Es ist so weit, die privaten Netzsperren sind da. Seit kurzem ist die „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“ (CUII) arbeitsfähig und hat auch bereits die ersten Websites gesperrt – ohne Prozess, ohne richterliche Anordnung. Die Provider haben sich damit zum Stiefelknecht der Unterhaltungsindustrie degradiert. Die unheilige Allianz bedroht nicht nur das freie Internet, sondern unser aller Grundrechte. Ein Kommentar.
Es war abzusehen, dass 2021 ein Schlüsseljahr für die Netzfreiheit werden würde. Die Europäische Union sägt an der Verschlüsselung von Messengern, die Bundesregierung heißt Uploadfilter gut und in der Novelle des Telekommunikationsgesetzes steht plötzlich wieder diese unsägliche Vorratsdatenspeicherung drin, die von deutschen Gerichten bereits mehrfach gekippt worden ist. Außerdem haben Bundestag und Bundesrat letzte Woche weitreichende Überwachungsbefugnisse für den Bundesnachrichtendienst abgenickt.
Zu all diesen Ärgernissen gesellt sich nun auch die CUII. Was sich dieser Zusammenschluss von Providern und Rechteinhaber:innen auf die Fahne geschrieben hat, liest sich erst mal wenig bedenklich. Die CUII sei eine „unabhängige Stelle“, die nach „objektiven Kriterien“ prüfen würde, ob die „Sperrung des Zugangs einer strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite rechtmäßig ist“, so die Selbstdarstellung.
Ein Prozess so transparent wie Milchglas
Ein Sperrverfahren läuft folgendermaßen ab: Ein dreiköpfiger Prüfausschuss unter Vorsitz einer pensionierten Richter:in des Bundesgerichtshofs spricht auf Antrag der Rechteinhaber:innen eine Sperrempfehlung aus, welche wiederum von der Bundesnetzagentur geprüft wird. Wer in diesem Prüfausschuss sitzt, ist geheim. Sieht die Netzagentur die europäische Netzneutralitätsverordnung nicht verletzt, wird der Zugang geblockt.
Die Sperre findet dann auf der Ebene des DNS-Servers („Domain Name System“) statt. DNS-Server haben die Aufgabe, einen Domainnamen – zum Beispiel „hpd.de“ – in die entsprechende IP-Adresse zu übersetzen. Die meisten Menschen benutzen standardmäßig den DNS-Server ihres jeweiligen Providers. Erkennt dieser DNS-Server den Versuch, eine Website anzusteuern, die auf der „schwarzen Liste“ steht, leitet er die Anfrage direkt auf eine Sperrmeldung von CUII um.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass niemand den DNS des eigenen Providers nutzen muss. Die Umstellung ist relativ einfach. Es gibt zahlreiche zensurfreie DNS-Server, beispielsweise vom Verein Digitalcourage oder von Cloudflare.
Die CUII ist befangen, die Bundesnetzagentur zahnlos
Kommen wir nun zu den ozonlochgroßen Problemen, die das Verfahren der CUII mit sich bringt:
Erstens: Die CUII ist, entgegen eigener Bekundungen, keine unabhängige Stelle. In ihrer Konstruktion als Konglomerat privatwirtschaftlicher Akteure kann sie das per definitionem nicht sein. Rechteverwertungsgesellschaften wollen grundsätzlich präventiv sperren, denn: Ein nicht gesperrter, aber urheberrechtsverletzender Inhalt bedeutet Verluste, eine unrechtmäßige Sperrung hingegen nicht. Es liegt somit im begründeten Interesse der Mitglieder der CUII, möglichst viel zu blocken.
Erschwerend kommt hinzu, dass die CUII die Grundrechte der Nutzer:innen an keinem Punkt des Verfahrens in Betracht ziehen muss, so wie es Gerichte zu tun hätten, wenn sie über die Verhängung einer Netzsperre entscheiden. Die CUII hingegen ist lediglich ihren Mitgliedern verpflichtet und damit das genaue Gegenteil einer „unabhängigen Stelle“, nämlich ein Lobbyverband.
Zweitens: Die Bundesnetzagentur ist für die ihr übertragene Prüfungsaufgabe nicht qualifiziert – mehr noch, es bahnt sich ein Interessenkonflikt an. Zentrale Aufgabe der Bundesnetzagentur ist die Regulierung der Telekommunikationsnetze und damit auch die Durchsetzung der Netzneutralität. Wie die ehemalige Europaparlamentsabgeordnete Julia Reda allerdings in einem Kommentar für netzpolitik.org anmerkt, hat die Bundesnetzagentur sich auf europäischer Ebene bereits dafür stark gemacht, DNS-Sperren generell nicht als Verletzung der Netzneutralität einzustufen. Da jeder Antrag ein Antrag auf DNS-Sperre ist, braucht es keinen Nostradamus, um vorhersehen zu können, dass die Bundesnetzagentur sich auf die Empfehlungen der CUII mehr oder weniger blind verlassen und nur im Beschwerdefall tätig werden wird.
