PRO ASYL fordert, dass die regelmäßigen Sammelabschiebungen nach Afghanistan angesichts der verheerenden Sicherheitslage, der gesundheitlichen Risiken durch die Covid-19-Pandemie sowie der durch diese noch einmal verschärften katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse endlich beendet werden.
Seit dem Beginn der Sammelabschiebungen nach Afghanistan im Dezember 2016 waren von diesen insgesamt 1015 Menschen betroffen. 107 Menschen wurden allein in diesem Jahr aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Monat für Monat wird – unbeirrt von der Covid-19-Pandemie und ihren gravierenden Auswirkungen – ein Charterflugzeug mit verzweifelten jungen Männern in das seit Jahrzehnten von bewaffneten Konflikten versehrte Land geschickt. Am 07.04.2021 droht bereits die vierte Sammelabschiebung nach Afghanistan in 2021, diesmal vom Flughafen Berlin-Schönefeld.
Dies, obwohl sich die ohnehin desaströse Sicherheitslage in Afghanistan in jüngster Zeit verschärft hat. Am 12 März 2021 hat der UN-Generalsekretär dem Weltsicherheitstag seinen periodischen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan vorgelegt. Daraus geht hervor, dass sich diese im Jahr 2020 gegenüber 2019 erneut verschlechtert hat. Mit 25.180 sicherheitsrelevanten Vorfällen – dem höchsten Wert, seit die UNO diesen Wert erhebt – ist ein Anstieg von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr mit 22.832 Vorfällen zu verzeichnen. Weiter heißt es in dem Bericht: » Die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße stieg von 13.155 im Jahr 2019 um 18,4 Prozent auf 15.581 im Jahr 2020. Darüber hinaus stieg die Zahl der durch improvisierte Sprengkörper (IEDs) verursachten Detonationen von 1.949 im Jahr 2019 um 32 Prozent auf 2.572 im Jahr 2020 und die Zahl der gezielten Mordanschläge um 27 Prozent von 782 im Jahr 2019 auf 993 im Jahr 2020«. Laut einem UNAMA-Report vom Februar dieses Jahres hat die Gewalt in sämtlichen Regionen Afghanistans Ende 2020 sogar noch einmal zugenommen. Und die US-amerikanische Denkfabrik Council on Foreign Relations rechnet im Zusammenhang mit dem zwischen den Taliban und den USA im Februar 2020 ausgehandelten Truppenabzug und den damit verbundenen Unwägbarkeiten im Jahr 2021 mit einer weiteren Verschärfung der Sicherheitslage.
Manche (Ober-)Verwaltungsgerichte sprechen aktuell Abschiebungsverbote für potentiell Betroffene aus. Beispielsweise hat im Dezember 2020 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auf Grund der verheerenden wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie in Afghanistan seine Rechtsprechung in Bezug auf Abschiebungsverbote für junge alleinstehende junge Männer nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK modifiziert. Galt zuvor, dass bei dieser Personengruppe »besondere, individuell erschwerende Umstände« hinzukommen mussten, um ein Abschiebungsverbot aussprechen zu können, gilt jetzt umgekehrt, dass die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots regelmäßig erfüllt sind, wenn »keine besonderen begünstigenden Umstände« vorliegen.
Solche könnten zum Beispiel ein hinreichend tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk sein, nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte oder ein ausreichendes vorhandenes Vermögen. Der VGH Baden-Württemberg geht davon aus, dass selbst eine besondere Belastbarkeit, Durchsetzungsfähigkeit oder fachliche Qualifikationen ohne die genannten begünstigenden Umstände Betroffene nicht in die Lage versetzen würden, in Afghanistan ihren Lebensunterhalt »zumindest am Rande des Existenzminimums nachhaltig zu sichern«. Er stützt sich dabei auf ein Gutachten von Eva-Catharina Schwörer, in welchem diese zu dem Schluss kam: »Für abgeschobene Afghanen aus Europa war es bereits vor COVID-19 ohne finanzielle Hilfen sehr schwer, in Afghanistan ihren Lebensunterhalt auf legale Weise zu bestreiten. Mittlerweile grenzt dies an Unmöglichkeit«. Viele der von den monatlichen Sammelabschiebungen Betroffenen befinden sich in einer entsprechenden Situation, da sie in Afghanistan nicht über ein unterstützungsbereites und –fähiges familiäres oder soziales Netzwerk oder über finanzielle Ressourcen verfügen.