Während ich noch den Artikel über die kritische Namensgebung in Zentralasien übersetze, erreichen mich höchst allarmierende Nachrichten von der tadschikisch-kirgisischen Grenze. Sie kommen über Freunde von die kirgisische Menschenrechtsorganisation Birduino Kirgisztan und werden auch bestätigt u.a. von Human Rights watch: An die 40 Personen, unter ihnen auch Frauen und Kinder wurden getötet, Hunderte verletzt. Schulen, Dörfer, Infrastruktur in der Region zerstört. Die Gefahr eines Grenzkrieges droht.
Wie kam es zu dem Grenzkonflikt?
Zivilbevölkerung auf beiden Seiten reagierten gewalttätig auf die Installation von Überwachungskameras für ein von beiden Seiten zugängiges Wasserreservoir an der Grenze. Sicherheitskräfte schritten zunächst gegen Steine werfenden Menschen ein. Soziale Medien verbreiten schnell Bilder von Hass und Zerstörung, die u.a. die Infiltration von militärischem Personal in Zivilkleidung auf der jeweils anderen Seite belegen.
Die eingesetzten Geschosse unterschieden offensichtlich nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen. Die schon seit langem aufgeladene Stimmung in der Grenzregion wurde dramatisch angeheizt durch militärische Präsenz und den Einsatz scharfer Waffen. Tolekan Ismailova, die Vorsitzende von Birduino fordert nun dringend den Einsatz des „Moskau-Mechanismus“, eines Instruments der OSZE zur Untersuchung möglicher Menschenrechtsverletzungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Mitgliedstaaten. Er wurde in der Vergangenheit eher selten eingesetzt aber jüngst im Zusammenhang mit Tschetschenien und Belarus immer wieder eingefordert. Die Formalien sind klar geregelt: Zwei Expert*innen untersuchen die Vorwürfe. Eine/r der Expert*innen wird von der OSZE bestimmt, der/die andere wird von dem Land ausgewählt, gegen das sich die Vorwürfe richten. Es soll schnell gehandelt werden, bevor der Konflikt ausartet. Es gilt Provokationen aufzudecken und Zivilbevölkerung zu schützen gerade in einer Gegend, in der Armut, unzählige Vertreibungsgeschichten und autoritäre Staatsführungen für Instabilität sorgen. „Jetzt muss schnell gehandelt werden, bevor die Situation eskaliert und noch mehr Menschen zu Tode kommen“, fordert Ismailova.
Appell an regionale Verantwortung und internationale Solidarität
Zunächst solle es um die Bewahrung der Souveränität und territorialen Integrität Kirgisistans gehen, um die gleichberechtigte Beteiligung der lokalen Gemeinschaften an den Prozessen der Lösung der gesellschaftlich bedeutsamen Probleme zu gewährleisten und dabei ihre realen Bedürfnisse und Forderungen zu berücksichtigen. Desinformation trüge maßgeblich zur Destabilisierung der Lage im ganzen Land bei.
Im Rahmen internationaler Mechanismen der UNO, der EU und auch der OSZE (s.o.) ginge es nun vorrangig um die menschliche Dimension der aktuellen Konflikte an der Grenze zwischen Kirgisistan und Tadschikistan im Mai 2021, die u.a. zum Tod eines 12-jährigen Mädchens geführt hatten.
Es sei wichtig, sich an die Menschenrechtsausschüsse der Vereinten Nationen und der Europäischen Union mit dem Vorschlag zu wenden, gemeinsam einen Notfall-Aktionsplan zu entwickeln, um die Spannungen zu deeskalieren, einen fortschreitenden bilateralen Dialog zu etablieren und den lokalen Gemeinschaften, die in den Risikozonen der Grenze eingeschlossen sind, rechtzeitig Hilfe zu leisten, um neue Opfer unter der Zivilbevölkerung zu verhindern.