Lex meorum est – „Das Recht ist unser“
Drittens: All das passiert ohne jedes Zutun eines Gerichts. Und das ist der Faktor, der diese Clearingstelle zu einem watergategroßen Skandal macht.
Man sollte meinen, in einem Rechtsstaat entscheidet immer noch die Justiz über die Legalität einer Website. Bisher tat sie das schließlich auch. 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass DNS-Sperren im Einzelfall zulässig sind. Im Jahr 2018 sperrte der Provider Vodafone dann in Deutschland den Zugang zum Streamingportal „kino.to“, nachdem der Bundesgerichtshof dies für zulässig erklärte.
Nun kann man Netzsperren ganz grundsätzlich für Blödsinn halten und der Meinung sein, dass es viel sinnvoller ist, wirklich problematische Inhalte einfach zu löschen. Aber ein Gerichtsurteil ist ein Gerichtsurteil und das hat man zu akzeptieren – dieser Satz ist das Fundament aller im Moment existierenden demokratischen Verfassungen.
Doch beim jetzt implementierten Verfahren ist weit und breit kein Gericht in Sicht. Die Bundesnetzagentur steht allein auf verlorenem Posten und macht, gleich den Providern, einen Bückling. Wer soll uns, die Nutzer:innen, in diesem babylonischen Konstrukt noch vor einer Entfesselung der Netzsperren und den unweigerlichen, auch wirtschaftlichen, Kollateralschäden schützen?
In gewissem Sinne fungierte die Judikative auch als Schutz für die Provider, nämlich vor besonders übergriffigen Rechteverwertungsgesellschaften. Die Provider markieren den Punkt, an denen sich die Interessen von Rechteverwertungsindustrie – Prämisse: alles blocken – und Nutzer:innen – Prämisse: superfreies Internet – begegnen. An diesem Punkt brauchen sie den Schutz und die Richtungsweisung der Gerichte, um eben jene Interessen im Rahmen unternehmerischer Freiheit gegeneinander abwägen zu können. Bei einer Gruppe unbeliebte Entscheidungen müssen gegen diese erklagt und können nicht einfach oktroyiert werden.
Provider mediieren. Lehnen sie sich zu weit in Richtung der Nutzer:innen, gehen lukrative Verträge flöten. Lehnen sie sich zu weit in Richtung der Industrie, wandern Nutzer:innen zur Konkurrenz ab. Ärgerlicherweise sind nun aber sämtliche nennenswerten in Deutschland operierenden Provider Mitglied der CUII. Dieser marktwirtschaftliche Mechanismus ist damit obsolet, wir, die Verbraucher:innen, können keinen einzelnen Provider mehr mit einer Kündigung für besonders sperrwütiges Verhalten abwatschen. In diesem Sinne ist die CUII also noch mehr als ein Lobbyverband – sie fungiert als Kartell.
Beweislastumkehr
Wir summieren: Jede Organisation, die Mitglied im CUII ist, kann einen Sperrantrag für jeden beliebigen Inhalt stellen. Die Bundesnetzagentur findet DNS-Sperren ganz geil, wird also aller Wahrscheinlichkeit nach jeden dieser Anträge erstmal durchwinken. Für Nutzer:innen existiert weder ein Rechtsweg noch die Möglichkeit, ihren Dissent „über den Geldbeutel“ auszudrücken. Für diesen Zustand gibt es einen Begriff: Selbstjustiz.
Sicher, wir Nutzer:innen, ebenso die Inhaber:innen von zu Unrecht gesperrten Websites, können bei der Bundesnetzagentur Beschwerde einreichen und dann wird etwas genauer hingeguckt. Auch ist der DNS-Server schnell geändert, zugegeben – aber sollten wir diese Umwege gehen müssen? Ganz sicher nicht! Diejenigen, die etwas gesperrt sehen wollen, haben die Beweislast zu tragen, sie haben den Umweg zu gehen. Urteilt ein Gericht auf Sperrung, ist das akzeptabel. Urteilt das ein undurchsichtiges, privates Gremium, ist das ein Angriff auf den Rechtsstaat, nichts anderes.