Das wusste schon Marcus Tullius Cicero in den 60-ziger Jahren vor unserer Zeitrechnung, der als erfolgreicher Politiker und begnadeter Redner in die Geschichte einging. Er war zudem ein großer Blender schrieb der Nestor der römischen Geschichtsschreibung Theodor Mommsen in seinem Hauptwerk „Römische Geschichte“. Ciceros Bruder Quintus C. hat mit dem „Commentariollius petitiones“ das erste Ratgeberbuch für politische Wahlen geschrieben.

Wahlprogramme haben in der Gegenwart den alleinigen Zweck, Stimmen einzusammeln, während die Programme der Parteien Auskunft über die grundsätzlichen politischen Ziele geben sollen. Die Wahlprogramme sind von der Wirtschaft übernommene Marketingkonzepte zur Erzielung großer Stimmenzahlen. Wir leben ja in einer Zähldemokratie. Kein Gesetz verlässt das hohe Haus des Parlaments, ohne von einer Mehrheit angenommen zu sein, auch wenn Fraktions- oder Koalitionszwänge das Gewissen der Abgeordneten beschädigen, um Zählmehrheiten zu erreichen.

Dem Wähler, dem Souverän bleibt für seine Wahlmacht in der Regel nur ein einziger Tag, um die Geschicke zu bestimmen (Die Briefwahl soll hier unbeachtet bleiben). Er braucht für die nach seinen persönlichen Kriterien richtigen Entscheidungen mehr als das Wahlprogramm. Er muss daher tiefer in die Geschichte einsteigen, um zu erkennen, wofür die einzelne Partei steht. Das ist kein leichtes Unterfangen. Die Meinungsbildung wird vom Elternhaus, der Schule und von den Medien betrieben. Hilfreich ist die Praxis. Sie ist die Mutter aller Weisheiten. Es gilt zu schauen, was die Parteien in der Vergangenheit für das reale Leben zusammengebracht und versprochen haben. Auch unter den Sachzwängen, die oftmals nicht zu umgehen sind. Die Bilanz neigt sich gegenwärtig für viele Wahlbürger zur negativen Seite, im Vergleich mit den Versprechungen, die vor den Wahlen von Parteien abgegeben wurden. Gegenwärtig versprechen alle Parteien unisono das soziale Wohlergehen anzustreben und die Gesetze der Natur zu beachten. In der Friedenspolitik steht nur die Linke einsam gegen den Auslandseinsatz deutscher Soldaten und für die Abschaffung der NATO.

Die praktischen Ergebnisse im großen Geschichtsbogen bezeugen, dass die kapitalistische Ordnung, die einst angestrebte Égalité nicht zu schaffen vermochte. Die Spaltung der Gesellschaft hat sich nicht wesentlich verringert und die Fraternité wurde zu großen Teilen vergessen. Die Demokratie und die Liberté mussten sich der Logik des Kapitalismus anpassen. Die Missachtung der Natur gehört zum Fußabdruck des kapitalistischen Systems, wie auch die Kriege. Der Frieden ist für einige Parteien keine Pflichtaufgabe. Im Gegenteil. Die Spannungen zu Russland, China, Iran, Syrien, Kuba und Venezuela u.a. werden von der offiziellen Politik eher befördert. Die Zentralfigur der Gesellschaft, der Homo sapiens, steht im Ranking hinter der Chimäre Geld. In der Arbeitswelt ist er ein beliebiger Kostenfaktor, wenn auch nicht alle Menschen dazu gehören.

Der Geschichtsbogen des praktischen Lebens bewahrte in den letzten Wahlperioden Deutschland den Frieden, verschlechterte die Klimasituation und hielt den Stand der Staatsschulden um die etwa 2 Billionen Euro stabil, die durch die Epidemie künftig steigen werden. Eine ambivalente Bilanz ist auch für die Bürger zu ziehen. Die Zahl der Privatautos stieg, wie auch die Reisen in alle Welt. Das Übel der Arbeitslosigkeit bedrückt weiter viele Familien. Die Versprechungen der SPD, der christlichen Parteien und der FDP mit den Hartz-Gesetzen erwies sich als Bumerang für die Abhängigen. Die Spaltung der Gesellschaft hat sich nach der Wende 1990 wieder vertieft. Deutschlandweit wird die Wohnsituation beklagt. Das Oberste Verfassungsgericht lehnte den „Mietendeckel“ der Berliner Koalitionsparteien aus verfahrenstechnischen Gründen ab, und nahm zum Anliegen selbst keine Stellung. Die Rechtsregelung der bürgerlichen Parteien ist so festgefügt, dass kaum Räume für neue Entwicklungen bleiben. Ein Bürokratiemonster hält die Wirtschaft im Griff.

Für die auf 18+ Jahren und einer 5 Prozent Klausel begrenzten Wahlbürger ist das eigene Nachdenken zur Kardinalfrage geworden. Wie sollte sich ein Politikwechsel vollziehen? Welche Parteien haben die gesellschaftliche Spaltung zu verantworten? Wer wird die Klimaveränderungen realistisch und auf wessen Kosten zum Guten lösen und welche Politiker sorgen sich real für die internationale Entspannung und Veränderung der Ursachen der Flüchtlingsströme? Die Brüderlichkeit im Land und mit den Entwicklungsländern entwickelt sich mit realen Taten, nicht mit Worten. Wahlplakate wandern ohnehin wieder schnell auf Recyclinghöfe. Worte verweht der Wind. Die intakte Gesellschaft erwartet, dass alle an politischen Wahlen teilnehmen. Ein Wahlverzicht ist kontraproduktiv und steht gegen die Prinzipien einer Solidargemeinschaft, die allen täglich zuteil wird.

Wahlprogramme sind somit für sich allein unsichere Wegweiser für die Zukunft, besonders im Wahljahr 2021 mit den Zwängen der Pandemie und den Drohungen des Klimawandels.

Die Wahlmanager der Parteien treiben bereits ihre Konzepte gemäß Programm voran, ob es den Wählern gefällt oder nicht. Vorhersage Institute, Wahl-O- Mat Angebote, Medien werden ihre Dienste tun. Sie singen das Lied, dessen Brot sie essen.

Die Erfahrungen von Marcus Tullius Cicero, wie mit Freunden und politischen Gegner umzugehen sei, sind nicht vergessen. Flecken auf den weißen Westen des politischen Konkurrenten werden gesucht und mit medialen Attacken bearbeitet.


Der Autor beschreibt in seinem neuen Buch „Hat die Welt eine Zukunft?“ Verlag am Park, ISBN 978-3-947094-79-0, Alternativen der Planung, in einer humanen Welt.

Hat die Welt eine Zukunft?