Die Reihe Alltagshelden berichtet von Heldinnen und Helden, die sich in den verschiedensten Bereichen im Alltag einbringen und andere durch ihr Engagement dazu inspirieren, selbst aktiv zu werden. Was motiviert, sich in der Gesellschaft zu engagieren? Welchen Herausforderungen sieht man sich gegenüber? Was kann jede:r Einzelne von uns tun? Wir haben direkt nachgefragt.
Birgit Schad bemerkte im Februar 2016 bei einem Spaziergang mit ihrem Hund eine weggeworfene Zigarettenschachtel am Wegesrand, die dort mehrere Tage lag und niemanden zu stören schien. Sie begann diese aufzusammeln und fortan zusätzlich zur Hundetüte eine Tüte für den herumliegenden Müll mitzunehmen. Mit Erschrecken stellte sie bei jedem neuen Spaziergang fest: Hier liegt ganz schön viel Müll. Die Tüten füllten sich schnell.
Birgit wollte wissen, wieviel Müll sie aus den Wäldern schleppte. Sie gründete eine Facebook-Gruppe, die ihr als Tagebuch diente. Regelmäßig fotografierte und veröffentlichte sie den gesammelten Abfall. Als ihre Gemeinde einen Umweltpreis ausschrieb, bewarb sie sich mit ihrer Dokumentation und gewann.
Inzwischen hat Birgit viele Mitstreiter:innen, auch in anderen Städten gefunden, die auf das Müllproblem aufmerksam machen. Neben dem Müllsammeln klärt Birgit ehrenamtlich in Kindergärten, Schulen und andere Einrichtungen über Plastikmüll auf.
Woraus schöpfst Du Deine Motivation Müll zu sammeln und damit weiterzumachen – es liegt jeden Tag aufs Neue und immer mehr Müll herum?
Also, erstmal denke ich: Aufgeben ist keine Option. Wenn ich jetzt aufhöre, wird es nicht besser. Ich weiß zwar auch nicht, ob es viel besser wird, wenn ich jetzt weitermache. Ich weiß aber hundertprozentig, dass nicht nur ich, sondern viele andere auch, immer wieder Leute mitreißen.
Das bekomme ich in persönlichen Nachrichten oder in E-Mails von mir unbekannten Menschen geschrieben. Oft stand da „Jetzt wo ich weiß, dass Du das machst, mach ich das auch. Ich traue mich jetzt auch mal Müll aufzuheben.“ Solche E-Mails kommen bis heute.
Es gibt auch Zuspruch von Passant:innen, wie z.B.: „Das ist ja toll“ oder „Ich mach das jetzt auch mal“.
Und was besonders Schönes: Ich habe 2018 die Seite City Cleaners Germany gegründet. Es gibt inzwischen einige Untergruppen, z.B. City Cleaners Germany Hamburg oder City Cleaners Germany Ruhrgebiet Ost. Nicht als Verein oder mit Verträgen – das ist einfach eine Win-Win-Situation dahingehend, dass die Leute sagen: „Ich will mich für das Gleiche einsetzen und ich schließe mich dem an, was sich bereits einen Namen gemacht hat.“
Als ich 2016 angefangen und überlegt habe „Wie nenne ich denn das Ganze überhaupt?“, gab es die meisten Cleanup-Gruppen noch nicht. Von daher war ich mit eine der Ersten, die das Ganze aktiv in die Gesellschaft getragen und publik gemacht haben.
Wichtiger Treiber dahingehend ist natürlich, dass man einfach sieht, wie die Tierwelt und nicht sie leidet und, dass Millionen von Tieren, u.a. Vögel durch unsere Nachlässigkeit zu Grunde gehen. Und da finde ich einfach, muss man der Natur etwas zurückgeben.
Sind die Leute Deinem Engagement gegenüber hauptsächlich positiv gestimmt oder bekommst Du auf Deine Aktionen auch negative Reaktionen?
Die Reaktionen sind nicht immer positiv. Es gibt auch Leute, die mich persönlich angreifen. Das sind dann die, deren Müll wir wegräumen. Gerade mit Zigarettenkippen ist das stark ausgeprägt. Gestern hatte ich in meiner Gruppe jemanden, der schrieb: “Ja, warum hackt ihr immer auf den Raucher:innen rum? Kümmert Euch doch mal um Pampers, die liegen auch überall.“ Ja, das stimmt. Wir sammeln aber nicht nur Kippen – wir sammeln alles. Kippen liegen leider überall rum. Ich glaube da fühlte sich jemand einfach ertappt.
