Was wäre die Politik bloß ohne einen Feind, schlimmer noch: einer Handvoll Feinde? Wahrscheinlich sachlicher und respektvoller, die internationale Politik weniger aufregend. Und friedlicher, viel friedlicher. Bestimmt aber besser.
Was sich für die einen, die wohl meisten Menschen verlockend vernünftig und erstrebenswert anhört, ist für die wenigen anderen, in der Regel machtbesessene und selbstherrliche Menschen erschreckend geschäftsschädigend und antiimperialistisch. Eine Gesellschaft ohne Feinde. Nun kommen Letztere für gewöhnlich nicht nur gerne und traditionell aus dem politischen Westen, stehen dort auf den Gehaltslisten oder sonst wie unter der Fuchtel, sie sitzen auch an den Hebeln der Macht oder besitzen diese gleich ganz, um neue Feinde wie den islamistischen Terrorismus auf die Agenda zu zaubern, ausgelutschte in nigelnagelneue Feinde zu verwandeln oder uralte Feindschaften auf keinen Fall vergessen zu machen. Das heißt: unbedingt am Leben zu erhalten. Der nach der Selbstauflösung des Warschauer Pakts und dem unter US-Regie doch irgendwie misslungenen Übernahmeversuch Russlands unter Boris Jelzin in den 1990er-Jahren behutsam und zielstrebig neu aufgebaute Spitzenreiter unter den Lieblingsfeinden der von Angelsachsen kontrollierten NATO ist also keine Überraschung und natürlich nach wie vor Russland. Zwar mischt China in Teilen Europas mit, das Reich der Mitte reicht geografisch aber noch immer nicht an die Grenzen Europas heran. Und auch den Mullahs im Iran ist es unmöglich, über den Landweg an Europas Türen zu klopfen. Dummerweise liegt die komplette Türkei im Weg. Einer der liebsten alten Feinde ist dagegen der überschaubare Inselstaat Kuba. Und zwar weil es noch immer so unbeugsam vor der Küste der auch Brüssel übergeordneten Kommandozentrale, den Vereinigten Staaten von Amerika ausharrt.
Es ist ja nicht so, als hätte Russland gegen diverse Zusagen nach dem Mauerfall oder gegen den Zwei-plus-vier-Vertrag verstoßen. Das war immerhin die NATO mit ihrem hinterhältigen Anschleichen bis an die Grenzen der Russischen Föderation. Auch die Kubaner haben dem US-Versuch einer verschwörerischen Invasion an den Stränden Playa Girón und Playa Larga, besser bekannt als Schweinebucht nicht zum Konter auf Washington geblasen, was ihr gutes Recht gewesen wäre. (1) Aber so genau nimmt man das im politischen Westen dann besser nicht, zumindest wenn es nicht zum eigenen Vorteil reicht. Also müssen Dopingskandale, Skripals, Nowitschoks, Fake News, dubiöse böse Achsen oder das Schreckgespenst des kommunistischen Zentralismus für mehr Selbstgerechtigkeit herhalten. Dass die Menschen im Westen und im Rest der Welt sowieso immer stärker von staatskapitalistischem Oligarchen-Zentralismus via Think Tanks, Konzernen und Konsorten im Würgegriff gehalten werden, ist an dieser Stelle geschenkt und führt sowieso zu weit.
Nun sind also Handlungen jedenfalls nach der Verfassung des vereinten Deutschlands, »die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.« (2)
Diese Worte sind längst schon Schnee von gestern. Und was bitte war mit dem Hinweis der Straffälligkeit gemeint? Wer sollte das denn überhaupt einfordern und umsetzen? Der gut gemeinte Karnevalsverein in Den Haag? Oder die zu rein dekorativen Zwecken eingerichtete Generalversammlung der Vereinten Nationen für mehr Ablenkung der sich ständig blockierenden und deswegen willkürlich durch die Welt agierenden fünf Siegermächte über Nazi-Deutschland im UN-Sicherheitsrat? Das alles ist nicht einmal mehr der Rede wert. Schnee von gestern ist aber auch, dass die deutschen Linken (mit ein paar Ausnahmen) und die Grünen (eigentlich ohne Ausnahmen) anderen Völkern und Religionen gegenüber friedlich und respektvoll oder eben antiimperialistisch eingestellt waren, was zwangsläufig zu einer NATO-kritischen Haltung führte. Das sind heute weder die einen und die anderen immer weniger.
