Alassane Dicko lebt in der malischen Hauptstadt Bamako und ist in dem transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact aktiv. In dem Gespräch berichtet er darüber, welche Rolle der Klimawandel in der Arbeit von Afrique-Europe-Interact spielt. Zudem geht es darum, wie Gruppen aus dem Norden und dem Süden im Bereich Klimawandel enger zusammenarbeiten könnten. Die Fragen hat Dorette Führer gestellt. Sie lebt in Bremen und ist ebenfalls bei Afrique-Europe-Interact aktiv.
Interview von Dorette Führer für Trossenstek
Unter Klima- und Antira-Aktivist*innen in Europa zirkuliert der Slogan „Die Klimakrise ist rassistisch“. Was denkst Du dazu?
Ja, es stimmt, der Umgang seitens der internationalen Politik ist rassistisch. Denn obwohl die Auswirkungen der Klimakrise vor allem im Globalen Süden zu spüren sind, wird in den politischen Entscheidungen die Situation der betroffenen Menschen kaum berücksichtigt. Das hat auch damit zu tun, dass die meisten Entscheidungen im Norden gefällt werden. Entsprechend geht es häufig nur um Anpassungen und Verbesserungen in den reichen Ländern. Gleichzeitig werden jene Menschen, die wegen der Klimakrise ihre Heimatregion verlassen müssen, zu Geflüchteten ohne internationale Anerkennung. Schlimmer noch: Aufgrund des europäischen Migrationsregimes wird es immer schwieriger, Grenzen zu überschreiten. Und damit meine ich primär Grenzen innerhalb Afrikas, nicht zwischen Afrika und Europa. Denn nur die wenigsten Klimageflüchteten verlassen den Kontinent, die meisten migrieren nahräumlich oder in ihre jeweiligen Nachbarländer.
Findest Du also, dass wir für die Anerkennung des Titels „Klimageflüchteter“ eintreten sollten?
Ja, es sollte weltweit und von allen Seiten – auch von uns – daran gearbeitet werden, das Recht auf Klimaflucht als UN-Konvention durchzusetzen und somit einen internationalen Schutz für die Betroffenen herzustellen, jedenfalls für die, die Grenzen überschreiten. Genauso wie es das Recht auf Flucht nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder die Rechte für Wanderarbeiter:innen gibt. Denn die UN und vor allem die westlichen Länder lehnen den Begriff ab, weil damit eine Tür aufginge und viele Migrant:inn:en plötzlich Schutz erhalten müssten. Es entstünde auch die Pflicht, Länder zu identifizieren, die im Klimanotstand sind, was aber bis jetzt trotz der bekannten Beispiele nicht geschehen ist!
Und klar, mit einer solchen Anerkennung auf UN-Ebene wäre noch nicht alles getan. Denn auch die seit langem international anerkannten Konventionen werden von den reichen Ländern des globalen Nordens immer wieder ausgebremst, indem sie nicht ratifiziert und somit auch nicht in nationales Recht umgesetzt werden – wie zum Beispiel die Wanderarbeiterkonvention. Trotzdem würde mit diesem Recht auf Klimaflucht eine neue, international geteilte Basis entstehen, sodass die Probleme der Betroffenen ungleich ernster genommen werden müssten.
Aber hast Du nicht die Sorge, dass damit die anderen Gründe, weshalb Menschen fliehen oder migrieren, abgewertet werden?
Im Gegenteil, mit dem Recht auf Klimaflucht können wir als Aktivist:innen schlagkräftiger im öffentlichen Diskurs auftreten, um die bestehende rassistische Ignoranz zu durchbrechen. Auch die anderen Probleme könnten thematisiert werden, die direkt damit zusammenhängen: Armut, schlechte Regierungsführung, fehlender Zugang zu Land, das Recht auf Leben – all das würde stärker sichtbar werden. Denn der Klimageflüchtete wäre nicht mehr der junge Mann aus der Sahara mit einem Rucksack. Vielmehr würde es dann auch darum gehen, woher er kommt, und vor allem warum. Es hätte einen Mehrwert, wenn wir das im Paket diskursivieren würden.
Du hast schon öfter die Dürre im Sahel in den 1970er und 1980er Jahren erwähnt, von der heute bekannt ist, dass sie eine der ersten Folgen der Klimakrise war. Damals hast du in der Region Mopti im Zentrum Malis gelebt. Welche Erinnerungen hast du?
