Seit dem Urteil von Bezirksrichterin Vanessa Baraitser am 4. Januar 2021 gibt es keine monatlichen „technischen Anhörungen“ mehr im Fall von Assange. Der Grund dafür ist bisher nicht eindeutig bekannt.
Das hat unter anderem zur Folge, dass eine regelmäßige Berichterstattung über den Inhalt und Verlauf der Anhörungen entfällt, was weniger öffentliche Aufmerksamkeit für den Fall bedeutet – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Julian Assange hat nach wie vor den Status „prisoner on remand“ – er wird lediglich auf Verdacht gefangengehalten, und das seit dem 22. September 2019. Seit diesem Datum hat er eine völlig unverhältnismäßige Haftstrafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen abgesessen.
Am 4. Januar 2021 hatte Bezirksrichterin Vanessa Baraitser eine von den USA geforderte Auslieferung von Julian Assange einzig und allein aus so genannten „humanitären Gründen“ abgelehnt, da in dem menschenverachtenden Gefängnissystem der USA ein Suizid höchst wahrscheinlich sei. In diesem Urteil bestätigte Baraitser jedoch alle 18 Anklagepunkte der USA, die reguläre Tätigkeiten des investigativen Journalismus als Spionage darstellen. Sollte dieses Urteil nicht von Assanges Anwälten angefochten werden, bedeutet dies nichts anderes als eine Kriminalisierung des Journalismus, wie UN-Experte und Völkerrechtler Prof. Nils Melzer im Interview mit dem Österreichischen Journalist*innen Club eindrücklich darlegt.
Die USA kündigten ihrerseits umgehend an, Berufung gegen Baraitsers Urteil einlegen zu wollen. Dieses Verfahren zieht sich nun schon seit Wochen und Monaten in die Länge, und derzeit scheint niemand so genau zu wissen, wann und wie es weitergeht.
Assanges Verlobte Stella Moris berichtete laut Daily Mail am 5. Juni, dass eine Entscheidung über eine Zulassung oder Abweisung der US-Berufung kurz bevorstehen könnte.
Selbst wenn diese Entscheidung bald fällt, deutet vieles darauf hin, dass die Behörden sich mit allen weiteren Abläufen extrem viel Zeit lassen werden.
Es hat ganz den Anschein als wolle man den WikiLeaks-Journalisten bewusst durch ein maßlos in die Länge gezogenes Verfahren abstrafen und gleichzeitig andere Journalist*innen damit einschüchtern. Dieser Missbrauch von Justizverfahren zur Abstrafung von Dissidenten, im Englischen ‚Lawfare’ genannt, ist ein deutliches Alarmsignal für den Zustand der hier verantwortlichen Rechtsstaaten, und auch der Rechtsstaaten, die es sich als schweigende Zuschauer*innen bequem gemacht haben.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Am 11. Juni wandte sich zu Beginn des G7-Gipfels in Cornwall eine partei-übergreifende Gruppe von 24 britischen Parlamentarier*innen an US-Präsident Joseph Biden mit dem dringenden Appell, die Anklage gegen Julian Assange fallenzulassen. Der Abgeordnete Richard Burgon (Labour Party) hielt dazu eine Rede im britischen Parlament.
Am 4. Juni meldete sich in Genf ein starkes Bündnis zu Wort: Die Journalisten-Organisation Geneva Press Club richtete zusammen mit dem UN-Sonderberichterstatter Prof. Nils Melzer und der Stadtpräsidentin von Genf, Frédérique Perler den Genfer Appell für die Freiheit von Julian Assange an US-Präsident Biden und die britischen Behörden. Auch alle Staaten, die sich als demokratisch ansehen sowie internationale Organisationen und die Medien sind aufgefordert, tätig zu werden und unabhängig, kritisch und mutig über den Fall von Assange zu berichten.
Im Genfer Bündnis ebenfalls vertreten sind u.a. Stella Moris, WikiLeaks-Botschafter Joseph Farrell, Mitglied des Ständerates Carlo Sommaruga, der Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen Christophe Deloire, der Initiator der Initiative „Humanitäres Visum für Assange“ Jean Rossiaud und der Künstler Davide Dormino. Dorminos mobile Skulptur „Anything to Say“ wurde am 4. Juni in Genf ausgestellt.
Den Genfer Appell kann weiterhin als Petition von Unterstützer*innen mitgezeichnet werden.
Der Schweizer Blick brachte zu dieser Gelegenheit ein Interview mit Stella Moris, in dem sie u.a. über die Haftbedingungen ihres Verlobten Julian Assange berichtet.
Bereits am 19. April 2021 erschien das erschütternde Buch von Prof. Nils Melzer über den Fall von Julian Assange, publiziert im Piper-Verlag. Ein Bericht darüber wird in Kürze auf diesem Blog zu finden sein. Hervorragende Rezensionen dazu gibt es bereits im Standard und auf den NachDenkSeiten. Am 20. April stellte Prof. Melzer sein Buch beim Österreichischen Journalist*innen Club vor.
Seit dem 6. Juni sind der Vater und der Halb-Bruder von Julian Assange, John und Gabriel Shipton auf einer Tour quer durch die USA, unter dem Motto Home Run 4 Julian. Bis zum 2. Juli reisen sie in verschiedene Städte, um sich dort mit Aktivist*innen, Politiker*innen und der Presse zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Gestartet sind sie am 6. Juni in Miami, gefolgt von Boston, wo Julian Assange den Sacco-Vanzetti Award erhielt, der stellvertretend von seiner Familie entgegengenommen wurde. In New York gab es eine Podiums-Diskussion mit den Shiptons, Roger Waters (Pink Floyd) und anderen Gästen. Weitere Stationen sind u.a. Washington, Chicago, Denver, San Francisco und Los Angeles.
Am 3. Juli schließlich steht der 50. Geburtstag von Julian Assange an. Erneut wird der Ausnahme-Journalist nicht in Freiheit feiern dürfen, getrennt von seiner Familie, im Hochsicherheitsgefängnis eingepfercht auf 6m2 in einer winzigen Zelle, die noch nicht einmal genügend Raum für ein Minimum an sportlicher Betätigung hat. Er kann seine Tage also nur sitzend verbringen. Das mitten im Mutterland der Demokratie.
Zu seinem Geburtstag werden weltweit wieder zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen stattfinden. Menschen auf der ganzen Welt nehmen die politische Verfolgung und Folter an Julian Assange nicht hin und stehen geschlossen dagegen auf, gerade auch in Deutschland:
In Deutschland sind Aktionen geplant u.a. in Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Flensburg und Ulm. Infos dazu und weitere Termine gibt es wie immer auf www.freeAssange.eu.