Keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern systematische Unterwanderung des EU-Rechts zum Tierschutz: Junge Rinder sind monatelang auf hoher See unterwegs, um entweder in Drittstaaten ohne Gesetze zum Tierschutz brutal geschlachtet zu werden oder nach Irrfahrten wieder in die EU zurückzukehren, um dort aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands notgeschlachtet zu werden. Nicht wenige sterben bereits auf der langen Reise.
Zwei aktuelle Fälle machen deutlich, wie durch ein Schlupfloch in der EU-Transportverordnung und Behördenversagen schwerste Verstöße gegen den Tierschutz möglich sind:
Der Fall „ElBeik“
Über 1.600 junge Rinder auf der „ElBeik“ sind nach dreimonatiger Tortur durchs Mittelmeer gestern wieder in Spanien angekommen, diesmal im Hafen von Cartagena. Obwohl bereits einige Tage nach Ablegen des Schiffes in Tarragona im Dezember letzten Jahres die Blauzungenkrankheit einiger Tiere an Bord bekannt war, wurde das Schiff nicht zurückgerufen, wohlwissend, dass es im Zielland abgewiesen werden würde. 179 Tiere sind aufgrund der desaströsen Bedingungen an Bord während der Reise gestorben. Was mit den überlebenden Tieren geschehen wird, ist noch ungewiss.
Der Fall „Karim Allah“
Das gleiche Schicksal ereilte mehr als 900 Jungbullen auf der „Karim Allah“, die ebenfalls Spanien im Dezember verlassen hatten. Sie sollten in die Türkei transportiert werden, wo sie aber aufgrund von Krankheitsverdacht abgewiesen wurden. Die Fahrt ging weiter nach Libyen, wo der Versuch, die Tiere dort zu landen und zu verkaufen, ebenfalls scheiterte. Im weiteren Verlauf versuchte man, in Tunesien Futter für die Tiere an Bord zu holen, was nicht gelang. Erst in Sizilien konnte Futter an Bord geholt werden, nachdem die Tiere laut der Zeitung „El País“ drei Tage lang nur noch Wasser bekommen hatten. Danach kehrte der unter libanesischer Flagge fahrende Frachter nach Cartagena zurück, wo die Tiere schließlich vor kurzem getötet wurden.
Maschinerie der Grausamkeit geht weiter
Eine Woche nach der Tötung der Rinder der „Karim Allah“ gehen die Lebendtiertransporte aus Spanien unvermittelt weiter. In den nächsten fünf Wochen sollen laut offiziellen Angaben weitere 40.000 Lämmer und 3.000 Kälber die spanische Küste verlassen und über das Mittelmeer nach Saudi-Arabien, Jordanien und Algerien gebracht werden. Die globale Tierschutzorganisation VIER PFOTEN hat in der Nähe des Hafens von Cartagena die neu ankommenden LKWs mit jungen Rindern und Schafen dokumentiert und spricht von einer beispiellosen Maschinerie der Grausamkeit.
Das Leben der jungen Rinder auf der „ElBeik“ liegt unterdessen in den Händen der Veterinärmediziner. Im für sie wohl „besten“ Fall werden sie nun ebenfalls vor Ort getötet. Allerdings ist auch im Gespräch, ob die Tiere nochmal exportiert werden können. „Dass sich die Frage überhaupt stellt, ob die Tiere doch noch in Drittländer verschifft werden können, um dort ohne Betäubung unter brutalsten Bedingungen geschlachtet zu werden, nachdem sie drei Monate Höllenqualen erleiden mussten, ist geradezu pervers. Es ist unerträglich, wie spät die spanischen Behörden die EU über die Situation informiert haben“, so Martina Stephany, Direktorin für Nutztiere und Ernährung bei VIER PFOTEN.
Schlupfloch im EU-Recht
Obwohl der Europäische Gerichtshof klargestellt hatte, dass das EU-Recht zum Schutz von Tieren bis zum Ankunftsort gilt, wird es bei Schiffstransporten, aber auch bei Tiertransporten auf Europas Straßen, noch immer missachtet. Kurz nach Verlassen des spanischen Küstenraum befinden sich die Schiffe nicht mehr im EU-Raum. Die EU-Verordnung ist zwar laut den gesetzlichen Bestimmungen bis zur finalen Destination einzuhalten, Kontrollen gibt es allerdings keine. Das bedeutet, die Tiere befinden sich über Tage, Wochen oder sogar Monate de facto in einem rechtsfreien Raum.
Möglich wird dies durch ein Schlupfloch in der EU-Tiertransportverordnung, denn es gibt momentan kein Zeitlimit für Schiffstransporte. Die Konsequenz ist, dass die Händler ohne Rücksicht auf die Tiere versuchen, auf Teufel komm raus Profit aus der Situation zu schlagen, selbst wenn dies eine erneute Höllenfahrt bedeutet.
Selbst die Schiffe sind ein Problem
Dazu kommt, dass die Schiffe, auf denen die Tiere transportiert werden, dafür überhaupt nicht ausgerüstet sind. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der „ElBeik“. Sie ist ein 54 Jahre altes, ausgemustertes Autofrachtschiff, das mittlerweile unter der Flagge von Togo fährt. Zwischen 2003 und 2020 wurde der ElBeik in 9 Häfen das Ablegen untersagt. Im März 2015 wurde es sogar für einen Zeitraum von 3 Monaten aus allen europäischen Häfen verbannt.
Tierschutzorganisationen wie der österreichische Verein gegen Tierfabriken VGT fordern daher die EU-Kommission dringend auf, dem immensen Leid bei Tiertransporten in Drittländer ein Ende zu setzen. VGT-Campaignerin Ann-Kathrin Freude sagt dazu: „Der Fall von ElBeik und Karim Allah zeigt, dass diese Transporte nicht auf humane Weise oder gemäß EU-Gesetzgebung durchgeführt werden können und sofort gestoppt werden müssen“.
EU muss endlich handeln
Christina Ledermann, Vorsitzende des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte, fordert: „Die eklatanten Missstände auf diesen schrottreifen Frachtern sind seit Jahren bekannt. Europäische Rinder-Züchter nutzen sie, um sich der „Überproduktion“ von Kälbern aus der Milchproduktion zu entledigen. Diese Tierqualtransporte, egal ob zu Schlacht- und Zuchtzwecken, müssen endlich konsequent verboten werden. Deutschland muss sich endlich hinter die Entschließung des EU-Parlaments vom 14. Februar 2019 stellen. Darin fordern die EU-Abgeordneten einen grundsätzlichen Richtungswechsel bei Tiertransporten ein“.
Fotostrecke von Lebendtiertransporten auf Schiffen im Hafen von Cartagena, Spanien (Fotos von FOUR PAWS International / Aitor Garmendia und Eurogroup for Animals):
Quellen:
https://www.diepresse.com/5947438/notschlachtung-hunderte-rinder-monatelang-auf-schiff-eingepfercht
www.tierrechte.de/2021/03/19/19-maerz-2021-exportstopp-fuer-rinder-auf-dem-mittelmeer