Ein hämisches Argument gegen die Trinkwasserinitiative lautet: Wenn im Inland ökologischer produziert wird, müssen wir wegen geringerer Erträge mehr Nahrungsmittel importieren, womit sich die Umweltbelastung einfach ins Ausland verlagert. Das liesse sich ebenso hämisch kontern: Sagen Sie Ja zur Pestizidinitiative. Diese fordert dieselben ökologischen Produktionsstandards für importierte Lebensmittel.
Aber lassen wir die Häme und schauen wir die Importfrage und den Selbstversorgungsgrad der Schweiz genauer an.
Selbstversorgungsgrad ist schon heute niedrig
Die Schweiz kann sich gemäss statistischen Angaben des Bundes zu 58 Prozent mit Nahrungsmitteln aus eigener Produktion versorgen (Stand 2018). Auch zur Zeit der Anbauschlacht im zweiten Weltkrieg lag dieser Wert nie sehr viel höher. Denn die Schweiz hat als kleines Land im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung und deren Raumansprüchen grundsätzlich zu wenig nutzbare Flächen. Doch die 58 Prozent sind erst noch zu hoch gegriffen. Denn bei dieser Bruttozahl ist nicht berücksichtigt, dass wir jährlich über eine Million Tonnen Futtermittel importieren, um den genannten Versorgungsgrad zu erreichen. Es wird also vernachlässigt, dass über die Hälfte des Ackerlands für die Nutztier-Fütterung im Ausland liegt.
Ehrlicher ist es daher, den Selbstversorgungsgrad netto auszuweisen. Dieser liegt bei nur 51 Prozent. Nebenbei bemerkt: Damit bleiben alle weiteren Importe wie Dünger, Maschinen und Treibstoffe immer noch unberücksichtigt. Und ebenfalls nebenbei bemerkt: Der Transport von Importgütern belastet zwar die Umwelt. Doch ausser bei Waren aus Übersee schlägt der Transport bezüglich Umweltbelastung weniger zu Buch als die Produktionsweise. Und diese ist in unseren Nachbarländern im Durchschnitt weniger intensiv als in der Schweiz – allen Werbesprüchen zum Trotz.
Futtermittelimporte vermeiden
Der entscheidende Punkt ist also nicht die Tatsache, dass die von den Initiativen geforderte ökologische Anbauweise durch Verzicht auf synthetische Pestizide und Handelsdünger teilweise kleinere Ernten liefert. Die entscheidende Frage ist, ob die dann allenfalls notwendigen neuartigen Importe höher und umweltschädigender wären als die heutigen.
Nach Annahme der Trinkwasserinitiative gibt es keinen finanziellen Anreiz (Direktzahlungen) mehr, um Futtermittel zu importieren. Dieser besonders fragwürdige Importposten würde also kleiner, womit sich die Selbstversorgung für unsere Nutztiere erhöht.
Das Bereitstellen von Futtermitteln für das Vieh ist sowohl im Inland wie im Ausland der wichtigste Treiber für eine zu intensive und naturschädigende Landwirtschaft. Weltweit dienen – neben Wiesen und Weiden – 30 Prozent der Ackerböden der Versorgung von Vieh, nicht von Menschen. In der Schweiz liegt dieser Anteil noch deutlich höher. Das erzeugt den bekannten hohen Druck, wertvolle Natur zu zerstören.
Viehhaltung ist nur dort nachhaltig, wo sie nicht die wertvollsten Naturflächen beansprucht und mehrheitlich auf Grasland und der Verwertung von Reststoffen beruht. Denn die direkte Ernährung der Menschen – ohne Umweg über das Tier – ist sehr viel effizienter. Die Umwandlungsrate von pflanzlichen in tierische Kalorien schwankt im Idealfall zwischen 2:1 bei Geflügel, 3:1 bei Schweinen, Zuchtfischen, Milch und Eiern und 7:1 bei Rindern. Bei Grasfressern ist der hohe Umwandlungsverlust je nach Situation von geringerer Bedeutung, weil sie Böden nutzen können, die für den Ackerbau nicht taugen.
Weniger Fleisch, Milch und Eier
Die Werbeplattform für Fleisch «Proviande» redet die Futtermittelimporte trickreich klein. In der Schweiz stammten 85 Prozent des Futters von hiesigen Böden, argumentiert sie. Doch das stimmt nur von der Menge, nicht vom Nährwert her: 50 Prozent des Fleisches und 70 Prozent der Eier kommen durch Futtermittelimporte zustande. Die Folgen sind unter anderem übermässige Mengen von Kot, die unsere Böden überdüngen und die Gewässer verschmutzen. Infosperber hat dies hier näher ausgeführt.