Grüne Führerinnen und Führer würden Russland mittlerweile am liebsten mit der ganzen »Härte«, noch viel schärferen Sanktionen und mit »Gewehren, die schießen, und Nachtsichtgeräten, die funktionieren«, bei robusten europäischen Militäreinsätzen, so zum Beispiel die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, auf einem olivgrünen Schlachtfeld ihrer Wahl zu Tode gendern, womit zwar jede Menge stacheldrahtähnlicher Sternchen und zungenbrechender Stolpersteine zur Zersetzung der eigenen Sprache verteilt würden, man vielleicht das Englische gleich komplett übernehmen sollte, aber nicht einer misshandelten oder benachteiligten Frau geholfen wäre. Weder in Russland noch in Deutschland oder in den USA. Bei anderen Grünen wie dem Co-Parteichef Robert Habeck oder dem ehemaligen Atlantik-Brücke-Mitglied, Beiratsmitglied der Atlantischen Initiative und Gründungskurator der linientreuen Amadeu Antonio Stiftung, Cem Özdemir, oder der zensurfreudig russophoben Marieluise Beck mit ebenfalls besten transatlantischen Vernetzungen hört sich das kein bisschen friedlicher an. (3) (4) Auch bei den Linken sind Imperialismus, Angriffskriege und faschistoide Grundrechtseinschränkungen auf dem Weg zum Steigbügelhalter kein Problem mehr. Die Co-Vorsitzende Katja Kipping oder Stefan Liebich, über mehrere Jahre Mitglied der Atlantik-Brücke und Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sind nur zwei Beispiel der zunehmenden Akzeptanz für NATO-Kriege, Russlandbashing oder völlige Gleichgültigkeit für die Belange der unterdrückten Palästinenser bei der Linkspartei. Die deutschen Linksanführer möchten eben auch mal mitregieren und vorauseilenden Gehorsam demonstrieren, um sich bei den Grünen, der SPD oder wem auch immer so richtig anbiedern zu können.
Die Heuchelei Kippings im Fall Alexei Nawalny: »Es sagt viel über die Zustände im heutigen Russland aus, dass nicht diejenigen, die einen Mordanschlag verübt haben, gerade vors Gericht gebracht werden, sondern das Opfer eines Mordanschlags unter irgendwelchen Vorwänden in Gefängnis gesteckt wird.« Nun könnte man auch an Julian Assange denken, hätte sie nicht Russland gesagt. Der ist aber nicht gemeint. Denn wenn es um Wikileaks, also die Aufdeckung der Kriegsverbrechen des Wertewestens und dem deswegen eingekerkerten Journalisten Assange, also um die Zustände im goldenen Westen, hier der britischen oder der US-Regierung samt ihrer Lakaien geht, tauchen die rot lackierten Kippings einfach ab. (5) Und Edward Snowden sitzt zwar immer noch in Moskau im Asyl. Aber das ist linksgrünen Wohlstandskreisen in den Hauptstädten heute so was von egal, wie dann noch die Beispiele Chelsea Manning, Guantanamo Bay oder die ganz große Enthüllungsnummer mit den einer herrschenden Oligarchie so hinderlichen Grundrechte belegen. Überhaupt, wer oder was waren Manning, Guantanamo und Grundrechte? Neue E-Modelle von Tesla, Startups der Share Economy zur Abschaffung individueller Unabhängigkeit und ein Bachelorstudiengang in Zeitgeschichte? Egal, es winkt die verlockende Aussicht auf ein klitzekleines bisschen Macht und Blitzlicht. Dafür tut man in der Politik ja alles, wobei das Verbiegen (etwa nach erfolgreicher Unterwanderung) noch eine der einfacheren Übungen zu sein scheint. Und von politischen Mordaufträgen, also von Verschwörungstheorien, wollen wir sowieso nichts hören, das ist Sache der Geheimdienste, denn die dürfen das, solange es unsere sind, um Leute wie Fidel Castro loszuwerden oder ein bisschen durch die Welt zu putschen.
