Eine Studie der Universität Vancouver zeigt, dass das Gehör der letzte Sinn ist, der abgeschaltet wird, bevor wir sterben. Es kann sogar weiter funktionieren, ganz ohne die bewußte Wahrnehmung der sterbenden Person. Diese Erkenntnis liefert eine wissenschaftliche Grundlage für spirituelle Bewegungen und Traditionen, die heutzutage und schon vor vielen Jahrhunderten Zeremonien durchführen oder dazu ermutigen, den Sterbenden ins Ohr zu flüstern.
Wissenschaft und Spiritualität treffen somit wieder durch die wissenschaftliche Methode aufeinander. Jahrtausende alte Traditionen der Völker und Kulturen, die Erfahrungen in der Krankenbegleitung der Familie und den Freunden und die Zeremonien der spirituellen Bewegungen laufen in einem Punkt zusammen.
In der Studie der British Columbia Universität (UBC Vancouver), deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurden, heißt es: „Wir präsentieren Beweise für das Hörvermögen von Palliativpatienten, die dem Tod nahe sind und keine äußere Reaktion zeigen“.
Die Studie bestand aus zwei Gruppen: eine Kontrollgruppe von jungen, gesunden Menschen und eine weitere Gruppe von Patienten, die dem Tod nahe waren und nicht auf die Umgebung reagierten. Die Patienten wurden mit Hilfe von Elektroenzephalogrammen überwacht, die die elektrische Aktivität des Gehirns (ERP-Wellen) messen und es ermöglichen, Reaktionen auf äußere Reize zu erkennen.
In der Untersuchung heißt es: „Alle Teilnehmer der jungen, gesunden Kontrollgruppe und die meisten der Palliativpatienten erzeugen automatische ERP-Wellen-Antworten auf Hörreize. Diese Antworten hängen mit der bewussten Erkennung von unbekannten und ungewöhnlichen Geräuschen zusammen. Die Menschen antworten auch auf leisere Reize wie Abweichungen in der Tonhöhe oder Veränderungen im Geräuschmuster. Man kann sagen, dass Hörvermögen beider Gruppen ähnlich funktioniert.“
Die Studie stellt fest, dass die Mitglieder der Gruppe der Kranken im Durchschnitt fünfzig Jahre älter waren als die jungen Menschen in der Kontrollgruppe, und weil sie unheilbar krank waren (hauptsächlich Krebs), sich einer Schmerzbehandlung mit Opioid-Medikamenten unterzogen. Sie könnten daher weniger gut auf ihre Umgebung reagieren.
Wissenschaft und Spiritualität, nur 14 Jahrhunderte auseinander
Padmasambhava war einer der wichtigsten spirituellen Führer seiner Zeit und sein Versuch, den Budhismus nach Tibet zu bringen, ist trotzdem gescheitert. Im 8. Jahrhundert unserer Zeit entschied er sich, einen Teil seiner Lehre aufzuschreiben und in verstreuten Berghöhlen zu verstecken: seine Lehre sollte erst dann entdeckt werden, wenn die Menschheit dafür bereit sei.
700 Jahre später, im 15. Jahrhundert, wurde seine Abhandlung „Bardo Thödol“ gefunden, deren wörtliche Übersetzung „Befreieung durch das Hören während des Post Mortem Zustandes“ lautet.
Dieses Buch wurde mit der Absicht geschrieben, um den Menschen auf ihrem Sterbebett ins Ohr zu flüstern. Die Texte beschreiben die Zustände (bardos), die der Mensch nach dem Tod durchläuft, und zeigen verschiedene Wege auf, die zur Befreiung der Seele führen.
Bardo Thödol weist auf genaue Zeiten für die Lesungen hin: „… diese Wörter werden einige Male ins Ohr des Sterbenden wiederholt, um seinen Geist damit zu durchdringen … bevor die äußere Atmung aufhört“; sowie auf die Dauer: „der Zeitraum zwischen dem Aussetzen der äußeren Atmung bis zum Stillstand des Kreislaufs …“
Es werden ebenfalls Anweisungen darüber gegeben, wer die Lesung vornehmen soll: „ … der Lama, oder ein spiritueller Bruder, mit dem der Sterbende tief verbunden ist, ein angesehener, in der gleichen Tradition gebildeter Mann, oder jede Person, die in der Lage ist, mit klarer Stimme artikuliert vorzulesen …“ Zudem wird in manchen Abschnitten sogar die genaue Art und Weise beschrieben: „ … leise ins Ohr flüsternd …“
Dieses Buch hat es unter der falschen Übersetzung „Tibetanisches Buch der Toten“ in unserer Zeit geschafft.
