Erschütternd sind die humanitären „Kosten“ des Afghanistankrieges. Allerdings gibt es bisher keine repräsentativen Studien wie im Irak, mit denen man die Gesamtzahl der Opfer abschätzen könnte. Dem „Costs of War Project“ zufolge, das sich auf registrierte Todesfälle stützt, starben in Afghanistan und Pakistan mindestens 238.000 Menschen in direkter Folge von Kriegshandlungen, über 71.000 davon Zivilist*innen. Nach der Analyse der IPPNW-Studie „Body Count“ liegt die tatsächliche Zahl der zivilen Opfer jedoch vermutlich fünf- bis achtmal so hoch. Hinzu kommt eine noch weit höhere Zahl von Verwundeten und Millionen von Geflüchteten und Vertriebenen.
Die Lebensverhältnisse der Bevölkerung haben sich sogar verschlechtert. 2017 lag der Bevölkerungsanteil, der unter der Armutsschwelle lebt, mit 54,5 Prozent auf dem Niveau vor dem Sturz der Talibanherrschaft und ist seither noch gestiegen. Die Covid-19-Krise verschärft die Situation noch. Hilfsorganisationen zufolge sind 13 Millionen Afghan*innen akut von Hunger bedroht.
Die finanziellen Gesamtkosten des Krieges belaufen sich nach Berechnungen des „Costs of War Project“ an der Brown University in Boston allein für die USA auf 2.261 Milliarden US-Dollar. Neben den offiziell bereitgestellten 933 Milliarden US-Dollar enthalten sie weitere kriegsbedingte staatliche Ausgaben und die bisherigen Versorgungskosten für Verwundete, Kriegsversehrte und Veteranen. Analoge Berechnungen für Deutschland gibt es nicht. Die im Verhältnis dazu bescheiden klingenden 12,5 Milliarden Euro, die offiziell für den bisher blutigsten deutschen Militäreinsatz ausgegeben wurden, stellen laut dem Nahostexperten Joachim Guillard sicherlich nur ein Bruchteil der Gesamtkosten dar. Das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ schätzte die gesamten Kosten für die ersten zehn Jahre Krieg bereits im Mai 2010 auf 18 bis 33 Milliarden Euro.
Seit 2019 stuft das „Institute for Economics and Peace“ Afghanistan als den unsichersten Staat weltweit ein. Das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Sharif arbeitete seit einem Anschlag im Jahr 2016 ausschließlich innerhalb des dortigen deutschen Militärlagers. Die deutsche Botschaft hielt nach der Zerstörung ihres Gebäudes im Mai 2017 nur noch einen Notbetrieb in Containern aufrecht, die auf dem stark gesicherten Gelände der amerikanischen Botschaft stehen. All dies hält die Bundesregierung jedoch nicht davon ab, das Kriegsland als sicher genug für die Rückführung von Geflüchteten zu erklären und Sammelabschiebungen durchführen zu lassen. Von März bis November waren sie zwar aufgrund die Pandemie ausgesetzt worden, wenn auch erst auf Bitten der afghanischen Regierung. Sie wurden aber am 16. Dezember 2020 wieder aufgenommen, genau an dem Tag, an dem hierzulande der harte Lockdown begann.
Sie finden den IPPNW-Report „Body Count“ unter: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/BodyCount_internationale_Auflage_deutsch_2015.pdf
Den Artikel von Joachim Guilliard „NATO-Rückzugaus Afghanistan“ finden Sie unter: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Forum/166/NATO-Rueckzug_aus_Afghanistan.pdf
Pressemitteilung von IPPNW – Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung vom 30.06.2021