Die Situation war sehr hart, die meisten Tiere starben und Millionen Heuschrecken fraßen die wenige Hirse, die die Familien anbauten. Internationale NGOs gaben viel Geld aus, aber das Ergebnis war null. Ich war ein Teenager und sah zu, wie die Flugzeuge die Kisten mit Weizen abwarfen – wir bezeichneten sie in unserer Sprache als „Alkama“, etwas das unbekannt ist. Und das war es in der Tat: ein unbekanntes unbrauchbares Nahrungsmittel. Denn normalerweise aßen die Menschen im Zentrum Malis Hirse oder Mais, was mit Steinen kleingemahlen wurde. Aber der Weizen ist 10 Mal härter, und es gab eben keine Mörser, wie im Süden des Landes! Die Frauen waren sehr schwach, zudem brauchte es viel Brennholz für die Zubereitung von Weizen, doch auch das gab es kaum. Nichts ging, letztendlich wurde der Weizen stehengelassen.
Sie haben die Leute also nicht wirklich gefragt, was sie wollen?
Genau, es ist, als würde man jemandem Rindfleisch geben, der normalerweise nichts anderes als Spaghetti isst. Es gab dann viele Tote. Von den jungen Tuareg, die ungefähr ein Drittel der Bevölkerung im spärlich besiedelten Norden ausmachen, gingen viele nach Libyen, um als Söldner bei Gaddafi anzuheuern. Die gleichen Tuareg kamen nach dem Sturz von Gaddafi 2011 zurück und begannen Anfang 2012 im Norden Malis einen Aufstand. Insofern sind die heutigen Konflikte im Norden Malis auch eine indirekte Folge der Klimakrise in den 1970er und 1980er Jahren und der unangemessenen internationalen Hilfe.
Lass uns über unser gemeinsames Netzwerk Afrique-Europe-Interact sprechen: Was hat unsere Arbeit mit der Klimakrise zu tun?
Es gibt ganz verschiedene Verbindungen, vor allem dort, wo es um Landwirtschaft und Fischerei geht. Zum Beispiel ist in unserem Netzwerk der „Verein der Fischer aus Timbuktu“ aktiv. Der Verein ist seit 2010 in Bamako angesiedelt. Die Fischer:innen sind Klimageflüchtete, ihre Erträge wurden wegen des sinkenden Flusswasserspiegels immer kleiner, sie mussten deshalb vom Norden in den Süden wandern. Als Netzwerk haben wir sie beim Aufbau einer kleinen Fischzucht unterstützt, was ihre Position als Migrant:innen in Bamako enorm gestärkt hat. Letztlich sollte es immer darum gehen, die Bedürfnisse der Betroffenen ins Zentrum zu rücken, damit ihre Lebensweise nicht noch weiter destabilisiert wird.
Afrique-Europe-Interact arbeitet seit 2014 mit der Bauerngewerkschaft COPON zusammen, wo liegen hier die Verbindungen zur Klimakrise?
Die COPON ist im Bewässerungsgebiet des „Office du Niger“ aktiv, der Name kommt daher, dass das Office du Niger vom Niger-Strom gespeist wird. Und gerade in Zeiten des Klimawandels ist Bewässerung unverzichtbarer denn je. Entsprechend geht es bei einem der Hauptkämpfe der COPON um Wasser. Ausgangspunkt ist eine jährliche Gebühr, die der Staat erhebt, um die Instandhaltung des Kanalsystems zu finanzieren. Die Gebühr ist jedoch für die meisten bäuerlichen Haushalte zu hoch. Dennoch wird ihr Land konfisziert, wenn sie nicht fristgerecht zahlen. Zumindest war das in der Vergangenheit so. Mittlerweile haben sich die Bedingungen gelockert, so dass es nicht mehr zur Konfiszierung von Land kommt. Und das ist das Verdienst der COPON, die mit Unterstützung von Afrique-Europe-Interact eine jahrelange Kampagne gegen die Wassergebühren und den damit zusammenhängenden Landraub gemacht hat. Hierzu haben auch Solidaritätsproteste in Deutschland gehört – sowohl vor der malischen Botschaft als auch vorm Entwicklungsministerium. Gleichzeitig müssen wir wachsam bleiben. Denn ausgerechnet in diesem Jahr macht der Staat wieder mehr Druck, obwohl die Haushalte durch die verschiedenen Krisen extrem geschwächt sind.
In den Jahren 2019 und 2020 ist es im Office du Niger durch klimawandelbedingten Starkregen zu Überschwemmungen gekommen – die Situation wurde zudem durch schlecht gewartete Kanäle verschlimmert. Aber die Betroffenen haben kaum Unterstützung erhalten, auch nicht durch die internationale Gemeinschaft. Sollten wir nicht den Schutz der Bauern und Bäuerinnen im Rahmen von Klimareparationen einfordern?
Ja, das wäre gut, wir sollten auch die Einrichtung von umfassenderen Notfall-Fonds fordern, zusammen mit unserem Kampf für die Anerkennung des Rechts auf Klimaflucht.
