Die Reihe Alltagshelden berichtet von Heldinnen und Helden, die sich in den verschiedensten Bereichen im Alltag einbringen und andere durch ihr Engagement dazu inspirieren, selbst aktiv zu werden. Was motiviert, sich in der Gesellschaft zu engagieren? Welchen Herausforderungen sieht man sich gegenüber? Was kann jede:r Einzelne von uns tun? Wir haben direkt nachgefragt.
In den letzten Jahren hat sich Costa Rica, ein kleines Land in Mittelamerika, zu einem Vorreiter und Nachahmbeispiel für Ökotourismus hochgearbeitet. Im Jahr 2018 hat eine Rekordzahl von über drei Millionen Touristen das Land von gerade mal fünf Millionen Einwohnern besucht. Costa Rica wirbt mit einer außergewöhnlichen Biodiversität, hohen Dienstleistungsstandards und viel Sicherheit für Reisende, denn schließlich hat das Abschaffen ihrer Streitkräfte den „Ticos“ erlaubt, in das Wohl ihrer Leute, sowie in ihr Gesundheits- und Bildungswesen zu investieren. Die seit 1949 stabile Demokratie landet beim Ranking des „Weltglücksindex“ stets auf den vorderen Plätzen und gilt als eins der „glücklichsten Länder“ der Welt.
Eine Seite von diesem tropischen Touristenparadies bekommen aber die Besucher nicht zu sehen. Mit nur 2,4%1 indigenem Bevölkerungsanteil, weist Costa Rica die bei weitem kleinste indigene Bevölkerung in Mittelamerika auf. In Costa Rica gibt es acht indigene Völker, die 24 Ländereien bewohnen2. Die große Mehrheit dieser Ländereien befindet sich im Süden des Landes, entlang der Grenze zu Panama. Sie sind meist durch geographische Objekte wie Flüsse und Gebirgsketten definiert und liegen in weit abgelegenen, schwerst zugänglichen Urwaldgebieten. Die soziale Gerechtigkeit hat ihren Weg hierhin noch nicht gefunden. Gerade mal seit April 1991 wird diesen ethnischen Gruppen die offizielle costa-ricanische Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen zivilen Rechte zugestanden. Indigene Kinder besuchen die Schule im Durchschnitt ganze drei Jahre weniger als andere Kinder und 70,1% der Haushalte können mindestens ein Grundbedürfnis (Wohnen, Gesundheit, Bildung sowie Zugang zu Waren und Dienstleistungen) nicht decken, während diese Zahl im restlichen Land nur 24,6% beträgt2. Obwohl fast 90% der indigenen Menschen am landesweiten, öffentlichen Gesundheitsystem teilnehmen, unterscheidet sich ihre Versorgung sehr von den Optionen anderer „Ticos“2.
Guillermo Cubillo, 44 Jahre alt, Vater zweier Kinder (Tochter und Sohn), an der Universidad de Costa Rica und am Universitätsklinikum Würzburg ausgebildeter Arzt, hat sein Berufsleben unter indigenen Völkern verbracht. Diesen besonderen Werdegang beschritt Dr. Cubillo während seines ersten Dienstjahres, als er den obligatorischen „Servicio Social“ an der Seite des Dr. Carlos van der Laat in der indigenen Gemeinde „Grano de Oro“ verbrachte. Das Samenkorn war gelegt und Guillermo widmete sich der Verbesserung der medizinischen Diagnosemöglichkeiten vor Ort für die Cabécares in Turrialba und später in Telire. Dieses Interview findet nun 20 Jahre nach seinem „Servicio Social“ statt – kurz vor einem Familienumzug nach Baden-Württemberg, der Heimat seiner Frau.
Woraus schöpfst Du Deine Motivation, weit über die Erwartungen an deine ärztliche Dienstleistung hinaus zu wachsen?
Es war mir von Anfang an klar, dass ich mehr machen musste, wenn ich die medizinische Versorgung dieser Völker ernsthaft verbessern wollte, als das, was mir die Mittel der Institution erlaubten. Die Qualität der geleisteten Versorgung vor Ort musste viel besser werden, wenn wir die gesundheitliche Kluft der armen Bevölkerung wirklich überwinden wollten. Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt, nachdem ich in Deutschland meine Spezialisierung für den Umgang mit Ultraschallgeräten für Diagnosezwecke absolvierte und die Deutsche Botschaft in San José sowie COPAL e.V. – Herzen für Lateinamerika in Würzburg meinen Anträgen auf eine Spende zweier Ultraschallgeräte zustimmten. Wir haben ein stationäres, hochauflösendes Gerät für den Ebais (kleinste, lokale Behandlungseinrichtung) von der hiesigen Behörde bekommen und konnten es mit den gespendeten mobilen Einheiten ergänzen, die wir auf unsere Touren in die Dörfer mitnehmen.
Die Vorteile, die wir sofort sehen konnten sind folgende:
- Ohne eine zuverlässige Diagnose mussten wir oft Patienten zum nächsten Krankenhaus in Limón überweisen. Das ist eine Reise von 4 oder 5 Stunden für die 80 Kilometer. Nach dem Einsatz der Ultraschallgeräte konnten wir 90% der Probleme selbst und vor Ort lösen und die restlichen 10% wurden direkt nach San José überwiesen, weil wir schwere oder komplexe Leiden diagnostizierten, die sowieso nicht in Limón behandelt werden können.
