Wir sind schuld am größten Artensterben in der Geschichte der Menschheit. Doch es gibt eine Lösung, wenn wir jetzt handeln.
Die Natur befindet sich in einer Krise und wir sind daran schuld. Wir befinden uns inmitten des sechsten Artensterbens, dem größten Schwund an Arten in der Geschichte der Menschheit. Fast ein Drittel der Süßwasserarten sind vom totalen Aussterben bedroht. Das gilt auch für 40 Prozent der Amphibien, 84 Prozent der großen Säugetiere, ein Drittel der riffbildenden Korallen und fast ein Drittel der Eichen. Nashörner und Elefanten werden in einem so alarmierenden Ausmaß abgeschossen, dass sie bis 2034 komplett aus der Wildnis verschwunden sein könnten. Aufgrund von illegalen Fischernetzen, Pestiziden und Bewässerung könnte es weniger als zehn Vaquita geben – eine Art Schweinswal, der im Golf von Kalifornien in Mexiko beheimatet ist . Es gibt 130.000 Pflanzenarten, die noch zu unseren Lebzeiten aussterben könnten. Insgesamt sind etwa 28 Prozent der erfassten Pflanzen- und Tierarten auf unserem Planeten vom Aussterben bedroht.
Der rasante Arten-Rückgang hat sich in den letzten Jahren vollzogen: Allein in den letzten 50 Jahren gingen 60 Prozent der Wildtierpopulationen auf dem Planeten verloren. Wissenschaftler:innen warnen: Wenn wir nicht handeln, könnten in den kommenden Jahrzehnten mehr als 1 Million Arten für immer von der Erde verschwinden.
Unsere Mitbewohner:innen werden zu stark gejagt, überfischt und für unsere Nahrung, Kleidung und Medikamente übermäßig ausgebeutet. Und diejenigen, die wir nicht töten, verlieren ihre Heimat, da wir ihre natürlichen Lebensräume zerstören, um Platz für unsere Farmen und Städte zu schaffen und um Brennstoffe, Mineralien, Holz und andere Ressourcen für die menschliche Gesellschaft zu gewinnen. Die Lebensräume, die wir nicht vollständig ausrotten, verschmutzen wir mit einer Vielzahl giftiger Substanzen, von Pestiziden und Plastik bis hin zu Kohlendioxid, Fracking-Chemikalien und invasiven Arten. Wir verschmutzen sogar die Lebensräume von Wildtieren mit unserem Licht und Lärm. Wissenschaftler:innen befürchten, das Schlimmste steht uns noch bevor. Wie die International Union for Conservation of Nature warnt, wird erwartet, dass sich die weltweite Ausrottungskrise mit dem Wachstum der menschlichen Bevölkerung verschlimmert.“ Nach Angaben des Population Reference Bureau wird die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich 9,9 Milliarden Menschen erreichen. Das sind mehr als 25 Prozent mehr Menschen auf dem Planeten als die 7,9 Milliarden, die derzeit auf der Erde leben. Andere Arten werden mit Sicherheit verdrängt.
Biodiversität ist nicht nur schön, sie ist essentiell für die Gesundheit und den Erhalt der Ökosysteme unseres Planeten, die wiederum entscheidend für die menschliche Gesundheit sind. Neben der Bereitstellung von Nahrung, Medikamenten und Lebensgrundlagen für Milliarden von Menschen trägt die Biodiversität dazu bei, die grundlegenden lebenserhaltenden Elemente der Erde wie sauberes Wasser, saubere Luft und die Bestäubung von Pflanzen aufrechtzuerhalten, sowie kritische Ökosystemleistungen wie die Bodenfruchtbarkeit, die Zersetzung von Abfällen und die Erholung von Naturkatastrophen.
„Ob in einem Dorf im Amazonasgebiet oder in einer Metropole wie Peking, die Menschen sind von den Leistungen der Ökosysteme abhängig“, schreibt Julie Shaw, die Kommunikationsdirektorin des Critical Ecosystem Partnership Fund, einer gemeinsamen Initiative der französischen Entwicklungsagentur, Conservation International, der Europäischen Union, Global Environment Facility, der japanischen Regierung und der Weltbank. „Ökosysteme, die durch den Verlust der biologischen Vielfalt geschwächt sind, können diese Leistungen weniger gut erbringen, insbesondere angesichts der Bedürfnisse einer ständig wachsenden menschlichen Bevölkerung.“
Es gibt auch einen massiven wirtschaftlichen Nutzen von Biodiversität. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) – ein drei Jahrzehnte altes internationales Abkommen, das von 193 Ländern (darunter nicht die USA) unterzeichnet wurde – weist darauf hin, dass „mindestens 40 Prozent der Weltwirtschaft und 80 Prozent der Bedürfnisse der Armen von biologischen Ressourcen abgedeckt werden.“ Damian Carrington, der Umweltredakteur des Guardian, schreibt, dass Ökosystemleistungen „schätzungsweise Billionen von Dollar wert sind – das Doppelte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Verlust der biologischen Vielfalt allein in Europa kostet den Kontinent etwa 3 Prozent seines BIP [546 Millionen Dollar] … pro Jahr.“
Was kann also getan werden, um das rasante Artensterben zu verhindern und die Artenvielfalt der Welt zu schützen? Im April 2019 beantwortete eine Gruppe von 19 prominenten Wissenschaftler:innen diese Frage, als sie den „Global Deal for Nature“ (GDN) veröffentlichten, einen „zeitgebundenen, wissenschaftsgetriebenen Plan zur Rettung der Vielfalt und der Fülle des irdischen Lebens“, der in Verbindung mit dem Pariser Klimaabkommen dazu dienen soll, „einen katastrophalen Klimawandel zu vermeiden, Arten zu erhalten und essentielle Ökosystemleistungen zu sichern.“
Um ihr Ziel, „eine lebenswertere Biosphäre zu sichern“, in die Tat umzusetzen, formuliert der GDN sein Hauptanliegen in dem Vorschlag „30×30“: 30 Prozent der Erde bis 2030 in ihrem natürlichen Zustand zu erhalten. Die Idee hat Anklang gefunden: 50 Nationen, angeführt von Costa Rica, Frankreich und Großbritannien, haben sich der Bewegung angeschlossen, um die 30×30-Vision zu verwirklichen, große Teile intakter Ökosysteme vor Ausbeutung zu schützen.
