Christa Dettwiler für die Online-Zeitung INFOsperber
Im Herbst jährt sich der Anschlag vom 11. September 2001 in New York zum zwanzigsten Mal. Doch die Gerichtsverhandlung gegen die fünf dafür verantwortlich gemachten und im Militärgefängnis von Guantanamo inhaftierten Männer hat noch nicht begonnen. Insgesamt verwahrten die USA 780 Häftlinge für längere oder kürzere Zeit auf Guantanamo, heute sind es noch 40. Verurteilt wurden bisher nur ganz wenige. Die Aufrechterhaltung der maroden Einrichtung kostet die US-Steuerzahlenden 13 Millionen US-Dollar – pro Häftling und Jahr.
Vier Reporterinnen und Reporter der New York Times haben recherchiert, was mit den ersten 20 Häftlingen passiert ist, die vier Monate nach dem Anschlag von 9/11 nach Guantanamo überführt wurden. Es seien, so liess das Pentagon damals verlauten „die Schlimmsten der Schlimmen“ (the worst oft he worst). Und der Brigadegeneral, der das Gefängnis aufgebaut hatte, doppelte nach: „Es sind die schlimmsten Elemente der Al Kaida und der Taliban. Wir haben die übelsten Kerle zuerst genommen.“ Doch keiner dieser Männer wurde je wegen des Anschlags vom 11. September angeklagt, nicht einmal als Mitwisser.
Khalid Scheich Mohammed und die vier weiteren Männer, welche die USA heute für den Anschlag verantwortlich machen, wurden erst vier Jahre später gefasst und nach Guantanamo überführt.
Acht der 20 ersten Gefangenen wurden schon während der Bush-Administration freigelassen. Nur zwei der ersten 20 befinden sich noch auf Guantanamo. Ali Hamza al Bahlul ist der einzige, der wegen eines Kriegsverbrechens zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist. Der Tunesier Ridah bin Saleh al Yazidi hätte dagegen Guantanamo schon vor Jahren verlassen können, verweigert sich aber der Repatriierung. Die Übrigen – ausgewiesene Kämpfer, Mitläufer und Männer, die sich schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort befanden – leben längst über den Globus verteilt in elf verschiedenen Ländern.
Als erster wurde der 21jährige Shabidzada Usman Ali im Mai 2003 nach Hause geschickt. Seine Inhaftierung war wohl einfach ein Fehler gewesen. 2007 wurde Mullah Abdul Qayyum Zakir freigelassen, der am ersten Tag unter dem Alias Abdullah Gulam Rasoul inhaftiert worden war. Kurz nach seiner Freilassung entpuppte er sich als Kommandant von Taliban-Kräften im südlichen Afghanistan. Heute, mit 48, ist er ein Taliban-Führer, ein Hardliner, der die Friedensverhandlungen mit den USA ablehnt.
Ex-Guantanamo-Häftlinge am Verhandlungstisch mit den USA
Drei weitere Ersthäftlinge waren Teil des in Katar stationierten Taliban-Verhandlungsteams, dessen Vereinbarungen zurzeit von der Biden-Regierung überprüft werden. Mullah Fazel Mazloom, Mullah Norullah Noori und Abdul Haq Wasiqwaren drei der fünf Taliban-Gefangenen, die 2014 von der Obama-Regierung nach Doha entsandt wurden, im Austausch gegen Sgt. Bowe Bergdahl. Heute leben die Drei mit ihren Familien frei in Häusern, die ihnen von Katar zur Verfügung gestellt wurden.
Unter 30 jemenitischen Gefangenen, die von Oman aufgenommen wurden, ist auch Samir Naji al Hasan Moqbel, einer der ersten 20 Guantanamo-Häftlinge. Der 43-Jährige arbeitet heute in einer Fabrik und ist Familienvater. Ali Ahmad al Rahiziund Mahmoud al Mujahid wurden gegen Ende der Obama-Administration zusammen mit rund zwei Dutzend weiteren Gefangenen in die Arabischen Emirate ausgeschafft. Sie befinden sich laut dem in London basierten „Life After Guantanamo“-Projekt unter unzumutbaren Bedingungen weiter in Haft. Nicht zuletzt weil eine Zwangsausschaffung in den kriegsversehrten Jemen zu gefährlich wäre.
Der Jemenit Abd al Malik wurde nach Montenegro ausgeschafft, wo er in prekären Umständen mit Frau und Tochter lebt.
Vier der von der Bush-Regierung Freigelassenen waren für die Reporterinnen und Reporter der New York Times unauffindbar. Gholam Ruhani wurde 2007 nach Afghanistan ausgeschafft. Sein Anwalt hat seither nichts mehr von ihm gehört. Feroz Abassi wurde zurück nach Grossbritannien gebracht, Omar Rajab Amin nach Kuwait und David Hicks nach Australien. Sie alle sind abgetaucht.
Vier Männer leben heute in Saudi Arabien, der Bekannteste von ihnen ist Abdul Rahman Shalabi, der mit seinem Hungerstreik in Guantanamo Schlagzeilen machte. Nach einem Gefängnisaufenthalt in Saudi Arabien wurde er 2018 entlassen und hat mittlerweile eine Familie gegründet. Die drei anderen, Mohammed al Zayly, Fahad Nasser Mohammed und Mohammed Abu Ghanem haben eine Rehabilitations-Programm absolviert und sind laut einem Saudi-Offiziellen nicht mehr straffällig geworden.
Ibrahim Idris, ein Sudanese, wurde 2013 repatriiert und starb im Februar dieses Jahres an den physischen und psychischen Folgen seines Aufenthalts im berüchtigten Militärgefängnis auf Guantanamo.