Noch ein Beispiel: Ich bin öfters am Kanal und gehe dort mit meinem Hund spazieren. Eines Tages bin ich dort entlanggelaufen und hatte meinen Eimer mit dem City Cleaners Germany Aufkleber dabei. Da saß ein älteres Ehepaar auf der Bank. Ich bin nur vorbeigelaufen und habe Müll gesammelt, bin über die nächste Brücke gegangen und auf der anderen Seite vom Kanal wieder zurück. Als ich dann wieder auf deren Höhe war, rief der Mann ganz laut zu seiner Frau: „Da ist sie wieder von den City Cleaners, da kann sie sich wieder wichtigmachen. Da kann sie wieder posten, da kann sie wieder Fotos machen und sich beklatschen lassen.“ Das sind dann so diese kleinen Begegnungen…
Ich bin immer bereit, Aufklärung zu leisten. Wenn mich die Leute fragen: „Warum machst Du das?“ – das ist alles legitim, aber auf dem Niveau zu diskutieren, das raubt mir viel zu viel Energie – das mache ich nicht mehr.
Ein weiters Beispiel: In meiner Gemeinde gab es zum Auftakt der Kirmes für jedes Kind der Gemeinde einen Luftballon – die wurden steigen gelassen. So, dann habe ich den Bürgermeister und die Gemeindemitglieder mit Informationen versorgt, warum das eine doofe Idee ist. Ich habe nicht lockergelassen und genervt, immer wieder Links geschickt und tatsächlich auch Original-Luftballons aufgesammelt, die ich hier in den Wäldern gefunden habe. Am Ende hatte ich einen Termin mit dem Bürgermeister, der zu mir sagte: „Frau Schad. Sie haben recht, wir haben uns das überlegt und wir werden den Luftballon-Wettbewerb ab sofort nicht mehr durchführen.“ Das heißt, in meiner Gemeinde gibt es einige Leute, die mich nicht so gerne mögen, weil sie nicht verstanden haben, dass das in meinen Augen eine legale Umweltverschmutzung ist. Wir schmeißen Plastik in die Luft und fragen uns noch nicht mal was passiert damit eigentlich? Das ist tragisch.
Was ist für Dich dabei die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung für mich persönlich ist, dass ich immer ein bisschen abwägen muss…ich will viel erreichen und das geht nicht, indem ich immer „Bitte Bitte“, „Könnten wir nicht mal…“ oder „Liebe Leute, schmeißt Eure Kippen nicht immer auf den Boden“ sage. Ich muss manchmal eben auch forsch sein. Dabei muss ich am Ende aufpassen, dass ich nicht unbedingt mit Ordnungshüter:innen in Konflikten gerate, wenn ich nur als Beispiel an irgendwelchen Schnellstraßen an den Ausfahrten herumkrabble und den Müll aufsammle.
Meine Herausforderung ist es auch oft ruhig, gelassen und freundlich zu bleiben, wenn ich mich mit Leuten auseinandersetzen will, soll oder muss, die kein Verständnis für das haben, was ich tue.
Was war bisher Dein größter Erfolg?
Also ich persönlich fand es immer großartig, wenn mal das Fernsehen berichtet hat.
Das Schöne an meinen Aktionen ist auch, dass ich oft Eltern über ihre Kinder erreiche. Morgen z.B. habe ich einen ehrenamtlichen Einsatz in der Schule. Meistens besuche ich Grundschulen, und kläre mit einer kleinen Plastik-Kunde auf. Ich erkläre den Kindern, was die Konsequenzen sind, wenn sie jetzt die Süßigkeitenverpackung dahin schmeißen, was passieren kann, wenn wir Masken wegschmeißen, wie sich ein Vogel damit strangulieren kann und ich zeige Bilder. Das sind keine blutrünstigen Bilder, aber Fakten. Dabei mache ich es spannend und kündige an: „Jetzt kommt ein sehr trauriges Bild. Wer das nicht sehen möchte, muss sich die Augen zuhalten usw.“ Das macht kein Kind – alle wollen wissen: „Was ist denn da?“ Es gibt oft positives Feedback von den Lehrkräften, wie eindrucksvoll das hängenbleibt, was ich erzähle und zeige.
