Bei „Frauen, die Zukunft gestalten“, haben wir mit Pía Figueroa gesprochen, Co-Direktorin und treibende Kraft von Pressenza. Sie hat bereits an diesem Projekt mitgearbeitet, in welchem Frauen interviewen, die sich für eine Kultur der Gewaltfreiheit einsetzen.
Pía setzt auf die Möglichkeit einer neuen planetarischen Zivilisation und auf die Rolle, die der Journalismus dabei einnehmen kann, „um Visionen hervorzubringen, die einer anderen Zukunft die Türen öffnen“.
Pía Figueroa ist langjährige Siloistin, Schriftstellerin, und an dem tiefgründigsten Teil des menschlichen Seins interessiert sowie an den gesellschaftlichen Veränderungen. Sie denkt, dass bereits viel zur Krise gesagt wurde, in die wir hineingeraten sind, und blickt in die Zukunft.
Interessant sei die Möglichkeit, die sich damit eröffne – sie sagt: „Aus einem großen Scheitern erwachsen große Visionen. Und aus dem Ende einer Zivilisation, einem solchen Scheitern, entstehen die neuen Visionen. Und ich hoffe, dass sie danach eine neue planetarische Zivilisation einleiten werden“.
Im Kontext der Pandemie, die wir durchleben, bemerkt sie, wie die ganze Menschheit im gleichen Gefühl gefangen ist: „Wir haben das Bedürfnis verspürt, uns zu umarmen, einander zu hören, im eigenen Innern zu bleiben…“
Unser Treffen drehte sich größtenteils um die Zukunft, die wir anstreben und die „sich im Herzen eines jeden Menschen befindet… Was kommt, ist das, was wirklich interessiert“.
Und zur Rolle des Journalismus fuhr sie in die gleiche Richtung fort: „Das Zeugnis eines informierten Journalismus kann Visionen anregen, die die Türen zu einer anderen Zukunft öffnen“.
Transkription des Interviews
Juana Peres Montero: Guten Morgen Pía
Pia Figueroa: Guten Morgen, guten Morgen Juana.
Ich sage jetzt nicht „Willkommen bei Pressenza“, du bist hier zuhause….
Wir sind da, wir sind da…
…bei den Zukunftsgestalterinnen… zu denen wir beide gehören.
Hier sind wir… Wie schön, wie schön diese Reihe von Interviews Juana, mein Kompliment, wirklich sehr gute Arbeit.
Es ist wirklich ein Vergnügen, einander zu treffen, und auch, sich jeden Tag bei Pressenza zu treffen, mit der Absicht, ein wenig aufzubauen, ein Sandkorn der Zukunft hinzuzufügen, nach der wir streben, richtig?
Ja, ja
Wir interviewen heute Pía Figueroa. Für diejenigen, die sie nicht kennen – sie ist eine langjährige Siloistin, sie war stellvertretende Ministerin in der ersten Regierung nach dem Ende der Diktatur von Augusto Pinochet und hat in verschiedenen Ländern gelebt, sich dem Aufbau menschlicher Gruppen gewidmet, angefangen mit dem Neuen Universalistischen Humanismus. Außerdem war sie Mitbegründerin dieser Agentur, die schon zwölf Jahre alt ist, Pressenza, aber darüber reden wir später, wir reden später über Pressenza und Journalismus.
Pía, nachdem du international unterwegs warst, in vielen Bereichen gearbeitet hast, die innere Welt des Menschen, aber auch die Ereignisse des Alltags erforscht hast, haben wir große Lust, mit dir zu sprechen, um zu sehen, ob du uns helfen kannst, die aktuelle Lage zu analysieren. Sie ist so paradox und so komplex zugleich, nicht wahr? Wie siehst du den aktuellen Moment, welche Bedeutung sprichst du ihm zu?
Ich denke, es wurde viel über den aktuellen Moment geredet, nicht nur geredet, sondern auch viel geschrieben und… Ich würde sagen, in allen aktuellen wichtigen Werken, die die Leute auf der ganzen Welt lesen, oder in Filmen oder in der Musik, wird über eine Krise der Zivilisation gesprochen. Es ist nicht nur irgendeine Krise, es ist nicht nur eine Wirtschaftskrise oder nur eine politische Krise, nein, es geht wirklich um das Ende des gegenwärtigen Systems, deshalb scheint es mir nicht wirklich sinnvoll zu sein, Elemente dieser Krise weiterhin zusammenzusetzen. Es wurde bereits beschrieben, lies Pikkety und du wirst den ganzen ökonomischen Teil sehen, Harari stellt es in eine historische Perspektive – kurz gesagt, es gibt viele Autoren, Silo selbst sprach vor Jahrzehnten über diese Krise und es scheint mir, dass es sich nicht lohnt, der Diagnose noch weitere Elemente hinzuzufügen, sondern damit zu beginnen, die Tatsache zu betrachten, dass es gerade in Momenten großer Instabilität ist, in Momenten tiefen Scheiterns… wie in dem Plakat, das hinter dir ist, aus diesen Rissen in der Erde sprießen Blumen, in dieser tiefen Zerstörung entstehen neue Visionen, die die Konstruktion von etwas anderem aktivieren.