Nahtoderfahrungen
Im Jahr 1975 veröffentlichte der Psychiater Raymond Moody sein Buch „Leben nach dem Tod“, eine Studie nach der Befragung von einhundertfünfzig Patienten, die Nahtoderfahrungen (NTE) erlebt hatten. Nahtoderfahrungen treten bei Menschen auf, die dem Tod sehr nahe waren oder sogar klinisch für tot erklärt wurden, die aber letztendlich überlebt haben und in dieser Zeit der Ungewissheit verschiedene Erfahrungen sehen, hören und fühlen konnten.
„Leben nach dem Tod“ stellt eine Synthese der kollektiven Vorstellungskraft darüber dar, was nach dem Tod geschieht. Szenen wie die bewusste Trennung vom Körper, das Licht und der Tunnel, die überströmende Ruhe oder die bereits verstorbenen Angehörigen, die beim Übergang zu Hilfe kommen, sind Beispiele für Situationen, die in seinen Texten beschrieben werden und die auch heute noch als Teil der postmortalen Landschaft akzeptiert werden.
Zu Beginn des Buches wird eine typische Erfahrung beschrieben, ein Modell der Nahtoderfahrung, das sich aus den gemeinsamen Elementen der hundertfünfzig Erfahrungen zusammensetzt. Nach Moody: „Trotz der verschiedenen Umstände und Menschentypen, die Nahtodsituationen umgeben und erleben, fallen bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen den Erfahrungsberichten auf. Tatsächlich sind diese Ähnlichkeiten so groß, dass sich aus der Gruppe der von mir gesammelten Geschichten leicht fünfzehn einzelne und wiederkehrende Elemente herauspicken lassen.“
Das erste Element in der Reiheinfolge lautet: „Ein Mensch liegt im Sterben und wenn er den Höhepunkt seiner Erschöpfung oder körperlicher Schmerzen erreicht, hört er, wie sein Arzt ihn für tot erklärt.“
Später widmet er ein Kapitel mit dem Titel „Die Nachrichten hören“ den Erfahrungen von Menschen, die in dem Zeitraum, in dem sie „tot“ waren, hörten, was um sie herum geschah. Bei Nahtoderfahrungen kommt es häufig vor, und hierzu gibt es eine Menge Literatur, dass Menschen hören, was während ihres „Todes“ um sie herum passiert, und danach berichten, was sie gehört haben, so dass das Gehörte als wahr bestätigt werden kann.
Bewusstsein ohne äußere Reaktion, haben die Familienmitglieder und Begleiter Recht?
Zurück zur Studie der Universität Vancouver über das Hören bei nahtod Patienten. Dort heißt es im Kapitel „Ist es möglich, dass ein sterbendes Gehirn bei Bewußtsein bleibt?“: „Die Widerstandsfähigkeit des Gehirns trotz Ischämie (fehlende oder mangelnde Durchblutung) ist in Autopsien bewiesen worden, da nur 60% der Patienten, die für hirntot vor dem allgemeinen Tod erklärt wurden, eine mittlere bis schwere Gehirnverletzung durch Ischämie zeigten“. So kommt man zu folgendem Schluß: „ … das Gehirn kann länger den Ischämiefolgen widerstehen, während der Rest des Körpers sich kurz vor dem Tod abschaltet. Zusätzlich könnten Opioide die Reaktionen auf äußere Reize reduzieren, ohne zwangsläufig das Bewusstsein zu beeinträchtigen.“
Zusammenfassend erklärt die Untersuchung:
„Wir haben Beweise dafür präsentiert, dass Paliativpatienten zwar nicht äußerlich auf Sprachreize ihrer Familienmitglieder oder des medizinischen Personals reagieren, aber scheinbar zuhören und neuronale Antworten auf einfache Hörreize produzieren. Dieses ist im Einklang mit der Annahme, dass das Gehör eins der letzen Sinne ist, das aufhört zu funktionieren, wenn eine Person stirbt und verleiht dem Ratschlag, dass Angehörige so lange wie möglich mit einem sterbenden Familienmitglied sprechen sollten, eine gewisse Glaubwürdigkeit.“
Übersetzung aus dem Spanischen von Nadia Miranda vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!