Mit „Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben“ liegt erstmals ein Buch der amerikanischen Tierethikerin Christine M. Korsgaard in deutscher Sprache vor. Es argumentiert mit Kant für einen anderen Umgang mit Tieren, wobei etwa Gesichtspunkte wie die Universalisierbarkeitsprüfung oder die Wechselseitigkeit relevant sind.
„Handle so, dass du die Lebewesen sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals als bloßes Mittel brauchest.“ So hat Kant es nicht ganz formuliert. Wo hier „Lebewesen“ steht, steht bei ihm „Menschheit“. Die erstgenannte Formulierung schließt Tiere ein, die ursprüngliche Formulierung nicht. Dass man aber auch hier mit Kant gegen Kant argumentieren kann, legt die amerikanische Philosophin Christine M. Korsgaard nahe. Sie ist eine wichtige Akteurin in der tierethischen Diskussion, gleichwohl gab es bislang noch kein Buch von ihr in deutscher Sprache. Das hat sich jetzt geändert, liegt doch von „Fellow Creatures. Our Obligations to the Other Animals“ mit „Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben“ eine erste Übersetzung vor. Darin vertritt sie die Auffassung einer bestimmten Ethik, wonach „wir Menschen verpflichtet sind, alle fühlenden Tiere … in zumindest einer Bedeutung des Begriffs als das zu behandeln, was Kant ‚Zweck an sich selbst‘ nennt“ (S. 11).
Die an der Harvard University lehrende Philosophin holt dabei thematisch weit aus, um ihre Grundpositionen zu vermitteln. Es geht ihr zunächst um die Frage, ob Menschen wichtiger als Tiere sind. Dabei setzt sie sich wie bei anderen Fragen zunächst mit den entsprechenden Gegenargumenten auseinander, um jeweils ihre auch an Aristoteles, aber doch hauptsächlich an Kant orientierte Sichtweise darzulegen. Die Antwort von Korsgaard läuft darauf hinaus, dass ein bewusstes Dasein ein Gut sowohl für Menschen wie Tiere ist. Daraus leitet sie die Aussage ab, wonach es hier keine Priorität in der Wichtigkeit geben könne. Demnach wird mit hohen Anforderungen gearbeitet, wobei bedeutsame Konsequenzen auch auf einem niederschwelligeren Niveau gezogen werden können. Selbst wenn zwischen Menschen und Tieren keine gleiche Wertigkeit bestehen würde, legitimierte dies nicht Tieren gegenüber im Umkehrschluss das bekannte grausame Vorgehen. Korsgaard geht es aber auch immer um philosophische Tiefenbohrungen, die sie häufiger in inhaltliche Weiten führt.
Dementsprechend stehen auch immer wieder Grundsatzfragen im Zentrum, sei es bezogen auf das Gute und seinen Ursprung, sei es hinsichtlich aktiver und passiver Selbstkonstitution, sei es bezüglicher der geistigen Hochentwicklung, sei es hinsichtlich des menschlichen Überlegenheitsanspruchs. Gerade bei der kritischen Auseinandersetzung mit liebgewonnenen Selbstverständlichkeiten wie im letztgenannten Sinne zeigt sich, dass in derartigen Fragen hinsichtlich des dem Menschen eigenen moralischen Status weiter gedacht werden muss. Die Autorin geht auch ausführlich auf Kants Sicht ein, wobei sie ihn mit seinen eigenen Denkansätzen weiterentwickeln möchte und hier innovative Perspektiven entwickelt. Berechtigt verweist Korsgaard auf die Prüfung einer Universalisierbarkeit, wenn es um den menschlichen Umgang mit Tieren geht. Man solle nicht nur Menschen, sondern auch Tiere als Zweck an sich selbst schätzen. Ihre Argumentation läuft in der Bilanz auf einen kantianischen Naturalismus hinaus, was auch unabhängig vom Tierthema interessant ist.
Die Grundaussage von Korsgaard lautet: „Was uns auszeichnet, ist die Empathie, die uns zu der Einsicht befähigt, dass andere Geschöpfe sich selbst in derselben Weise etwas bedeuten, in der wir uns etwas bedeuten. Was uns auszeichnet, ist die Vernunft, die uns zu dem Schluss kommen lässt: Jedes Tier muss als ein Zweck an sich selbst betrachtet werden, auf dessen Schicksal es ankommt, und unbedingt ankommt, wenn es überhaupt auf etwas ankommen soll“ (S. 220). Danach setzt sich die Autorin noch mit den Konsequenzen dieser Positionen auseinander. Es geht dabei um ganz unterschiedliche Fragen, etwa inwieweit Haustierhaltung oder Tierversuche legitimierbar sind. Auch hier werden weit verbreitete Grundannahmen einer kritischen Prüfung unterzogen. Beachtenswert sind etwa die Einwände gegen die Position, wonach es Schweine nur aufgrund einer Specknachfrage geben würde, argumentiere man hier doch mit einem bloß möglichen Schwein (vgl. S. 258). Es handelt sich um einen wichtigen Beitrag zur Tierethik, indessen ist die Lektüre nichts für das Sofa.