Als Spanierin kennst du das Beispiel von Kolumbus, der sich vorzustellen begann, dass er nach Indien reisen könnte, weil eine neue Vision in ihm wirkte, die sein Handeln auf jene Länder lenkte, denen er sich näherte, die meine Länder sind. Aber ich möchte dir sagen, dass gerade am Ende einer Zivilisation diese Dürre, dieses tiefe Scheitern neue Visionen entstehen lässt, die hoffentlich eine neue planetarische Zivilisation hervorbringen.
Alle Voraussetzungen sind gegeben. Wir haben diesen Notstand gehabt, dieses weltweite Ereignis der Pandemie, das zum ersten Mal in der ganzen Menschheitsgeschichte alle lebenden Menschen mit dem gleichen inneren Gefühl konfrontiert hat. Es mag eine andere Unterkunft, ein anderes Haus, eine andere Stadt, eine andere Zeit gewesen sein, als wir genau vor dem Lockdown und der Isolation standen, ob in Spanien oder hier, aber wir Menschen haben alle das gleiche innere Gefühl erlebt, bedroht von etwas, das wir nicht sehen, nicht riechen, nicht anfassen können, von dem wir nur die Vorstellung haben, dass es ein Virus ist und unsere gesamte Spezies bedroht.
Noch nie hat es eine so globale und sich zeitgleich ereignender Pandemie gegeben wie diese. Dieser Zustand, in uns selbst zu sein, für Monate, für ein Jahr, ein langes Jahr, auf unserem Raum beschränkt, hat uns alle zu einer Revision in Bezug auf viele Dinge gebracht, hat unseren Blick nach innen gerichtet. Es hat uns dazu gebracht, noch einmal zu überprüfen, was wir mit unserem Planeten gemacht haben, wie wir mit anderen Spezies umgegangen sind, Bilanzen ziehen, und aus diesen Bilanzen scheint mir, oder zumindest setze ich darauf, dass ein neuer Mensch entstehen kann, mit anderen Werten, für den der Konsum zu einem Element wird, das nur der Bedürfnisbefriedigung und nicht der Begierde dient, in der wir mit einem anderen Menschen in Resonanz gehen können, weil wir in diesen Monaten der Einsamkeit das Bedürfnis nach Zuneigung, das Bedürfnis nach einer Umarmung, das Bedürfnis nach Kommunikation und nach gegenseitigem Zuhören verspürt haben.
Ich bin also davon überzeugt, dass das, was kommt, interessanter ist als die Krise, in der wir uns befinden, über die schon viel gesagt wurde, dass die Schritte, die kommen, die Überlegungen, die folgen werden, die Gefühle, die beginnen, sich ihren Weg zu bahnen, uns vielleicht dazu führen, dass wir einem neuen Horizont begegnen, dass wir es wagen, andere Dinge aufzubauen. Zum Beispiel in der Wirtschaft das Thema Grundeinkommen, über das du und ich, vor allem du, im letzten Jahr so viel gesprochen haben, oder? Die Gleichberechtigung der Geschlechter, die es noch nicht gibt, kann nicht sich nicht fortsetzen, wenn die Hälfte der Bevölkerung in einem degradierten oder abgewerteten oder untergeordneten Zustand ist, oder? Wir müssen wirkliche Gleichheit herstellen, und das wissen wir alle, und deshalb denke ich, dass dieses Gefühl, über ein Jahr lang in uns selbst zu sein, unser Bewusstsein für einen neuen Zustand des Lebens öffnen könnte. Und es scheint mir, dass dies der interessanteste Horizont dieser Angelegenheit ist, die die Pandemie war.
