davon an regional Vereine oder soziale Projekte geht. Auf den ersten Blick klingt das alles sehr vielversprechend. Doch wenn man genau hinsieht, stellt man jedoch schnell fest, dass das Konzept nur für die jeweilige Regionalgeldinitiative selbst einen wirklichen Mehrwert darstellt.
Regionalgeld: Holzweg zu einem besseren Morgen
Um sein Geld nicht übermäßig zu horten und bevorzugt in der Region produzierte Produkte zu konsumieren, braucht es zweifellos genauso wenig eine eigene Währung wie für Spenden an gemeinnützige Institutionen. Diesen Idealen kann man jeden Tag folgen, ohne sein Geld einzutauschen. Der positive Effekt des regionalen Zahlungsmittels ist daher allenfalls das gute Gefühl, seine Heimatverbundenheit ausgedrückt zu haben. Und dieses Gefühl lassen sich die Initiativen durch den Ausgabeaufschlag sehr gut bezahlen. Von den zumeist fünf Prozent des Aufschlags fließt fast die Hälfte als „Verwaltungskosten“ aufs Konto der jeweiligen Regionalgeldinitiative.
Bis dahin kann man Regionalgeldinitiativen als Verkäufer sehen, die denen, die es sich leisten können, die gute Empfindung vermitteln. Oder als teure Organisation zu Spendensammlung. Doch tatsächlich haben die Komplementärwährungen auch handfeste Nachteile für die Region, denn es verteuert den Warenverkehr enorm. Nicht jedes Unternehmen kann seine Rohstoffe und Waren regional beziehen. Darunter fallen vor allem die ohnehin am meisten vom Online-Handel bedrohten Buchgeschäfte, Apotheken und Elektronikmärkte. Wollen sie regionales Geld annehmen, müssen sie es für ihren Einkauf wieder Euro umtauschen. Und beim Umtausch wird der Ausgabeaufschlag fällig, den die Unternehmen irgendwie ausgleichen müssen. Die Folge davon sind direkte oder indirekte Preiserhöhungen, die auch all jene zu tragen haben, die ohnehin schon jeden Cent umdrehen müssen.
Insgesamt wirkt es eher so, als dass eine Alternativwährung eher das Potenzial hat, eine Region zu spalten, als zu Einen, denn der Teil der Bevölkerung, der sich den Luxus nicht leisten kann, wird komplett ausgeschlossen. Wer kein hohes Einkommen hat, kann sein Geld nicht in eine Währung umtauschen, die kontinuierlich an Wert verliert und mit dem man das Sonderangebot beim Discounter nicht bezahlen kann. Daher sind regionale Währungen auch nur in den Gegenden wirklich langfristig erfolgreich, in denen es den Menschen finanziell gut geht. Im Einzugsgebiet des Chiemgauers lag das Pro-Kopf-Einkommen 2018 beispielsweise bis zu 3.000 € über dem Bundesdurchschnitt, während die Arbeitslosenquoten weit unter dem Gesamtschnitt lagen.
Auf den ersten Blick klingt das Konzept von Regionalgeld sehr gut. Man sorgt dafür, dass sein Geld in der eigenen Region bleibt, anstatt die Taschen von anonymen Kapitalgesellschaften am anderen Ende der Welt zu füllen. Doch tatsächlich führen Alternativwährungen in erster Linie zu Preiserhöhungen und wirken daher eher kontraproduktiv auf die Wirtschaftsregion. Die Einzigen, die wirklich von dem Komplementärgeld profitieren, sind die jeweilige Initiativen, die es herausgeben.
Quellen für die Grafik:
https://statistik.arbeitsagentur.de/Auswahl/raeumlicher-Geltungsbereich/Politische-Gebietsstruktur/Kreise/Bayern/09187-Rosenheim.html
https://statistik.arbeitsagentur.de/Auswahl/raeumlicher-Geltungsbereich/Politische-Gebietsstruktur/Kreise/Bayern/09189-Traunstein.html
https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Statistiken-nach-Regionen/Politische-Gebietsstruktur-Nav.html
https://www.statistikportal.de/de/vgrdl/ergebnisse-kreisebene/einkommen-kreise