Mehrere juristische Standardwerke, wie der „Palandt“ oder der „Schönfelder sollen wegen ihrer nazi-kontaminierten Herausgeberschaft unbenannt werden. Der Verlag will damit ein Zeichen setzen. Warum erst jetzt? Fragt Helmut Ortner.
Mitte Juli ließ der renommierte juristische Verlag C.H. Beck verlautbaren, er will fortan mehrere Standardwerke aus seinem Verlagsprogramm umzubenennen, die für alle Jura-Studierenden, jede Kanzlei und in allen Gerichtssälen hierzulande prägende Bergriffe sind, gewissermaßen die erklärenden, verlässlichen Leitplanken durch die juristischen Höhen und Niederungen im deutschen Gesetzes-Dschungel. Aus dem „Palandt“, dem 3216-Seiten-„Kurzkommentar“ zum Bürgerlichen Gesetzbuch, werde nun der „Grüneberg“, auch die dicke rote Sammlung „Schönfelder“ aus gleichen Haus mit Gesetzen zum Zivil- und Strafrecht, auch sie werde künftig unbenannt und vom Münchner Zivilrechtsprofessor Mathias Habersack herausgegeben. Nicht genug: der mehrbändige Grundgesetzkommentar „Maunz/Dürig“ soll künftig ebenso neu namentlich etikettiert werden. Er soll den Namen „Dürig/Herzog/Scholz“ tragen.
Dass es sich hier nicht um ein übliches Re-Branding eines angesehenen Verlags handelt, sondern um die Einsicht, dass es nicht akzeptabel und verantwortungsvoll ist, wenn die Standardwerke im Verlagsprogramm Namen von Juristen tragen, die während der nationalsozialistischen Diktatur eine aktive Rolle eingenommen haben – das wollen uns die Münchner Verleger Glauben machen.
Der „Palandt“ gehört zum Inventar in fast jedem Richter- und Anwaltsbüro hierzulande. Herausgeber und Namensgeber Otto Palandt trat im Mai 1933 der NSDAP bei. Ab Juni 1933 war er Vizepräsident und seit Dezember 1933 Präsident des Preußischen Landesprüfungsamtes. 1934 wurde Palandt von Roland Freisler, Hitlers Blutrichter und späterer Präsident des Volksgerichtshofes, zum Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamts und Abteilungsleiter im Reichsjustizministerium ernannt. Otto Palandt zählte damit zu den einflussreichsten Juristen des Dritten Reichs, ein Mann, der die sogenannte „Arisierung“ des Rechtswesens mit vorantrieb. Er forderte, junge Juristen müssten lernen, „Volksschädlinge zu bekämpfen“ und die „Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum“ begreifen. Kommentiert hat Otto Palandt in dem nach ihm betitelten Werk nie, seine „Mitarbeit“ beschränkte sich darauf, glorifizierende Vorworte auf das nationalsozialistische Regime zu verfassen.
Dennoch druckte und verbreitete der Verlag C.H. Beck nach dem Krieg mit der Rechtfertigung, Palandt sei bereits 1948 in der britischen Besatzungszone entnazifiziert worden, den Kommentar unter dessen Namen. „Entscheidend für uns ist“, so der Verlag damals, „dass der Name des Werkes schon früh losgelöst von der Person ein Eigenleben entwickelte und sich über mehrere Generationen hinweg in Wissenschaft und Praxis etabliert hat“. So blieb es über Jahrzehnte. Mittlerweile in der 80. Auflage für 119 Euro.
Nun also soll der Palandt nicht mehr Palandt heißen. Bleibt die Frage: Warum erst jetzt? „Geschichte kann man nicht ungeschehen machen. Deshalb haben wir zunächst die historischen Namen beibehalten“, erklärt Verleger Hans Dieter Beck nun in der Pressemitteilung des Verlags. „Um Missverständnisse auszuschließen“, so der Verleger, habe man sich nun aber dazu entschlossen, dieses und auch andere „Werke mit Namensgebern, die in der NS-Zeit eine aktive Rolle gespielt haben, umzubenennen“. Als Grund, warum das erst jetzt geschehe, sagt Beck: „In Zeiten zunehmenden Antisemitismus ist es mir ein Anliegen, durch unsere Maßnahmen ein Zeichen zu setzen“.