Natürlich… Also, wir haben noch nicht erwähnt, dass du auch Autorin bist, Verfasserin deiner eigenen, persönlichen, um es mal so zu sagen, aber auch kollektiven Bücher, und seit etwa 12 Jahren wagst du dich in diese Welt des Journalismus hinein. Wie nimmst du Pressenza, die Gründung der Agentur, in dieser Situation wahr, welche Rolle hat sie deiner Meinung nach, was siehst als Aufgabe des Journalismus, die er an diesem Scheideweg, in dieser Phase der Veränderung, in dieser Möglichkeit einer neuen Zivilisation übernehmen sollte?
In diesen 12 Jahren, Juana, haben wir beide, weil wir beide aus diesen 12 Jahren Arbeit in der Agentur kommen – wir haben zusammen angefangen – bereits zwei Pressenza-Bücher veröffentlicht, und zwar hieß das erste „Umkehr in die Zukunft“, weil sich verschiedene Strömungen beobachten ließen, während das zweite „Die globale Krise“ hieß. Denn die globale Krise, über die wir so viel reden, war damals bereits eingetreten. Und jetzt schreiben wir mit vielen Händen- deinen, meinen und denen von anderen, ein drittes Buch über gewaltfreien Journalismus, über die Idee einer journalistischen Erzählung auf der Grundlage verifizierter Quellen und sicher nicht von Fake News, die Erzählung eines bewussten Journalismus, der auf dieser neuen Welt basiert, die kommt, auf diesem Horizont, auf den wir zugehen, der Visionen erzeugen kann, die wirklich das Potenzial haben, uns in neue Richtungen zu bewegen. Und so legt dieser Journalismus, den wir fördern – gewaltfrei, nicht-diskriminierend – den Schwerpunkt, den Fokus, auf die Auswirkungen dessen, was die Tür zu einer anderen Zukunft öffnet. Das ist es, was wir mit dieser Art von Journalismus zeigen wollen, nichts anderes. Ich meine, was interessieren uns Prominente, was interessiert uns dieser Haufen von Dingen, die die Medien normalerweise so sehr interessieren? Was uns interessiert, ist, wie zum Beispiel eine kleine indigene Gemeinschaft im Norden Perus sich organisiert, um ihre Landwirtschaft, ihre Medizin, ihr Wasser, ihre eigene Lebensweise, ihr „gutes Leben“ zu retten, um all dies in den Dienst einer größeren Kultur in der Andenregion zu stellen, wo dieses „gute Leben“, diese guten Praktiken wiedergewonnen werden. Oder was mit der Einführung des universellen Grundeinkommens geschieht, als demonstrativer Effekt einiger erster Experimente, die diesen Vorschlag umsetzen wollen, oder was mit den Studierenden geschieht, mit so vielen Gruppen, die nicht die Hauptakteure der großen Medien sind, weil sie offensichtlich nicht das System repräsentieren. Aber sie sind zweifellos die Vollstrecker der Zukunft, diejenigen, die das menschliche Schicksal in ihren Händen halten. Und so versucht Pressenza, Licht ins Dunkel zu bringen, das die Zukunft eröffnet. In diesen 12 Jahren haben wir daran gearbeitet und vorausgesehen, was kommen würde.
Und wie stellst du dir die Zukunft vor, bzw. welche Zukunft strebst du an?
Es ist nicht sehr schwer, sie sich vorzustellen, sie ist schon in unser aller Herzen, es ist eine Zukunft voller Güte, es ist eine Zukunft, in der alle Menschen einen Platz haben, und nicht nur die Menschen, alle Spezies können ihren Platz finden, ohne von irgendetwas bedroht zu werden, ohne Gegenstand von Gewalt oder Diskriminierung zu sein. Für die Menschen bedeutet sie den Aufbau einer universellen Gesellschaft, einer universellen menschlichen Nation, gerecht, vor allem gerecht, wo ein Mensch wirklich in Würde geboren wird, lebt, sich entwickelt, wächst, stirbt und nicht jahrelang kämpfen muss, um etwas Geld zu verdienen und eine Suppe essen zu können. Also wo alle in Übereinstimmung mit dem leben können, was sie am tiefsten motiviert, und natürlich strebe ich nach einer Welt, in der wir die Umweltkatastrophe beenden und in der wir den schrecklichen Schaden, den wir bereits angerichtet haben, reparieren können, in der wir wieder aufforsten und mit bedrohten Arten neu bevölkern können.
Nun, ich weiß nicht, ob ich dir diese Frage, die ich dir jetzt stellen möchte, am Anfang hätte stellen sollen, aber wir sind sehr daran interessiert zu erfahren, was passiert ist, welche Erfahrungen, welche Erkenntnis dich zur Militanz, zur Teilnahme an einer weltweiten Bewegung geführt hat – du hast so jung begonnen und bist jahrzehntelang dabei geblieben.