Europa kann aber nicht nur nach Osten marschieren. Europa kann auch anders. Verbal und wirtschaftlich etwa gegen Kuba aufrüsten. Die Asamblea Nacional Poder Popular Cuba, der Ausschuss für Internationale Beziehungen der Nationalversammlung Kubas, schreibt am 4. Juni 2021, dass es einer kleinen Gruppe von Abgeordneten »die auf die Agenda Washingtons eingehen, gelungen ist, in die nächste Plenarversammlung des Europäischen Parlaments, die am 8. Juni stattfindet, einen Punkt« zur politischen Lage in Verbindung mit den Grund- oder eben Menschenrechten in Kuba aufzunehmen. Nicht die unter dem Vorwand der Corona-Krise weltweit und besonders in Deutschland eifrig über den Haufen geworfenen Grundrechte zur möglichst kompletten Durchimpfung der am besten gesamten Weltbevölkerung zum Wohle besonders von Big Pharma, nicht bevollmächtigter Stiftungen und keineswegs gewählter Oligarchen sind das Problem. Nein, wo kämen wir da hin? Man versucht stattdessen eine Resolution gegen das seit etlichen Jahrzehnten völkerrechtswidrig und gegen den Willen der Vereinten Nationen wirtschaftlich belagerte, also durch Boykotte strangulierte Kuba zu verabschieden. Und das, obwohl Kuba die in der realpolitischen Regel doch äußerst untypische Entsendung von medizinischem Personal, der Entsendung von militärischem, geheimdienstlichem oder zivilem Personal zu Diensten und im Auftrag multinationaler Konzerne bevorzugt. Aber was ist heute schon normal? Nach Georg Christoph Lichtenberg ist der gewöhnliche Kopf ja eh nur der herrschenden Meinung und der herrschenden Mode konform, wie der unübersehbare Trend einer paranoiden Maskerade mit asozialen Abstandsgeboten rund um den Erdball zeigen. Zuneigung unter Menschen, Völkern und Nationen fällt auf unbestimmte Zeit also erst mal aus.
Die Asamblea schreibt ja auch, dass man im Europäischen Parlament verzweifelt versucht, den politischen Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Kuba zu brechen. »Solche Aktionen überraschen uns nicht, denn sie sind typisch für die Doppelmoral, die sie beseelt. Besorgt zu sein scheinen sie über die Ausübung der Menschenrechte in Kuba, also in einem freien, unabhängigen, souveränen, demokratischen Land der sozialen Gerechtigkeit und der menschlichen Solidarität, in dem das Volk selbst über sein Schicksal entscheidet und in dem […] das grundlegendste Gesetz der Republik die Verehrung der Kubaner zur vollen Würde des Menschen ist.«
Es sei merkwürdig, dass diejenigen im Europäischen Parlament über die Grundrechte in Kuba besorgt sind, die ansonsten auch kein Problem damit haben, die größte Menschenrechtsverletzung, die »völkermörderische Blockade«, die seit 62 Jahren gegen das kubanische Volk in Kraft ist, zu kritisieren. Und das »inmitten einer Pandemie« und einer unglaublichen globalen Wirtschaftskrise. Doch nicht nur das: »Sie handeln auch mit völliger Gefühllosigkeit angesichts eklatanter Verletzungen der Menschenrechte, die in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern der Welt – einschließlich in Europa – begangen werden, wo es im vergangenen Jahr zu einer Verschärfung der Ausdrücke von Polizeibrutalität, diskriminierender Politik gegenüber Migranten, Hassreden und rassistischem Gedankengut, Verstößen gegen die Presse- und Meinungsfreiheit sowie Ausdrücke von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen der Intoleranz gekommen ist.«
Das alles für externe Interessen, die die Unabhängigkeit der Europäischen Union gefährden wollen. Das schreiben die Kubaner, das prangern sie an. Und ich auch!
Quellen:
(1) http://floosrainik.net/anspruch-und-realitaet-ein-nachtrag-zum-runden-geburtstag-der-nato-teil-1
(2) https://www.pressenza.com/de/2019/11/70-jahre-nato-sind-genug/
(3) http://floosrainik.net/einen-schritt-voraus-flo-osrainik-bei-ken-jebsen
(4) http://floosrainik.net/hinter-den-kulissen-wie-aus-dem-fall-magnitski-der-fall-browder-wurde
(5) https://de.rt.com/inland/112373-kipping-schaltet-sich/
(6) Declaración de la ANPP en alemán
Das Buch von Flo Osrainik: „Im Namen der Russen. Tabulos gegen den Strich des Mainstreams“; Taschenbuch: Independently published 2019, 200 Seiten, ISBN: 978-1705360729, http://floosrainik.net/buecher gibt es ebenfals als e-Book über https://www.amazon.de/dp/1705360726