„Der Schutz von 30 Prozent des Planeten wird zweifellos die Lebensqualität unserer Bürger:innen verbessern und uns helfen, eine gerechte, emissionsfreie und widerstandsfähige Gesellschaft zu schaffen“, sagte Andrea Meza, Costa Ricas Umweltministerin. „Die Erhaltung und Wiederherstellung der Natur sind ein wichtiger Schritt für das menschliche Wohlergehen, die Schaffung von Millionen hochwertiger Arbeitsplätze und die Erfüllung der 2030-Agenda, insbesondere als Teil unserer Bemühungen um eine nachhaltige Regeneration.“.
Auch Nichtregierungsorganisationen haben sich dem Aufruf angeschlossen. Die Wyss Foundation, eine private, gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Washington, D.C., die sich der „Stärkung von lokalen Gemeinschaften und der Verbundenheit zum Land“ verschrieben hat, schloss sich mit National Geographic zusammen, um die Wyss-Kampagne für die Natur ins Leben zu rufen – „eine Investition von einer Milliarde Dollar, um [Nationen,] Gemeinschaften [und] indigene Völker zu unterstützen“, um das 30×30-Ziel zu erreichen. Die Kampagne hat eine öffentliche Petition gestartet, die zum sofortigen Handeln aufruft, um die Ökosysteme zu schützen, die noch nicht vollständig von der unerbittlichen Ausbreitung der Menschheit zerstört worden sind. „30 Prozent unseres gesamten Planeten bis 2030 zu schützen (30×30) ist ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel“, behauptet die Kampagne. „Um es zu erreichen, müssen sich alle Länder das Ziel zu eigen machen und dazu beitragen; die Rechte der Ureinwohner:innen müssen respektiert; und die Schutzbemühungen müssen vollständig finanziert werden.“
Und obwohl die USA kein Unterzeichner des CBD-Vertrages sind, kann Präsident Biden einseitige Maßnahmen ergreifen, indem er die Krise des Wildtiersterbens zum nationalen Notfall erklärt. „Die Erklärung unter dem National Emergencies Act ist nicht nur symbolisch“, sagt das Center for Biological Diversity, eine gemeinnützige Naturschutzorganisation mit Sitz in Tucson, Arizona, die eine öffentliche Petition gestartet hat, die den Präsidenten dazu auffordert, diesen wichtigen und mächtigen Schritt zu tun. „Es wird wichtige präsidiale Befugnisse freisetzen, um den Verlust von Tieren und Pflanzen in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus aufzuhalten“, sagt die Gruppe.
Bidens Erklärung würde die notwendigen Bundesressourcen bereitstellen, um mit dem Schutz von Hunderten von Arten zu beginnen – darunter der Monarchfalter, die Östliche Gopherschildkröte und der Nördliche Fleckenkauz – , die auf der Warteliste für den Schutz unter dem Endangered Species Act schmachten. Diese Maßnahmen könnten beinhalten, dass Bundesbehörden angewiesen werden, die Ausbeutung von Wildtieren einzudämmen, kritische Lebensräume für Wildtiere im Bundesland zu schützen und den wirtschaftlichen Einfluss der Nation zu nutzen, um den Lebensraum von Wildtieren auf der ganzen Welt vor Abholzung und Umweltschäden durch den privaten Sektor zu schützen.
Glücklicherweise gibt es internationale Unterstützung, um die 30×30-Vision zu verwirklichen. Wenn die 15. Vertragsstaatenkonferenz des CBD im Oktober in Kunming, China, zusammentritt, stehen die Chancen gut, dass die Delegierten eine feste multilaterale Verpflichtung eingehen werden: Der aktuelle „Zero Draft“ des globalen Rahmenwerks, das die Schutzbemühungen bis 2030 steuern soll, enthält die 30×30-Vision als ausdrückliches Ziel.
„Wir verlieren jede Stunde eine Tierart, aber das Aussterben ist nicht unvermeidlich“, sagte Tierra Curry, eine leitende Wissenschaftlerin am Center for Biological Diversity, im Dezember. „Wir können das Aussterben mit Finanzierung und politischem Willen beenden. Wir müssen aufhören, Ausflüchte zu machen und die mutigen politischen Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um das Leben auf der Erde zu retten.“
Dieser Artikel von Reynard Loki wurde von Earth | Food | Life produziert, einem Projekt des Independent Media Institute. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Reynard Loki ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Independent Media Institute, wo er als Redakteur und Chefkorrespondent für Earth | Food | Life tätig ist. Zuvor arbeitete er als Redakteur für Umwelt, Ernährung und Tierrechte bei AlterNet und als Reporter für Justmeans/3BL Media, wo er über Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung von Unternehmen berichtete. Er wurde 2016 von FilterBuy zu einem der Top 50 Health & Environmental Journalists to Follow ernannt. Seine Arbeiten wurden vom Yes! Magazine, Salon, Truthout, BillMoyers.com, Counterpunch, EcoWatch und Truthdig veröffentlicht, um nur einige zu nennen.