Somit ist klar: Der Verzicht auf Futtermittelimporte würde die Umwelt massiv entlasten. Aber ebenso klar ist: Die dadurch sinkende Produktion von tierischen Lebensmitteln darf nicht durch Fleischimporte kompensiert werden. Sonst betreiben wir tatsächlich Ökologie auf Kosten anderer Gesellschaften jenseits der Grenze.
Es sind also nicht einfach die Bauern, die den Wandel schaffen müssen und können, sondern es geht um unsere Konsumgewohnheiten. Konkret: um den hohen Konsum von tierischen Lebensmitteln. Die grossen Mengen an Fleisch, Eiern und Milchprodukten, die wir verzehren, lassen sich nicht aus unseren Böden erzeugen. Eine «standortangepasste und ressourcenschonende Landwirtschaft» – als Mittel zur Sicherung unserer Ernährung in der Verfassung verankert – ist mit dem heutigen Verzehr von Kalorien aus der Viehwirtschaft schlicht nicht erreichbar.
Viehwirtschaft mit Mass
Sich in der Schweiz in einem bescheidenen Mass von tierischen Produkten zu ernähren, ist ökologisch durchaus sinnvoll. Denn ein wesentlicher Teil der landwirtschaftlichen Flächen eignen sich am besten als Grasland für die Tierhaltung und Tierernährung. Aber im Vordergrund müsste stärker die Versorgung mit Milch als mit Fleisch stehen. Das hält die eidgenössische Forschungseinrichtung Agroscope fest, die in einer Studie analysierte, wie ein möglichst ökologisches Ernährungssystem für die Schweiz aussehen würde.
Bei einer standortangepassten Bewirtschaftung müssten die Bestände aller Fleischlieferanten – also von Schweinen, Geflügel, Mutterkühen und Mastrindern – drastisch sinken. Wiesen und Weiden würden vor allem den Milchkühen dienen. Bei diesem Modell könnte sogar ein Teil des Graslands weniger intensiv genutzt werden als heute. Das käme der bedrohten Vielfalt von Wiesenpflanzen und ihren Bestäubern sowie den am Boden brütenden Vögeln zugute.
Selbstversorgung steigt
Eine Umstellung auf stärker pflanzenbasierte Nahrung macht importierte Futtermittel überflüssig. Das umstrittene Sojaschrot, für dessen Anbau grosse Flächen von Urwald geopfert werden, fällt ganz weg. Als Ergänzungsfutter für Hochleistungskühe rechnet Agroscope nur noch mit etwas Körnermais und Gerste. Bei diesem Regime verringert sich auch der Flächenbedarf für den Futtermittelanbau im Inland. Folglich werden Ackerflächen frei, auf denen die Bauern vermehrt Getreide, Kartoffeln, Raps und Gemüse für die Menschen anbauen könnten.
Mit diesem Wandel liesse sich ein massiv höherer Selbstversorgungsgrad erreichen als heute. Wer Ernährungssicherheit mit möglichst kleiner Abhängigkeit von Futter- und Lebensmittelimporten gleichsetzt, muss sich somit für diesen Wandel einsetzen. Mehr dazu lässt sich hier erfahren.
Sorgfältiger einkaufen und sparen
Zusätzlich lässt sich der Selbstversorgungsgrad steigern, wenn vom Feld bis zum Teller weniger Lebensmittel verschwendet werden. In der Schweiz fallen jährlich 2,6 Millionen Tonnen Lebensmittelverluste (gewogen in Frischsubstanz) an, hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU) eruiert. Mindestens zwei Drittel davon wären vermeidbar. Das würde nicht nur der Umwelt dienen, sondern auch dem Haushaltbudget. In der Gastronomie entsprechen die Kosten für die überflüssigen Rohstoffe und deren Entsorgung einer Milliarde Franken pro Jahr, schreibt das BAFU. Die Haushalte lassen sich den falsch verstandenen Luxus sogar fünf Milliarden oder pro Kopf 600 Franken kosten. Die wenigsten nehmen ihren Anteil am Wegwerfproblem selber überhaupt wahr.
Die Schweiz hat sich mit Annahme der UN-Agenda 2030 dazu verpflichtet, die Lebensmittelverschwendung bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Alle Beteiligten von der Produktion über den Handel bis zum Konsum sollen ihren Teil zur Verbesserung beitragen. Dazu muss insbesondere in den Haushalten die Teilhabe am Problem erst erkannt werden.
Lebensmittel wegzuwerfen ist ein Symptom für mangelnde Wertschätzung. Machten Nahrungsmittel einen höheren Anteil an den Haushaltkosten aus, würde der Bedarf beim Einkauf sorgfältiger abgewogen und Nahrungsreste würden noch genutzt. Stiegen die Preise für Lebensmittel durch eine ökologischere Produktion allenfalls tatsächlich an, so liessen sich die Mehrausgaben mit Achtsamkeit und Sorgfalt kompensieren.