Wir sprechen von einer weit zurückliegenden, fernen Vergangenheit…
Ja, aber du bist doch immer noch hier, oder?
Ja, das ist jetzt viele, viele Jahre her, mein ganzes Leben hat jenen Verlauf genommen, weil… sich eine Sache ereignet hat, – klein und unbedeutend, wie die meisten Dinge, die dein Leben tiefgreifend verändern, wenn du dich ihnen stellst, richtig? Es war ein Zettel, der meine Aufmerksamkeit erregte, ein sehr kleiner Zettel, der unter die Tür der Wohnung meiner Großmutter geschoben wurde, wo ich eines Tages zu Besuch war, als ich 15 war. Und dieses kleine, unbedeutende Stück Papier, das andere weggeworfen hätten, erregte meine Aufmerksamkeit, weil es einen Satz enthielt, der besagte: „Meine Lehren sind nicht für die Sieger, sondern für diejenigen, die das Scheitern im Herzen haben“, und es war mit einem Namen unterschrieben, den ich noch nie gehört hatte, Silo. Und als ich diesen Satz las, erkannte ich – vielleicht weil in meinem Bewusstsein eine entsprechende Stille herrschte, ich weiß nicht warum – dass ich genauso dachte, dass jede Abschweifung, jede Projektion auf die Zukunft für mich bereits ein Scheitern war. Ich wollte nicht die Frau sein, die sie mir beibrachten zu sein, ich wollte die Welt nicht, die ich sah, ich wollte die Unterschiede nicht, die zwischen Männern und Frauen, zwischen Groß und Klein, zwischen Reich und Arm, besonders zwischen Reich und Arm, offensichtlich waren, und ich fühlte mich sehr motiviert, diesen Lehren nachzugehen. Und ich suchte sie, ich fand sie, und sie erschienen mir außergewöhnlich – ich bin ihnen mein ganzes Leben lang gefolgt. Es ist schon lange her, aber mir fällt ein, dass ich kaum ein interessanteres Leben hätte führen können, ein erfüllteres Leben, und noch dazu mit so intelligenten Menschen, denn alle, die ich auf diesem Weg getroffen habe, haben etwas Seltenes und Außergewöhnliches, nämlich dass sie früher oder später alle das gleiche Scheitern erlebt haben und nie wieder im System sein wollten. Es ist also ein bisschen so, als hätten sie diese Krise, in der wir uns heute befinden, vorausgesehen. Und dieses Zusammentreffen mit Menschen aus allen Kulturen, die so unterschiedlich sind, die ich nie kennengelernt hätte, ist so außerordentlich bereichernd gewesen, weil alle nicht dumm sind und merken, dass das nicht so weitergehen kann. Ich denke, es sind sehr sensible, sehr spezielle und sehr entschlossene Menschen, alle von ihnen wollen etwas anderes aus ihrem Leben machen. Es war also eine enorme Bereicherung, an dieser Strömung teilgenommen zu haben, die man Siloismus oder Humanismus oder wie auch immer nennt. Die offen ist für die Möglichkeit, die Welt zu verändern, aber auch dafür, das eigene Bewusstsein im gleichen Zug zu transformieren. Diese gleichzeitige Veränderung des Äußeren und des Inneren ist außergewöhnlich. Du kennst das gut, Juana, du weißt, wovon wir sprechen.
Ja. Ich weiß nicht, ob du dem noch etwas hinzufügen möchtest?
Vielleicht dazu einladen, sich Pressenza anzuschauen…
Zum Beispiel…
Damit die Leute uns sehen, denn wir arbeiten jeden Tag mit neun Sprachen, nicht nur mit Interviews wie diesem, sondern auch mit geschriebenen Texten, mit Fotos, mit sozialen Netzwerken und mit vielen Dingen, mit Übersetzungen – man kann nicht mit allem Schritt halten. Gleichzeitig bauen wir ein sehr interessantes Feld des Austauschs zwischen Menschen auf, die neun verschiedene Sprachen sprechen, die verschiedene Dinge in vielen Ländern tun, auf der Suche nach dieser Zukunft, die wir beleuchten wollen.
Und so sind alle, die mitmachen wollen, eingeladen – hier ist ein Platz für sie. Und der Ort wird durch jeden einzelnen Menschen hier definiert – ein Ort, an dem man das tun kann, was man gerne tut und das reicht aus, niemand muss etwas tun, das einen nicht wirklich motiviert. Dies ist also die Einladung.
Übersetzung aus dem Italienischen von Chiara Pohl vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!