Opfer des Konflikts bräuchten zeitnah und transparent humanitäre und technische Hilfe unter Berücksichtigung der Risiken der Coronavirus-Pandemie und der Notwendigkeit, die Sicherheit der betroffenen Familien zu gewährleisten, mit besonderem Augenmerk auf Frauen und Kinder, die aufgrund der erheblichen Bedrohungen für ihr Leben und ihre Gesundheit gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen.
Birduino weist darüber hinaus auf die Notwendigkeit der Schaffung von Dialogplattformen zur Friedenskonsolidierung hin. Die Regierung der Kirgisischen Republik, internationale und nichtstaatliche Organisationen müssten einen Dialog zur Friedenskonsolidierung initiieren und einen Aktionsplan entwickeln, um die Probleme der Grenzen und des Zugangs der Bürger zu Wasser- und Landressourcen anzugehen.
Die Menschenrechtsorganisation Birduino Kirgisztan
Sie wurde im Jahr 2000 gegründet, um die Einhaltung ziviler, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Rechte zu analysieren, zu garantieren und zu stärken. Ein Schwerpunkt liegt darin, die Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen und sozialen Leben zu stärken durch eine breit angelegte Förderung insbesondere junger Menschen, marginalisierter Gruppen – auch und gerade in ländlichen Regionen – und vor allem von Frauen und Frauenrechten.
Die stark patriarchal geprägte Gesellschaft und die autoritäre Regierung Kirgistans bieten viele Stolpersteine für Gleichberechtigung. Das gefährdet permanent und in zunehmenden Maße die Sicherheit von Frauen. Am 8. März wurde eine friedliche Demonstration von Frauen sehr übergriffig durch Sicherheitskräfte beendet und die Frauen abgeführt. Dagegen haben internationale Partner*innen solidarischen Einspruch erhoben. Staatliche Institutionen ignorieren Rechte, die sogar in der kirgisischen Verfassung verbrieft sind, wie Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit. Frauen haben auch bei Wahlen nur geringe Chancen auf Listen zu kandidieren.
Internationales Menschenrechtsfilmfestival
Birduino stärkt seine menschenrechtliche Arbeit auf vielen Kanälen. Große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt z.B. alljährlich ein Menschrechtsfilmfestival mit internationaler Beteiligung und einem großartigen medial begleiteten Rahmenprogramm. Ein Schwerpunkt liegt dabei aber auf regionaler und lokaler Präsenz, das Schüler*innen, Jugend- und Frauen*gruppen in zahlreichen dezentralen Veranstaltungen für Diskussionen einbindet und für Frieden und Rechte sensibilisiert.
Klimaschutz und Antikorruptionsmaßnahmen
Birduino hat sich in einem ganzheitlichen Ansatz auch Aufklärungskampagnen für Klima-und Naturschutz verschrieben, arbeitet an der Aufklärung gegenüber religiösem Fundamentalismus und Korruption und setzt sich ein für ein gedeihliches Miteinander verschiedenster Volksgruppen, IDPs und Flüchtlinge.
Die umtriebige Vorsitzende, Tolekan Ismailova, ist bestens international vernetzt. Sie ist im Vorstand der Internationalen Menschenrechtsorganisation und im Rahmen der OSZE im Dachverband von Menschenrechtsorganisationen hat sie gerade intensive Gespräche mit der EU-Delegation und der schwedischen OSZE-Vorsitzenden geführt. Tolekan Ismailova engagiert mit einem großartigen Team in allen Regionen des Landes.
Sensibilisierung für Covid-19
Besonders stolz ist Tolekan Ismailova, wie sie mir sagte auf ein „hochaktuelles Projekt, das sie ins Leben gerufenen mit Unterstützung der globalen Initiative „Innovation for Change“ im Rahmen des Projekts „Sensibilisierung für COVID-19“. Die Initiative hält – unter Zusammenarbeit mit Gewerkschaftsvertreter*innen und Jurist*innen – eine kostenlose Beratung ab über Arbeitsschutz und die Einhaltung von Menschenrechten bei der Arbeit während der Pandemie. Ein Radio unterstützt die Aktion sehr erfolgreich.
„Nur friedlicher Dialog und Konsultationen lösen alle Konflikte an Grenzen“