- Die indigene Bevölkerung leidet nicht an kardiovaskuläre Erkrankungen, weil sie nicht an Übergewicht leiden, aber Krebsdiagnosen sind häufig. Ich kann mich besonders an den Fall einer über 80 jährigen Patientin erinnern, bei der wir einen Gallenblasenkrebs diagnostizieren konnten. Nach erfolgreicher Behandlung in San José konnte sie sehr bald wieder zu ihrer Familie zurückkehren.
Die Gemeinde hat auch durch den Einsatz von anderen Materialien und Geräten profitiert. Ich habe den Kontakt zu einer Organisation in Deutschland hergestellt, die COPAL e.V., die mir ebenfalls mit Spenden geholfen hat. Mit deren Unterstützung konnte ich mehrere verschiedene medizinische Ausrüstungsgegenstände und Materialien in Deutschland kaufen und sie nach Costa Rica bringen. So zum Beispiel verfügen wir jetzt über Teststreifen und Analysegeräte vor Ort, die wirklich einen Unterschied machen. Speziell in der Diagnose von Schilddrüsenkrebs haben wir die durchschnittliche Diagnosezeit durch gezielte Biopsienuntersuchungen von fast zwei Jahren auf zwei bis vier Wochen verringern können. Die Aussicht im Falle eines positiven Befunds änderte sich dramatisch.
Diese Veränderungen haben definitiv die medizinische Versorgung vieler indigener Menschen verbessert. Welche ist die größte Herausforderung, der Du Dich in den vielen Jahren stellen musstest?
Obwohl ich mit sehr praktischen Ergebnissen die positive Wirkung dieser Diagnosemöglichkeiten vor Ort zeigen kann, ist die öffentliche Verwaltung mein größtes Problem. Ich habe es nur bedingt geschafft, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass es mehr Sinn macht, $ 2.000 für Teststreifen und mobile Geräte auszugeben, als für den Hubschraubertransport eines einzelnen Patienten. Ich erinnere mich an einen vierjährigen Patienten, der einen geschwollenen Arm hatte. Weil ich kein mobiles Röntgengerät hatte, musste das Kind nach Limón ausgeflogen werden. Es stellte sich heraus, dass er nur einen Spaltbruch hatte, den wir vor Ort hätten eingipsen können.
Ich bin jedoch dankbar für die Fortschritte, die wir erzielt haben. Erst vor Kurzem wurde ein neues Gebäude vor Ort in Telire fertiggestellt. Es verfügt über eine Solaranlage, die unabhängiges Betreiben für bis zu fünf Tage garantiert und ist mit einer guten Grundausstattung versehen. Wir hoffen, dort bald ein stationäres Ultraschallgerät installieren zu können.
Es gibt mit Sicherheit viele positive Erinnerungen für Dich, aber kannst Du eine davon als deinen größten Erfolg hervorheben?
Ja, ich habe wirklich viele positive Erinnerungen und Erfahrungen. Etwas ganz Besonderes ist für mich die Geschichte einer jungen Frau, die während meiner Zeit in Grano de Oro von einer Lanzenotter (Giftschlange) gebissen wurde. Sie hatte ein sechs Monate altes Baby dabei. Weil uns kein Hubschrauber zur Verfügung stand, haben wir uns entschieden, sie zwei Tage lang zu Fuß durch die bergige und von Bächen und Flüssen durchzogene Landschaft zur nächsten Behandlungseinrichtung zu tragen. Wir konnten ihr Leben retten, auch wenn ihr Fuß amputiert werden musste. Jahre später habe ich sie und ihre dann große Tochter getroffen. Es war eine sehr emotionale Begegnung.
Wie können andere den indigenen Völkern Costa Ricas helfen?
Da fällt mir das Beispiel von Petra und Peter in Zwiesel, Bayern ein. Ich habe sie beide durch Univ. Prof. Dr. med. Ertl, der damalige medizinische Leiter des Uniklinikums Würzburg, kennengelernt. Petra ist Frisöse und bittet ihre Kunden um Spenden für meine Projekte. Sie zeigt ihnen Fotos von dem, was wir bisher geschafft haben, und hat immer guten Zuspruch. Zusammen mit Peter haben sie die Anschaffung eines Coagulometers in Höhe von ca. €3.500 finanziert und unterstützen mich weiterhin mit einer jährlichen, sachgebundenen Spende für die dafür benötigten Teststreifen. Ich schätze, dass etwa 40 sehr, sehr arme und gefährderte Patienten direkt davon profitieren.
Ich bin überzeugt, dass kleinste Spenden eine große Auswirkung haben können. Wenn weiterhin einzelne Menschen helfen, können wir zusammen die Ausstattung vor Ort verbessern. Ich hoffe sehr, mich jetzt, wenn ich mit meiner Familie nach Deutschland ziehen werde, weiterhin aktiv um Geld- oder Materialspenden bemühen zu können, um sie regelmäßig nach Costa Rica zu bringen. Natürlich ist der Einsatz von Organisationen wie der bereits erwähnten Copal e.V. auch sehr wichtig und auch da hoffe ich, weitere Möglichkeiten zu erschließen.
[1] https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/costa-rica/
[2] https://www.uned.ac.cr/extension/images/ifcmdl/02._Censo_2011._Territorios_Indigenas.pdf