Wie ein unseliger Zielkonflikt konstruktiv gelöst werden könnte.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist ein schneller Ausbau der Windenergie unverzichtbar. Dieser ist jedoch in den vergangenen Jahren stark eingebrochen. Einer der Gründe für langwierige Genehmigungsverfahren und zunehmende Rechtsunsicherheiten ist der ungelöste Zielkonflikt mit dem berechtigten Interesse des Artenschutzes. Einen Vorschlag zur konstruktiven Lösung dieses Zielkonflikts hat die Stiftung Klimaneutralität erarbeitet und heute der Öffentlichkeit vorgestellt.
Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität: „Wir brauchen bundeseinheitliche fachliche Standards für den Schutz der Vogelbestände und eine punktuelle Reform des Artenschutzrechts, die Unsicherheiten bestehender Regelungen beseitigt. Nur so werden wir sowohl dem Artenschutz als auch dem Klimaschutz gerecht.“
In der gegenwärtigen Genehmigungspraxis sind die Akteure mit einer Vielzahl uneinheitlicher
Regelungen, Länderleitfäden und Gerichtsurteile zum Artenschutz konfrontiert. Dies führt zur
Rechtsunsicherheiten bei Antragstellern und Behörden gleichermaßen und zu langwierigen
Genehmigungsverfahren. Baake: „Wir stellen fest, dass über die Interpretation und sachgerechte
Anwendung der gesetzlichen Regelungen in zahlreichen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten
gestritten wird. Dies ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass der Ausbau der Windenergie in
Deutschland praktisch zum Erliegen gekommen ist.“
Alle Versuche, auf Bundesebene zu abgestimmten und praxistauglichen Festlegungen zu kommen,
sind bislang fruchtlos geblieben. So fehlt bislang eine nachvollziehbare und methodisch konsistente
fachliche Ausarbeitung zur Gefährdung der Vogelbestände durch Windenergieanlagen und davon
abgeleitete Schutzerfordernisse. Die Stiftung Klimaneutralität hat mit einem Artenschutz-
Fachgutachten diese Lücke geschlossen.
Konkret schlägt die Stiftung Klimaneutralität vor, dass um alle nachgewiesenen Nistplätze von
besonders durch Vogelschlag gefährdeten Arten ein artspezifischer innerer Schutzabstand gezogen
wird. Zusätzlich soll ein artspezifischer äußerer Schutzabstand festgelegt werden. Im Gebiet zwischen
innerem und äußerem Schutzabstand sollen Windenergieanlagen artenschutzrechtlich zulässig sein –
allerdings nur, wenn vom Betreiber klar definierte und anerkannte Maßnahmen zur Minderung des
Kollisionsrisikos ergriffen werden, etwa durch die Schaffung von Ablenkflächen oder den Einsatz
technischer Vorrichtungen zur Verhinderung von Vogelschlag. Außerhalb des äußeren
Schutzabstands sollen Windenergieanlagen artenschutzrechtlich immer zulässig sein. Die
artenschutzrechtliche Prüfung der Behörden könne sich mithin auf die Einhaltung dieser Vorgaben
beschränken.
Der Reformvorschlag der Stiftung Klimaneutralität sieht zudem vor, dass zur rechtlichen Absicherung
dieser Vereinfachung für die Zulassung von Windenergieanlagen eine artenschutzrechtliche
Ausnahme vom Tötungsverbot der EU-Vogelschutzrichtlinie gesetzlich geregelt wird, die jedoch bis
zum Erreichen der Klimaneutralität zeitlich befristet und durch Schutzabstände um nachgewiesene
Nistplätze eindeutig begrenzt sein müsse.
Nach den Vorstellungen der Stiftung Klimaneutralität sollen diese Änderungen im Artenschutzrecht
durch ein 100 Millionen Euro schweres Bund-Länder Programm zum Schutz von Vogelarten flankiert
werden, die besonders sensibel auf Windenergieanlagen reagieren.
Rainer Baake: „Unser Vorschlag würde dazu beitragen, dass der Ausbau der Windenergie an Land im
notwendigen Tempo vorankommt und zugleich dem Anliegen des Artenschutzes Rechnung getragen
wird. Klimaneutralität und Artenschutz sind keine Gegensätze – vielmehr ist Klimaschutz eine
entscheidende Voraussetzung für den Erhalt der Lebensgrundlagen, insbesondere von heute bereits
gefährdeten Arten.“
Ein entscheidender Vorteil des Vorschlags liegt nach Baakes Worten darin, dass er Rechtssicherheit
schaffe. „Alle Beteiligten wissen in Zukunft, an welchen Standorten Windenergieanlagen
artenschutzrechtlich entweder zulässig, mit Maßnahmen zulässig oder unzulässig sind. Dies wird zu
einer wesentlichen Beschleunigung bei den Genehmigungsverfahren führen.“
Als weitere Vorzüge nennt Baake, dass artenschutzrechtliche Einzelfallprüfungen von Ausnahmen
durch Behörden künftig entfallen könnten und dass europäisches Recht eingehalten werde. Für den
Vorschlag spreche zudem die Kompetenz des Bundes: „Der Bundesgesetzgeber ist nach den
Vorschriften des Grundgesetzes zu einer Regelung befugt, die in ganz Deutschland gilt. Für das
Artenschutzrecht gibt es im Grundgesetz keine Abweichungskompetenz der Länder.“
Weitere Informationen:
Ergänzend zum Thema dieser Pressemitteilung stehen auf https://www.stiftung-klima.de/de/themen/energie/artenschutz-und-windenergie/ folgende Papiere zum Download bereit:
- Ein ausführliches Info-Papier zum Regelungsvorschlag der Stiftung
- Fachgutachten erstellt durch Reichenbach und Aussieker, Arbeitsgruppe für regionale Strukturund
Umweltforschung GmbH (ARSU) - Rechtsgutachten durch Scharfenstein und Bringewat, Rechtsanwaltskanzlei von Bredow
- Zusammenfassung des Rechtsgutachtens
- Foliensatz zum Regelungsvorschlag
Über die Stiftung Klimaneutralität
Die Stiftung Klimaneutralität hat im Juli 2020 in Berlin ihre Arbeit aufgenommen. Ihr Ziel ist es, Wege
zur Klimaneutralität aufzuzeigen. Sie entwickelt in enger Kooperation mit anderen Denkfabriken sektorübergreifende
Strategien für ein klimagerechtes Deutschland. Auf der Basis von guter Forschung
will die Stiftung informieren und beraten – jenseits von Einzelinteressen. www.stiftung-klima.de