Dann gibt es zusammen mit dem World Cleanup Day einen Maskenmüll-Melder: Jede:r kann dort die Anzahl seiner gefundenen Masken angeben und Bilder hochladen. Seit November 2020 haben wir in ganz Deutschland über 51.000 Masken gesammelt. Das war meine Idee: Es war Mitte Oktober, der Lockdown zeichnete sich ab. Ich habe gedacht, irgendwas muss ich jetzt machen, um meine Gruppenmitglieder weiter zu motivieren. Wir haben das #Novembermasken genannt. Damit wurde ich überrannt. Allein im November waren es 9.500 Masken.
Und ich habe noch ganz viele Ideen, z.B. #stopptdiekippenflut. Da haben wir zusammen mit dem Cleanupnetwork, Schablonen drucken lassen und mit Kinderschminke auf oder an Gullys „Kippenfilter sind aus Plastik #stopptdiekippenflut“ bepinselt.
Im Endeffekt ist für mich alles ein Erfolg, wo jemand sagt: „Weißt Du was, Du bist ein Vorbild für mich. Durch Dich trau ich mich jetzt auch“ oder „Du, ich habe dich gesehen und ich mache das jetzt auch.“ Wenn andere Leute in einem Zeitungsartikel sagen „Hey, die City Cleaners haben mich auf die Idee gebracht.“ freut es mich. Mensch, ich habe diese Leute also inspiriert, was zu tun – besser kann es gar nicht sein.
Was können andere neben Müll sammeln tun, um aktiv zu werden?
Unser Motto ist: Jede:r kann was tun. Damit meine ich nicht unbedingt, dass jede:r loslaufen und Müll aus den Straßengräben rausziehen muss. Jede:r kann aber irgendwas tun. Das kann sein: Müll sammeln. Es kann aber auch sein im Supermarkt mal genau hinzugucken: Nehme ich jetzt den Apfel, der eingeschweißt ist oder nicht? Und im Sinne der Nachhaltigkeit: Nehme ich den Apfel, der aus den Niederlanden kommt oder den aus meiner Region?
Man kann abwägen und hinterfragen: Kauf ich vielleicht mal den Joghurt im Glas statt im Plastikbecher? Warum benutze ich Duschgel oder Shampoo in der Plastikflasche? Es gibt inzwischen in jeder Drogerie das Gleiche ohne Plastik. Ich weiß, dass diese Alternativen nicht immer günstig sind. Aber dann trinke ich vielleicht in der Stadt einen Kaffee weniger, lege einen Euro drauf und kauf mir für 3,50 € lieber ein Stück Haarseife. Kann ich – Corona beiseite – zum Festival vielleicht mein eigenes Besteck mitnehmen oder verwende ich das Plastik dort? Im Juli kommt das Verbot von Einweg-Plastik, aber ich befürchte, dass sich manche Gastronomen für die nächsten Jahre erst mal eingedeckt haben, und das dürfen sie dann auch weiterverwenden.
An die Raucher:innen kann ich wirklich nur appellieren: Versteht bitte endlich, dass Eure Kippe Giftmüll ist. Und nur weil wir das jetzt 50 Jahre so gemacht haben, heißt das nicht, dass es kein Problem ist. Damals hat man sich keine Gedanken darum gemacht. Jetzt tut man das. Kippen vergiften unser Grundwasser.
Ansonsten redet mit Euren Bekannten, Verwandten, Nachbar:innen, über das, was wir tun. Sagt und erzählt den Menschen: „Ich habe da eine Bekannte, die sammelt Müll. Stell Dir mal vor, die hat letztens einen Igel in einer Pringels-Schachtel gefunden, der kam nicht mehr raus und ist daran gestorben.“ Solche Sachen müssen weitergegeben und an die Leute gebracht werden.
Es muss jede:r überlegen, was er für sich, bei sich und an sich tun kann. Jede:r Einzelne muss für sich entscheiden: Wie will ich den Planeten für die Nachkommen hinterlassen? Will ich wilde Sau spielen, mich an dem Tag, an dem es mit mir zu Ende geht, sagen: Hätte ich mal was getan? Will ich sagen: Mir doch scheißegal – nach mir die Sintflut? Was für eine Art Person bin ich jetzt? Bin ich Teil des Problems? Oder will ich wenigstens versuchen Teil der Lösung zu sein und unsere Umwelt wieder in die Spur zu kriegen?