Dafür gab es umgehend öffentliches Lob vom bayerische Justizminister Georg Eisenreich, der CSU-Politiker nannte die Namensänderung „eine sehr bedeutsame Entscheidung“, die „notwendig“ sei, denn „Namensgeber für Gesetzessammlungen und Kommentare müssen integre Persönlichkeiten sein. Keine Nationalsozialisten.“. In diesem Frühjahr hat Eisenreich eine Studie zu Palandt und Schönfelder beim Münchner Institut für Zeitgeschichte in Auftrag gegeben.
Denn so der Minister: „Wir tragen in Deutschland eine besondere historische Verantwortung. Antisemitismus und Rechtsextremismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Ich halte es daher für unerlässlich, dass das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht in allen Bereichen geschärft wird. Der NS-Unrechtsstaat und die menschenverachtenden Verbrechen waren auch deshalb möglich, weil sich nicht wenige Juristen, die eigentlich Recht und Gesetz verpflichtet waren, in den Dienst des Regimes gestellt haben. Wir müssen aus dem dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit und dem beispiellosen Zivilisationsbruch lernen und uns mit den gravierenden Folgen eines von rechtsstaatlichen und ethischen Maßstäben losgelösten juristischen Handelns auseinandersetzen.“
Der Lern-Aufruf des fünfzigjährigen Ministers spiegelt 75 Jahren nach Kriegsende die Rhetorik eines pflichtbesorgten Politikers, und ist dennoch von geradezu irritierender Geschichtslosigkeit. Hatte nicht die politische Klasse, allen voran auch seine CSU-Partei in der Adenauer-Republik alles getan und ebenso viel unterlassen, diese „fürchterlichen Juristen“ (Ingo Müller) reinzuwaschen und zu integrieren? Zehntausende Juristen, schwer und schwerstbelastet, die dem NS-Regime in wichtigen Positionen gedient hatten, konnten – ausgestattet mit „Persilscheinen“ und erfolgreich „entnazifiziert“ – in der Bundesrepublik ihre Karrieren fortsetzen. Die Generation der Täter und die ihrer Nachfolder schlossen gewissermaßen einen generationsübergreifenden Pakt: eine Komplizenschaft, die auf eine konsequente Ausgrenzung, Strafverfolgung und Verurteilung verzichtete. Die Ära Adenauer: der große Frieden mit den Tätern.
Die personelle Kontinuität nach 1945 ist ein zweifelhaftes Lehrstück politischen Verhaltens zwischen Strafe und Reintegration, Kontrolle und Unterwanderung, Reform und Restauration. In Ministerien und Gerichtssälen hielten ehemalige Parteigänger und Funktionsträger wieder Einzug, auch in den juristischen Fakultäten Universitäten. Das alles ist bekannt – und wird gerne vergessen.
Dazu kein Wort des Ministers. Und auch kein kritisches Wort zur jahrzehntelangen Tolerierung der nazi-nahen Autorenschaft von Verlagsseite. Dabei hatten bereits 2018 Eisenfreichs Ministerkollegen der Länder Hamburg, Thüringen und Berlin die Umbenennung des Standardkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch „Palandt“ gefordert. Berlins Justizsenator Dr. Dirk Behrendt, einer der Unterzeichner, mahnte mit deutlichen Worten: „Wir haben den Palandt in Berlin als Hilfsmittel für das zweite Staatsexamen zugelassen. Damit steht der Beck-Verlag in der Verantwortung. Ich erwarte daher von dem Verlag, dass er seiner Verantwortung gerecht wird und den Kommentar umbenennt.“
Auch eine Initiative „Palandt umbenennen!“ (IPU) hatte immer wieder eine Umbenennung gefordert und mit einem provozierenden Vergleich argumentiert: „Aus guten Gründen akzeptieren wir heute keinen Rudolf-Heß-Platz mehr, kein Auto-Modell namens „Himmler” und keine Hermann-Göring-Schule. Die Selbstverständlichkeit, mit der solche Namensgebungen als undenkbar gesehen werden, stehen in starkem Kontrast dazu, dass in jeder rechtswissenschaftlichen Fakultät, fast jedem Amt, jedem Gericht und jeder Kanzlei ein juristisches Standardwerk zu finden ist, welches den Namen eines führenden Nationalsozialisten trägt. Wenn Hermann Göring und Rudolf Heß, Heinrich Himmler und Roland Freisler als Namensgeber tabu sind, dann muss es auch Otto Palandt sein…“. Es sei Zeit, dass den „Palandt“, endlich umzubenennen, um dieser „grotesken Ehrerweisung“ ein Ende zu setzen, so die Initiative.