Welche Fonds meinst du genau?
Es gibt diverse Fonds sowohl im Rahmen von Anpassungsgeldern aus dem UN-Klimaprozess als auch in anderen Programmen. Selbst der im November 2015 aufgelegte EU-Nothilfe-Fonds zur Bekämpfung von Fluchtursachen hat Anpassungs-Programme bezüglich der Klimakrise. Aber das Geld reicht nicht, zumal es immer wieder zu massiver Veruntreuung durch staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure kommt. Außerdem fließen 40 Prozent der Gelder in die Finanzierung von Migrationskontrolle. Es muss also mehr Geld international zur Verfügung gestellt werden und das sollte sich zu 100 Prozent auf die besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen und ihre spezifischen Bedürfnisse konzentrieren und nicht auf das Interesse der EU, Migration aus afrikanischen Ländern zu kontrollieren.
Und wie könnte eine verstärkte Zusammenarbeit von Afrique-Europe-Interact mit der Klimabewegung im Norden aussehen?
Es ist wie gesagt ein offenes Geheimnis, dass der politische Kampf im Westen oft nur für die westliche Welt geführt wird. Im Grunde ist es gut, was getan wird, aber es hat keinen Einfluss auf unsere alltägliche Realität im Süden des Globus. Zum Beispiel sind die Erhöhung der Temperaturen und die Veränderung der Niederschläge im Sahel überwiegend auf die Klimakrise zurückzuführen. Wir wollen etwas dagegen tun, aber die EU redet hauptsächlich von den dschihadistischen Gruppen im Sahel und militärischen Interventionen. Und das, obwohl die EU aus ihren eigenen Forschungen weiß, dass sich die Terroristen vor allem deshalb im Sahel festsetzen können, weil sie den Hunger und den Mangel der Leute dort ausnutzen. Das ist eigentlich völlig klar!
Aber nochmal: Was heißt das für die Zusammenarbeit mit Klimaaktivist:innen im Norden? Wir reden ja bei Afrique-Europe-Interact schon lange über die Schaffung von Klimagerechtigkeit von unten.
Eine engere Zusammenarbeit in Klimafragen wäre sehr wichtig, aber die Klimaaktivist:innen müssten wirklich bereit sein, sich unsere Themen anzueignen. Denn die meiste Zeit wollen die Zivilgesellschaften des globalen Nordens, dass die Zivilgesellschaften im Süden sich ihrer Themen annehmen, aber nicht umgekehrt. Wir denken derzeit darüber nach, Initiativen anzustoßen, bei denen sich einzelne Dörfer oder Gruppen in Mali – aber auch in anderen Regionen, wo Afrique-Europe-Interact aktiv ist – jeweils mit Klima-Gruppen aus dem globalen Norden in verbindlichen Kooperationen zusammenfinden. Es geht darum, die Kämpfe der Gruppen auf der afrikanischen Seite direkt und solidarisch zu begleiten. Zum Beispiel die Dörfer Sanamadougou und Sahou, die gegen Landraub kämpfen oder die COPON. Dafür braucht es eine gute gemeinsame Struktur durch regelmäßige Treffen und Gruppen per Internet und auch gegenseitige Besuche, soweit es umsetzbar ist, um ein Kennenlernen zu ermöglichen. Denn eine vertrauensvolle und verbindliche Kommunikation ist ein Schlüssel-Instrument in diesem Prozess. Dabei können wir auf die Erfahrungen von transnationaler Zusammenarbeit aufbauen, wie sie bei Afrique-Europe-Interact schon lange praktiziert wird. Denn klar ist, dass es ein Potenzial für weitergehende Dynamiken gibt – dieses muss allerdings genutzt werden, um die dringende Verstärkung von globalen Synergien zu ermöglichen, die in den lokalen südlichen Realitäten verankert sind.
Trossenstek: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?!, Ausgabe # 1 | Juli | 2021
Afrique-Europe-Interact (AEI) ist ein 2010 gegründetes transnationales Netzwerk mit Mitgliedsgruppen in verschiedenen afrikanischen und europäischen Ländern. Mehr Informationen zu unseren Aktivitäten finden sich auf unserer Webseite: www.afrique-europe-interact.net. Zum Thema dieses Interviews haben wir 2019 einen kleinen Artikel in unserer einmal pro Jahr erscheinenden Zeitung veröffentlicht: https://afrique-europe-interact.net/1815-0-taz-Beilage-12-2019.html. Wir freuen uns über Fragen und Anregungen, vor allem aber über konkretes Interesse an der Idee von solidarischen Kooperationen zwischen afrikanischen und europäischen Gruppen und Netzwerken! Kommt gerne auf uns zu.