Freilich, der „Palandt“ ist nicht das einzige nazi-kontaminierte Sammlerwerk im Verlagsprogramm. Auch der „Schönfelder“, benannt nach dem Erfinder der Gesetzessammlung Heinrich Schönfelder, einem Mann, der 1933 der NSDAP sowie dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beitrat und 1942 als Kriegsgerichtsrat in Italien seinen Dienst tat. Im Juli 1944 wurde er bei einem Partisanenangriff getötet.
Die 1931 von Schönfelder begründete Sammlung mit dem typischen roten Einband ist eine der wichtigsten Gesetzessammlungen der Richterschaft. Bereits 1935, damals bereits in der 5. Auflage, bejubelte Schönfelder, dass es ihm gelungen sei, die „zwölf wichtigsten Gesetze der Regierung des Führers“ darin aufzunehmen, darunter selbstverständlich auch die „Nürnberger Gesetze“.
Alle Gesetze sind durchnummeriert. Das erste trägt aber nicht die Nummer 1, sondern die Nummer 20. Warum? Weil der Herausgeber seinerzeit mit dem NSDAP-Parteiprogramm begann, dann folgten einige Rassengesetze, etwa unter Nr. 12a das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Und so beginnt der Schönfelder bis heute das BGB erst mit der Nummer 20. Bis 1943 wurde das Sammelwerk noch von Schönfelder selbst betreut. Seit der 14. Auflage von 1947 führt der Münchner Verlag C.H. Beck neben dem „Palandt“ auch diese Gesetzessammlung fort, mittlerweile – 880 Seiten stark – in der 182. Ergänzungsauflage.
Schließlich Theodor Maunz, der Begründer des „Maunz-Dürig“, des bedeutendsten Grundgesetz-Kommentars: 1933 trat er der NSDAP und der SA bei, 1935 wurde er ordentlicher Professor für Öffentliches Recht in Freiburg. In seinen zahlreichen Texten war er bestrebt, dem NS-Regime juristische Legitimität zu verschaffen. Nach seinem Tod 1993 wurde bekannt, dass er eine enge Liaison mit der rechten „National-Zeitung“ unterhalten hatte. Maunz, gerne als »Kronjurist des Grundgesetzes« bezeichnet – von 1957 bis 1964 auch bayerischer Kultusminister und CSU-Mitglied – war bei dem rechtsradikalen Blatt anonym als Rechtsberater und Autor tätig.
Für den Münchner Beck Verlag kein Grund, die Zusammenarbeit infrage zu stellen. Bis heute ist der „Maunz-Dürig“ im Sortiment. Für 478 Euro liefert der Verlag die 94. Auflage der Loseblattsammlung portofrei.
Halten wir fest: Auch wenn sich – wie schon bei Gründerkollege Palandt – Person und Funktion auch beim „Schönfelder“ auf wundersame Weise „voneinander gelöst“ haben und fortan – wie der Verlag es gerne sieht – „ein Eigenleben führen“, greift die kommende und derzeitige Juristen-Generation hierzulande bis heute nach den zwei Gesetzes-Kommentaren trotz nazi-kontaminierter Herausgeberschaft. Das soll nun bald ein Ende haben – zumindest was den Herausgeber betrifft.
Man möchte dem Verlag zurufen: wie wäre es bei zukünftigen Ergänzungsauflagen mit einem Nachwort, einem aufklärenden, ausführlichen Text über die Karrieren der Ex-Namensgeber? Gerne auch einen selbstkritischen Hinweis auf eigene fragwürdige publizistische Kontinuitäten.
Neuersscheinung: Helmut Ortner, WIDERSTREIT – Über Macht, Wahn und Widerstand, 220 Seiten, 20 Euro im Nomen Verlag Frankfurt